Die rumänisch-schweizerische Autorin Dana Grigorcea las aus ihrem Roman "Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen" - Fotos: Jutta Hamberger

FULDA Dana Grigorcea

Literatur im Stadtschloss: It's a bird - ist das wirklich Kunst?

08.05.24 - Wenn man den Roman "Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen" zu lesen beginnt, fühlt man sich in den ersten Kapiteln auf ziemlich schwankendem Grund. Um wen geht es, wo spielt das, was soll erzählt werden? Das aber ist natürlich kein Versehen der Autorin, sondern künstlerische Absicht.

Auf schwankendem Grund

In seiner Begrüßung stellte Oberbürgermeister Dr. Wingenfeld sie als "facettenreich aktiv" vor, denn Dana Grigorcea sei nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Journalistin, Dozentin und Verlegerin und engagiere sich für verschiedene zivilgesellschaftliche Projekte in Rumänien und der Schweiz. Die leidenschaftliche Europäerin studierte Germanistik und Niederlandistik – was den OB sogleich zu einer fuldischen Verbindungslinie (Bonifatius!, Die Oranier!) inspirierte. Für ihr Wirken verlieht der rumänische Staatspräsident Klaus Iohannis ihr 2023 den Kultur-Verdienst-Orden im Rang eines Ritters. Das wiederum griff Dana Grigorcea auf, bevor sie mit ihrer Lesung begann: "Ich habe nie gewusst, wo ich diesen Orden tragen soll, aber hier, in diesen wunderschönen Raum, hätte er sehr gut hineingepasst!" Damit hatte die sympathische Autorin auch gleich die Herzen der Fuldaer erobert.

Grigorceas Roman erschien bei Penguin Random House und war natürlich am Büchertisch ...

Auch an diesem Abend da: Parzellers Büchertisch

Unverhoffte und schöne Begegnung mit meiner ehemaligen Englisch-Lehrerin Renate ...

In der Sendung SWR-Kultur vom 28.02.2024 hieß es über das Buch: "Die ersten Kapitel des Buchs erklären nicht viel, verstärken vielmehr das Gefühl, keinen festen Erzählboden unter den Füßen zu haben, als sollten nicht nur die Figuren, sondern auch das lesende Publikum herumgewirbelt werden: Ein Text wie ein wilder Tanz, auf unterschiedlichem Parkett, in verschiedenen Epochen." Als Hauptfigur bieten sich gleich mehrere Charaktere an: Alba Fantoni, der berühmte Stummfilmstar aus den 1920er Jahren. Der junge Bildhauer Constantin Avis, der eine Statuette der Fantoni geschaffen hat, und natürlich die Schriftstellerin Dora, die mit Sohn und Kindermädchen nach Ligurien in den Geburtsort der Fantoni gereist ist, um dort über besagten Bildhauer zu schreiben.

Wo eine Marienschülerin ist, ist die zweite meist nicht weit weg – Renate Frei und ...

Regelmäßiger Gast bei den Lesungen der Reihe ist auch Marieliese Heiligenthal ...

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Was ist Kunst?

Wie erklärt man Kunst, was soll oder muss sie leisten, wie erkennt man Kunst, wie definiert man sie? Das ist die eine Ebene des Buchs – die Frage nach dem Wesen der Kunst und die Frage, wo die Grenze zwischen Kunst- und Alltagsgegenständen verläuft. Für Dora ist Constantin Avis als freischaffender Künstler die ideale Projektionsfläche. So würde auch sie gern leben – wissend, dass die ökonomischen Probleme bei freischaffenden Künstlern nie weit weg sind und das es nicht eben einfacher wird, wenn man für ein Kind sorgen muss. Dass Dora in Ligurien schreiben kann, verdankt sie einem Stipendium. Das ist die zweite Ebene des Romans – wieviel ist uns Kunst wert, und wieviel ist sie denen wert, die sie schaffen? Oder auch: Wieviel prekäres Leben müssen Künstler aushalten?

Trotz Hochzeitstag kamen auch OB a.D. Dr. Alois Rhiel und seine Frau Christiane zur ...

Dana Grigorcea neben Verleger a.D. Dr. Thomas Schmitt und seiner Frau

Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld begrüßte die Autorin und die Lese-Enthusiasten ...


Herausragende Künstler sind schlechte Eltern

Dana Grigorcea unterbrach ihre Lesung, um zu erzählen, was sie zu diesem Buch inspiriert hat. Constantin Brâncuși zählt neben Rodin zu den prägenden Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Verbürgt ist die Geschichte, dass seine Skulptur "Oiseau dans l’espace" 1926 bei der Einreise in die USA verzollt werden sollte, weil die Zöllner darin keine Kunst erkennen wollten. Brâncuși, der mit vielen Künstlern seiner Zeit befreundet war, ließ sich das nicht gefallen und prozessierte. Er gewann den Prozess, worüber die Zeitungen ausgiebig berichteten mit der schönen Headline "It’s a bird!" Das, so Grigorcea, klinge doch ähnlich wie im Kreißsaal, wenn ein Kind geboren werde. Und – Fußnote der Kunstgeschichte – das Kunstwerk, dass damals als Gebrauchsgegenstand eingestuft worden sei, zähle heute zu den teuersten Werken der Moderne. Sie habe die Prozessakten mit großer Faszination studiert und festgestellt, dass man damals über Kunst so geredet habe wie auch heute.

Der Fürstensaal war wieder gut besucht

Dana Grigorcea bedauerte es ein wenig, ihren Kultur-Verdienst-Orden nicht zu tragen, ...

Genauso fasziniert habe sie, dass viele Künstler, die sie stark geprägt und beeindruckt hätten, schlechte Eltern gewesen seien. Das sei doch sehr verwunderlich, denn eine Voraussetzung für Kunst sei die Bereitschaft, verschiedene Perspektiven einzunehmen, also empathisch zu sen. So sei es zur Figur der Schriftstellerin Dora gekommen – alles, was die erlebt, sagt oder hört, kommt irgendwann auch in ihrem Roman über Konstantin Avis vor. Und eben auch in dem Dana Grigorceas, die Brâncuși-Szene wiederholt sie und lässt Constantin Avis ebenfalls auf sehr kunstferne amerikanische Zöllner stoßen, für die der "Flug eines Vogels" einfach ein Haufen Metall ist.

Vom Wesen der Kunst

Die Fantoni dreht gerade den Film "Damenwahl", in dem sie in einer Tanzszene zu Stein erstarren soll. Der Regisseur sucht einen Bildhauer, der eine zu Stein erstarrte Fantoni darstellen kann. Avis überlegt sich, ob er den Auftrag annehmen soll oder ob das unter seiner Würde ist. Er sagt schließlich zu und präsentiert stolz sein Werk. Nur dumm, dass ihn niemand darüber informiert hat, dass die Stummfilm-Diva Fantoni durch eine andere Schauspielerin ersetzt wurde. Der Tonfilm hat dem Stummfilm den Todesstoß versetzt. Und so kommt eine dritte Ebene in die Diskussionen über Kunst: Wie schnell ist Kunst eigentlich von gestern und austauschbar?

Fotos (3): Hanswerner Kruse

Jedes Jahrhundert stellt die Fragen über die Kunst und den Kulturbetrieb neu und findet seine Antworten darauf. Das versucht auch Dana Grigorcea. So amüsant die Verwicklungen um Diva, Bildhauer und Schriftstellerin auch sind, so gern ich von Frauen lese, die ihren Freiheitsdrang leben und sich gegen die in ihrer Zeit vorherrschenden weiblichen Rollenmodelle entscheiden, so banal bleiben Grigorceas Ausführungen über Kunst letztlich. Ihre Figur Constantin Avis bringt es auf den Punkt, wenn er von seinem "Kind" spricht (dem fliegenden Vogel) und sich sogleich eingesteht, das sei eine ziemlich triviale Analogie. Das Fuldaer Publikum bedankte sich mit viel Beifall bei der Autorin, und dann klang der Abend bei Brez’n, Wein und guten Gesprächen aus. (Jutta Hamberger) +++


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