Tom Wolf: Endlich volljährig und auf dem Sprung zum Handball-Profi
04.06.24 - Anfeuern: JA, Anfeiern: NEIN. 99 % unserer Teenager, bei denen ihr 18. Geburtstag auf einen Sonntag fällt, werden vermutlich geneigt sein, mit einer rauschenden Party "reinzufeiern". Für den Vogelsberger Tom Wolf war das am vergangenen Wochenende keine Option: der Nachwuchshandballer gehört nämlich zum erweiterten Kader der MT Melsungen – und just an seinem Geburtstag fand das Bundesliga-Saisonfinalspiel gegen den THW Kiel statt.
Als Hallensprecher Kaiser ihm vor Spielbeginn gratulierte, heimste der Ohmstädter den Applaus der ausverkauften Halle ein. Ob er wohl als Sahnehäubchen, wie schon vier Tage vorher in Göppingen, auch eine Einsatzzeit auf dem Spielfeld bekommen würde? OSTHESSEN|NEWS hat ihn beobachtet und lässt ein für ihn bahnbrechendes Jahr Revue passieren.
Die Story Tom Wolf: eine steile Erfolgsgeschichte – mit Zwangs-Time-Out Es war einmal ein kleiner Junge aus Homberg/Ohm, der nahm an einem Handball-Nachwuchslehrgang teil. Als der Coach die dreißig Kinder fragte, welche Ziele sie denn für ihre Handballzukunft haben, wollten 29 Weltmeister oder zumindest Deutscher Meister werden. Einer formulierte es so: "Ich will mal mit Handball Geld verdienen." Das war Tom Wolf, sagt sein Vater Holger im Gespräch mit O|N.
Was wie ein Märchen klingt, ist für Rückraumspieler Tom zum Greifen nah. Über die Stationen Homberg/Ohm, wo ihn Papa Holger trainierte, und Kirchhain und Wetzlar/Dutenhofen entschied er sich im Coronajahr 2020 für das Nachwuchsleistungszentrum der MT Melsungen – diese Zentren durften trotz des Lockdowns weitertrainieren. Drei Jahre später ging es für Tom durch die Decke: mit der U17-Nationalmannschaft wurde er beim European Youth Olympic Festival, der inoffiziellen U17-Europameisterschaft, in Maribor (inoffizieller) Europameister, avancierte dort und bei den Junioren der MT-Talents zum Leistungsträger, es kam gegen Göppingen zum ersten MT-1-Einsatz noch mit 16 dank einer DHB-Ausnahmegenehmigung, und im Herbst gegen die Rhein-Neckar-Löwen zum ersten Bundesligator. Emotionale Highlights, die Tom in 2023 der Reihe nach unter die Haut gingen. Doch auch die steile Erfolgsgeschichte von Tom Wolf blieb nicht von einem ungeplanten "Time Out" verschont, um in der Handballersprache zu bleiben.
Tor gegen die Rhein-Neckar-Löwen, dann geht nichts mehr
Am Tag nach dem Löwen-Heimspiel brach eine schwelende Schulterverletzung auf, die Wochen vorher nach einem gegnerischen Griff in den Wurfarm zunächst harmlos erschien. Nichts ging mehr, Zwangspause. Viele Untersuchungen bei Spezialärzten von Hamburg bis Stuttgart folgten, dann eine monatelange Reha. "Das war für ihn eine mental schwierige Phase", sagt seine Mutter Sandra. "Von 100 auf null, aber mit seinem Ehrgeiz und dem unerschütterlichen Willen hat er sie durchschritten." Für die Eltern keine Frage: die Wiederherstellung der vollen Einsatzfähigkeit innerhalb weniger Monate war neben Toms Willen nur dank der herausragenden Unterstützung seitens des Vereins und des DHB möglich. Im März 2024 ging es endlich "auf der Platte" weiter: "Toms Fitness war nie größer", so Sandra Wolf. Er trainiert inzwischen nicht nur beim Bundesligakader mit, sondern war Teil des Teams beim Kölner Final-Four im DHB-Pokal, auch wenn er dort noch keine Einsatzzeit hatte. Am vergangenen Mittwoch spielte er dann einige Minuten beim letzten Auswärtssieg in Göppingen und trug sich zum zweiten Mal in die Torschützenliste ein.
Stolze Eltern, ein wehmütiger Bruder Holger und Sandra Wolf sind nicht nur stolz auf Toms Handballqualitäten: "Er ist bei allen Erfolgen immer zurückhaltend und bodenständig geblieben, hat aber trotz des unbedingten Traums, den er lebt, auch im Blick, dass er die Schule 2025 gut abschließen will." Der Abnabelungsprozess war für die Eltern nicht leicht: "Wir haben ihn mit 14 als Kind gehen lassen, jetzt kommt er als Mann nach Hause. Aber wir sehen, dass er seinen Traum lebt und haben ihm nie Steine in den Weg gelegt, sondern ihn unterstützt, wo wir konnten. Besonders schwierig war es auch für seinen zwei Jahre jüngeren Bruder Max, der plötzlich zum Einzelkind wurde. Beide waren ein enges Team, so dass Max den Tom sehr vermisste. Aber er freut sich auch riesig über dessen Erfolge."
Ab Sommer wird Tom nun aus der Nachwuchs-WG der MT aus- und in eine eigene Wohnung einziehen. "Melsungen und Kassel gefallen mir in jeder Hinsicht sehr gut, hier werde ich auch in der nächsten Saison weiter auf der Platte stehen. Aber keine Angst, den Bezug zur Homberger Heimat werde ich garantiert eng halten", strahlt der Youngster im MT-Trikot an seinem 18. Geburtstag über das ganze Gesicht, auch wenn er gegen den THW leider keine Einsatzzeit erhielt – zu umkämpft war der Spielverlauf gerade in der heißen letzten Spielphase, und da setzte MT-Trainer Parrondo wohl eher auf Routine. "Bei dem engen Spielstand ist das doch völlig in Ordnung", zeigt Tom Verständnis für den Trainer. Dennoch ein weiterer emotionaler Ausnahmetag für ihn, denn der Applaus der Arena und dazu die MT-Glückwünsche auf dem Hallen-Videowürfel sowie den Social-Media-Kanälen der MT können sich doch auch sehen lassen – und wer hat es schon an seinem Geburtstag mit Weltstars wie den THW-Spielern Domagoj Duvnjak und Niclas Ekberg oder Trainer Filip Jicha zu tun?
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