Der 30-jährige Angeklagte ist freigesprochen worden. - Archivfoto: O|N/ Maria Franco

FULDA Prozess vor dem Amtsgericht

Wegen paranoider Schizophrenie schuldunfähig: 30-Jähriger glaubt, er sei Kaiser

29.07.24 - Ein ungewöhnlicher Fall hat das Amtsgericht beschäftigt: Ein 30-jähriger Fuldaer, der zwei teure Autos aus einem Autohaus sowie wiederholt Waren aus Teo-Märkten gestohlen hat, ist freigesprochen worden. Der Angeklagte ist wegen paranoider Schizophrenie schuldunfähig: Er glaubt, er sei der Kaiser, ein Nato-General, Eigentümer von Autofirmen und Angehöriger der Tegut-Familie.

Der Angeklagte hatte zwischen April 2022 und April 2024 mehrfach Lebensmittel, Getränke, Süßigkeiten und Hygieneprodukte aus Teo-Märkten in Fulda und Gläserzell mitgehen lassen. Im September 2021 brach er zudem in die Räume der zum Autohaus Jakob gehörenden Firma "BigBlocks" ein, stahl einen Camaro und einen Ram Pick-Up, die beide jeweils einen Wert von 60.000 Euro hatten – und tankte dann auch noch bei einer Shell-Tankstelle, ohne zu bezahlen. Die Serie von Straftaten konnte ihm unter anderem anhand von Überwachungskameras nachgewiesen werden.

Psychische Verfassung kam ans Licht

Amtsgericht Fulda. Symbolfoto: O|N/ Moritz Bindewald

Während des zweiten Verhandlungstags vor dem Amtsgericht Fulda am Freitag kam jedoch die psychische Verfassung des Angeklagten ans Licht. Er sprach in umfangreichen, aber unzusammenhängenden und wirren Worten. Dabei wurde deutlich, dass er sich in verschiedenen Rollen wähnt: Mal sieht er sich als Kaiser, mal als Nato-General und zuweilen als Mitglied der Tegut-Familie. Auch habe er ein Öl-Patent entwickelt und sei daher berechtigt, kostenlos an Tankstellen zu tanken.

Seine Lebensgefährtin, mit der er seit Kurzem ein gemeinsames Baby hat, bestätigte, dass er "etwas merkwürdig" sei und in einer eigenen Welt lebe. Zu Wort kam auch der Geschäftsführer der Firma BigBlocks. Er berichtete, dass der Angeklagte vor Ort war und sich "kurios" verhalten habe – und daraufhin Hausverbot erhielt. Zudem habe er zahlreiche E-Mails geschickt und sei zweimal an der Privatanschrift des Zeugen aufgetaucht.

Er habe ein "festes Wahnsystem" mit falschen Überzeugungen

Sachverständiger Dr. Bernhard Kießling attestierte dem 30-Jährigen eine paranoide Schizophrenie, eine schwere psychische Erkrankung: "Seine Wahrnehmung spaltet sich von der Realität ab." Er habe ein "festes Wahnsystem" mit falschen Überzeugungen und bizarren Verhaltensweisen und leide an Größenwahn. Der Beschuldigte habe die Autos entwendet, weil er geglaubt habe, dass er "Chef von riesigen Autofirmen" sei und diese ihm gehörten. Auch habe er geglaubt, viele Millionen Euro in Tegut investiert zu haben und aufgrund eines Deals mit der Tegut-Familie Anteilseigner zu sein. Die Fahrzeuge und Teo-Waren zu entwenden, seien "krankheitsbedingte Entscheidungen" gewesen, sagte Kießling. An Ängsten, wie sie viele an Schizophrenie erkrankte Personen haben, leide der 30-Jährige hingegen nicht. Auch gewalttätig sei er bisher nicht gewesen. Der Sachverständige erinnerte jedoch an die Zeugenaussage des Autohaus-Inhabers, der sich durch den Angeklagten bedroht gefühlt habe. Er selbst sei bei dem 30-Jährigen eher vorsichtig, da Menschen mit diesem Krankheitsbild zu Gewalt neigten, sagte Kießling.

Staatsanwältin Jessica Maier brachte es in ihrem Plädoyer auf den Punkt: "Der Angeklagte war der Ansicht, legal gehandelt zu haben." Aufgrund seines Realitätsverlustes sei er bei allen Taten schuldunfähig gewesen. Sie plädierte somit für einen Freispruch – ebenso wie Verteidiger Marc-Thilo Müller. Das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Dr. Szymon Mazur folgte dem: "Der Angeklagte handelte ohne Schuld. Und wer nicht schuldig ist, wird freigesprochen." Eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde nicht angeordnet. Das ist laut Paragraf 63 des Strafgesetzbuches nur möglich, wenn künftig rechtswidrige Taten erwartet werden, bei denen entweder Personen zu Schaden kommen oder der wirtschaftliche Schaden schwer ist – dass er also für die Allgemeinheit gefährlich ist.

Einweisung in ein Krankenhaus

"Wir gehen hier alle mit einem mulmigen Gefühl raus. Bedeutet dieser Freispruch, dass erst einmal etwas Schlimmeres passieren muss, bis Paragraf 63 greift? Im Prinzip: Ja", erklärte Richter Mazur. Das "Wahnkonstrukt" des 30-Jährigen bereite Unbehagen und Bauchschmerzen, da niemand eine Garantie habe, dass der Fuldaer keine Straftaten mehr begeht. "Aber das muss unsere Gesellschaft aushalten: Es ist der Preis, den wir in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung dafür zahlen, dass Menschen ohne Schuld nicht verurteilt werden."

Auf freien Fuß kommt der 30-Jährige vorerst trotzdem nicht. In nicht-öffentlichem Rahmen hatte das Betreuungsgericht die Entscheidung getroffen, ihn zunächst ins Krankenhaus einzuweisen. (Sabrina Mehler) +++


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