O|N-Arzt Adrian Böhm zu medizinischen Diagnosen aus dem Internet
01.10.24 - Wer kennt es nicht? Plötzlich zwickt im Oberschenkel, ein komischer Ausschlag macht sich am Hals breit oder man verträgt auf einmal bestimmte Lebensmittel nicht mehr. Ehe man gleich wegen eines Termins in der Hausarztpraxis anruft, machen sich wohl die meisten von uns erstmal im Internet schlau. Aber diese Form von Eigendiagnose hat durchaus ihre Tücken und viele Mediziner warnen vor möglichen Fehlinterpretationen. Und besonders Hypochonder sind gefährdet, vermeintlich jede Krankheit zu haben, über die sie sich informieren.
Internet ist eine unerschöpfliche Quelle von Informationen. Nahezu auf jede Frage weiß das Netz in Foren oder auf verschiedenen Seiten Rat. Die Möglichkeiten, die KI-Anwendungen wie ChatGPT mit sich bringen, werden die Welt, wie wir sie kennen, in Zukunft noch deutlicher verändern. Doch es bleibt unerlässlich, bei der Recherche im Netz die Informationen richtig einordnen zu können.
Besonders sensibel ist der Umgang mit Gesundheitstipps aus dem Netz. Gibt man Symptome bei Google ein, spuckt der Computer eine Vielzahl möglicher Krankheiten aus. Bei manchen der genannten Diagnosen kann einem schon angst und bange werden.
Gesundheitskompetenz ist eine Fähigkeit, die den Menschen, gerade im städtischen Raum, abhanden gekommen zu sein scheint. Vor einigen Jahrzehnten noch wusste die Oma, die häufig unter demselben Dach lebte, Rat und half bei Kinderkrankheiten genauso wie bei kleineren Wehwehchen, die im Haushalt an der Tagesordnung waren. Heute wird in solchen Fällen häufig der Arzt oder sogar die Notaufnahme aufgesucht.
Die Suche nach möglichen Auslösern eigener Symptome ist ein zweischneidiges Schwert. Besonders vor dem emotionalen Thema Gesundheit machen Scharlatane nicht halt, wittern das schnelle Geld oder stillen ihren Geltungsdrang. Das hat die Corona-Pandemie in nie gekanntem Ausmaß gezeigt. Besonders bezüglich der Impfung gab es eine nicht endende Flut an Falschinformationen. Zusätzlich wird mit besonders verzweifelten Patienten, wie beispielsweise solchen mit Krebs, Profit gemacht.
Manchmal sogar lebensrettend
Auf der anderen Seite kann das Internet eine erste beratende Anlaufstelle sein, auf gefährliche Symptome aufmerksam machen und nützliche Ratschläge geben – quasi die digitale Oma, die weiß, was zu tun ist, wenn die Kinder unter Fieber leiden. Manchmal, wie es die Plattform "Reddit" bewiesen hat, kann das Internet mit seiner Schwarmintelligenz sogar Leben retten. Ein Nutzer meldete sich in dem Forum und beschrieb Folgendes: Er fand in seiner Wohnung immer wieder Post-it-Zettel mit Informationen, die nur er kennen konnte, und vermutete, dass sein Vermieter sich nachts illegal Zutritt zu seiner Wohnung verschaffte. Als er unter anderem erwähnte, dass sein Schlafzimmer kein Fenster habe, wurde ein anderer Nutzer hellhörig. Er tippte auf einen Verwirrtheitszustand, der auf eine Kohlenmonoxidvergiftung hindeutete, was sich im Krankenhaus als richtig erwies und für den Betroffenen tatsächlich lebensrettend war. (https://www.reddit.com/r/legaladvice/comments/34l7vo/ma_postit_notes_left_in_apartment/)
Ein besonderer Stellenwert kommt dem Internet auch in Form von Foren zu, die als Selbsthilfegruppen bei chronischen Erkrankungen dienen. Hier tauschen sich Betroffene aus und können Hilfestellungen bei Problemen geben, die dem behandelnden Arzt manchmal nicht bekannt sind, da er selbst in den meisten Fällen nicht an derselben Krankheit
leidet.
Öfter mal mit Oma telefonieren
Die Zukunft der Medizin wird sicherlich auch im Hinblick auf knapper werdende Ressourcen nicht mehr zwangsläufig aus einem Arztkontakt bestehen. In anderen Ländern werden bei Gesundheitsfragen bereits KI-gestützte Chatbots eingesetzt. Diese Technologie wird sicherlich auch Ärztinnen und Ärzten zur Seite stehen, um Fehler zu minimieren und die Diagnostik noch genauer und schneller zu machen. Bis das alles so weit ist, kann man sicherlich mal wieder mit der Oma telefonieren. (ab/ci)+++