Waschbär geschlagen oder vertrieben? - 72-Jähriger wehrt sich gegen Urteil
03.10.24 - Weil er einen Waschbären auf seinem Grundstück mit einer Dachlatte blutig geschlagen und anschließend seinem Nachbarn über den Zaun geworfen haben soll, war ein 72-Jähriger aus Neuenstein vom Amtsgericht Bad Hersfeld im Juli dieses Jahres zu einer Geldstrafe von 5.600 Euro verurteilt worden. Das Gericht erklärte ihn für schuldig, "einem Wirbeltier aus Rohheit erhebliche Schmerzen und Leiden" zugefügt zu haben. Dagegen legte der Rentner Rechtsmittel ein. "Ich habe dem Tier kein halbes Haar gekrümmt", versicherte er. Die Berufungsverhandlung fand am Mittwoch am Landgericht Fulda statt.
Der 72-Jährige stellte sich jetzt als Opfer einer Verleumdung durch seinen böswilligen Nachbarn dar. Er habe den Waschbären, der sich unter einen Busch geflüchtet hatte, nur "angestupst". "Ich habe im Leben noch keinen Menschen geschlagen, auch meine Kinder nicht!", beteuerte der Angeklagte seine Unschuld. Der Nachbar, der damals angesichts des verletzten Waschbären die Polizei gerufen hatte, schilderte aber wortreich, was er beobachtet habe. Der Rentner habe mit einer Dachlatte auf das Tier eingeschlagen und es über die Mauer geworfen, die die Grundstücke voneinander trennt. Der Waschbär habe geblutet, gezittert und Schmerzenslaute von sich gegeben. Nach dem vergeblichen Versuch, einen Jagdpächter zu erreichen, habe er die Polizei gerufen, die das schwer verletzte Tier schließlich erlöst hätten.
Grenzmauer als Stein des Anstoßes
Die besagte Mauer, die die früher verbundenen Grundstücke voneinander trennt, war offenbar der Stein des Anstoßes für eine seit Jahrzehnten andauernde Feindschaft zwischen den Nachbarfamilien. Er habe drei Anläufe gemacht - jeweils auf einer Beerdigung - die Wogen wieder zu glätten und den Streit beizulegen, leider vergeblich, sagte der Nachbar aus. Seine Familie wolle mit ihm nie mehr etwas zu tun haben, bekräftigte der Rentner seine Ablehnung und bezeichnete seinen Kontrahenten als "Stinker" und "Drecksack".
Nachdem noch einer der damals involvierten Polizisten als Zeuge gehört worden war, der sich aber nicht mehr an Details erinnern konnte, wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Während die Anwältin des Angeklagten befand, die Vorwürfe gegen ihren Mandanten hätten sich nicht bestätigt und deshalb Freispruch forderte, folgte der Staatsanwalt der Urteilsbegründung des Amtsgerichts und beurteilte die Aussage des Zeugen als detailreich, nachvollziehbar, konsistent und glaubwürdig. Deshalb sei die vom Amtsgericht verhängte Geldstrafe angemessen und die Revision zu verwerfen, plädierte er.
"In herzlicher Abneigung verbunden!"
Richter Dr. Jochen Müller machte in seinem Urteil deutlich, dass die Wahrheit in diesem Fall wie so häufig weder schwarz noch weiß sei. An beiden konträren Aussagen müsse man Abstriche machen. Während der Angeklagte seine Tat abgeschwächt habe, habe sie der Zeuge aufgebauscht. Aus dem unnatürlichen Verhalten des Waschbären sei abzuleiten, dass das Tier krank gewesen sei. Um es unter dem Busch aufzuscheuchen, habe der 72-Jährige sicher zugeschlagen, was auch der in der Flanke des Tiers steckende Holzsplitter beweise. Doch das Blut, das der Nachbar bemerkt haben wollte, hätten die Polizisten nicht gesehen. Auch sei das Tier noch von sich aus auf das Nachbargrundstück geflüchtet und nicht geworfen worden. Auch wenn Waschbären als invasive Art mittlerweile durchaus eine Plage seien, dürfe man ihnen keine Schmerzen zufügen, das Tierwohl sei durch die Verfassung geschützt, erklärte der Richter. Der Rentner wurde wegen Tierquälerei zu 45 Tagessätzen á 45 Euro verurteilt und muss zwei Drittel der Prozesskosten tragen. (ci)+++