"Bei mir biste schejn": Koscher Jazz in der Aula der alten Universität
03.10.24 - Dass zu Beginn eines Konzerts der Shofar erklingt, ist für die meisten Fuldaer Konzertbesucher/innen eher ungewöhnlich. Wenn aber die Jüdische Gemeinde Fuldas einlädt und der Zentralrat der Juden in Deutschland das Konzert ermöglicht, kann das schon einmal passieren. Vor allem im Monat Elul (September), denn in den 30 Tagen vor Rosch Haschana ist es Tradition, täglich den Ruf des Shofar zu hören.
In der Aula der alten Universität ließ Roman Melamed das Shofarhorn erklingen und gemahnte so an den Sinn des jüdischen Neujahrsfestes: es will aufrütteln, damit man sich innerlich vorbereitet für das neue Jahr. Und dann ging es los mit "Koscher Jazz". Tallana Gabriel modelt, hat ein koscheres Restaurant geführt, war bei DSDS laut Dieter Bohlen die "Powerfrau" und ist ausgebildete Jazzsängerin. Boris Rosenthal spielt seit Kindertagen Klavier, verfiel irgendwann der Gitarre, besitzt und spielt gleich sechs verschiedene Gitarren, ist Lehrer am Jüdischen Gymnasium in Berlin und beherrscht alle Musikgenres: Das Duo gastierte in der voll besetzten Aula der alten Universität mit ihrem Programm "Koscher Jazz".
Vielseitige Künstler
Und wie das bei Jazz zu erwarten war, fing das Publikum schnell Feuer. Warum kann man sich der Faszination Jazz eigentlich nicht entziehen? Vielleicht, weil diese Musik "Fusion" reinsten Wassers ist – verschmelzen hier doch europäische, afrikanische und amerikanische Kultur. Das gibt ihr etwas sehr Gegenwärtiges, der Augenblick ist entscheidend, das Gefühl. Das drückt sich oft in spontanen Improvisationen aus.Gabriel und Rosenberg, die in unterschiedlichen Gruppierungen Musik machen, können gut miteinander – das war von der ersten Melodie an zu spüren. Natürlich stand Sängerin Tallana Gabriel im Mittelpunkt aber immer wieder konnte auch Boris Rosenthal mit Piano- oder Gitarrensolos seine Kunstfertigkeit zeigen.
Träume, Küsse und Schalom Es erklangen jüdische, jiddische, israelische und russische Hits – und natürlich amerikanische Klassiker, die sehr oft von jüdischen Komponisten stammen. Etwa Shlomo Secundas Welthit "Bei mir biste schejn" (Bei mir bist du schön) oder Gus Kahns "Dream a little dream of me" – den meisten dürfte die Fassung von The Mamas and Papas (Mama Cass!) noch im Ohr sein. Gus Kahns Familie wanderte Ende des 19. Jahrhunderts von Deutschland in die USA aus. Ohne Gus Kahn gäbe es deutlich weniger Welthits – und Sie kennen sie bestimmt alle: Von "My baby just cares for me" über Makin‘ Whoopee" und "It had to be you" bis zu "I’m through with love".
Bei "Hava nagila" (= Lass uns glücklich sein), das auf keiner jüdischen Feier fehlen darf, hielt es dann niemand mehr auf den Stühlen – es wurde mitgesungen und mitgetanzt. Ähnlich war’s bei Shlomo Carlebachs "Od avinu chai" (= Unser Vater lebt) und "Hevenu schalom aleichem" (= Wir wollen Frieden für alle) – Liedern, die die tiefe Sehnsucht des jüdischen Volks nach Frieden ausdrücken. "Bésame mucho", stammt zwar aus Mexiko, ist aber aus der Jazzmusik nicht mehr wegzudenken. Zu den jiddischen Klassikern gehörte "Ich hab dich zuviel lieb" (= Ikh ob dikh tsufil lib) – es stammt aus dem Musical "Der Drehorgelspieler" aus den 1930er Jahren und wurde von Alexander Olshanetsky geschrieben. Felix Mendelssohn Bartholdys ergreifendes "Lied ohne Worte" erklang, außerdem wunderbare russische Romanzen wie das bekannte "Schwarze Augen" von Jewhen Hrebinka. (pm/cdg) +++