Der 20-jährige Maxi Tag aus Ludwigsau-Friedlos studiert derzeit in Valencia und engagiert sich zusammen mit vielen weiteren Studenten beim Aufräumen nach der Unwetter-Katastrophe - Fotos: privat

VALENCIA/LUDWIGSAU Nach der Flutkatastrophe

Maxi Tag (20): "Diese Gemeinschaft ist stärker als jede Krise, Visca Valencia!"

19.11.24 - Die Flutkatastrophe vor knapp drei Wochen ist fernab der spanischen Provinz Valencia aus der aktuellen Berichterstattung der Medien weitgehend in die Randspalten verschwunden. Doch das Ausmaß dieses schlimmen Ereignisses schockiert und bewegt. Über 200 Menschen verloren in Valencia durch die Katastrophe ihr Leben.

In der Region fiel am 29. Oktober dieses Jahres die Rekord-Regenmenge von 445 Litern pro Quadratmetern - unvorstellbar. Die Jahrhundertflut wütete und zerstörte alles, was ihr in den Weg kam. Der erste Schock mündete in Wut gegenüber der Regierung, weil die Bevölkerung offenbar zu spät alarmiert wurde. Selbst das Königspaar Felipe VI. und seine Frau Letizia sowie Ministerpräsident Pedro Sánchez bekamen die Entrüstung bei einem Besuch im Katastrophengebiet zu spüren.

Inzwischen läuft der größte Einsatz des spanischen Militärs in Friedenszeiten. Mehrere tausend Soldaten und Polizisten sind vor Ort, um vor allem den Schlamm zu beseitigen. Teilweise türmen sich immer noch die zerstörten Fahrzeuge. Viel schneller reagierten die Menschen vor Ort in Valencia und organisierten sich selbst. Knapp 800.000 Menschen wohnen in der drittgrößten Stadt Spaniens. Einer von ihnen stammt aus Osthessen: Der 20-jährige Maxi Tag aus Rohrbach (Ludwigsau, Landkreis Hersfeld-Rotenburg) absolviert dort ein Auslandssemester im Rahmen seines Studiums der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kassel.

Valencia ist normalerweise eine lebensfrohe und sonnige Stadt

Im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS-Reporter Hans-Hubertus Braune schildert Tag eindrucksvoll, wie sich die Menschen gegenseitig unterstützen, wie sich die Studenten aus den unterschiedlichen Ländern aufopferungsvoll daran beteiligen. Wieder einmal zeigt dieses Beispiel, wie sich gerade auch junge Menschen in der Gesellschaft einbringen.

O|N: Wie geht es Dir in Valencia?

Maxi Tag: "Danke der Nachfrage! Mir persönlich geht es gut, obwohl die letzten Tage sehr intensiv waren. Kurz zu mir: Ich studiere im 5. Semester Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kassel und bin aktuell für ein Auslandssemester in Valencia. Abgesehen von den jüngsten Ereignissen, habe ich hier eine wunderbare Zeit und bin begeistert von der Stadt und den Menschen. Valencia ist normalerweise eine lebensfrohe und sonnige Stadt, doch durch das Unwetter hat sich das in den letzten Tagen geändert."

O|N: Wie hast Du das Unwetter mitbekommen?

Maxi Tag: "Zunächst wirkte alles harmlos: Es hieß plötzlich, dass die Uni wegen des Wetters ausfällt, und ich dachte mir nicht viel dabei, da es nur leicht regnete und ein bisschen windig war. Am Abend erhielt ich dann Katastrophenwarnungen auf mein Handy, die auf mehrere Alarmstufen hinwiesen. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir langsam bewusst, dass es sich um mehr als nur ein normales Gewitter handelte. In meinem Stadtteil, der in der Nähe der Universität liegt, waren, außer ein paar umgestürzten Bäumen, jedoch keine größeren Schäden zu sehen. Erst am nächsten Morgen, als die ersten Bilder und Videos aus den umliegenden Gebieten geteilt wurden, wurde mir das Ausmaß der Katastrophe klar. Ganze Dörfer standen unter Wasser, Autos wurden weggeschwemmt, und die Bilder von zerstörten Häusern und verzweifelten Menschen waren einfach erschütternd."

"Es war ein beklemmendes Gefühl"

O|N: Wie hast Du die ersten Folgen des Unwetters erlebt?

Maxi Tag: "Die Auswirkungen waren vor allem in den sozialen Medien und Nachrichten zu sehen. In meinem Viertel war zwar von den direkten Folgen nicht viel zu spüren, aber die Unsicherheit lag in der Luft. Besonders spürbar wurde es, als das Leitungswasser für mehrere Stunden ausfiel – das sorgte für Hamsterkäufe in den Supermärkten. Menschen kauften Wasser, Konserven und Toilettenpapier. Es war ein beklemmendes Gefühl, obwohl ich in Sicherheit war. Was mich besonders bewegte, war die enorme Welle an Solidarität, die sofort begann: Freiwillige organisierten sich über Nacht, um den Betroffenen zu helfen, während offizielle Hilfe erst verzögert anlief."

O|N: Wie haben die Menschen in und um Valencia herum reagiert?

Maxi Tag: "Die Reaktionen der Menschen hier waren überwältigend. Es gab eine riesige Solidaritätsbewegung. Tausende Freiwillige, darunter auch viele Studierende, machten sich sofort auf den Weg in die am stärksten betroffene Gebiete, um zu helfen. Sie räumten Straßen frei, verteilten Lebensmittel und versuchten mit einfachen Mitteln, den Betroffenen zu helfen. Die Worte 'Solo el pueblo salva al pueblo' (Nur das Volk rettet das Volk) sind mir besonders in Erinnerung geblieben, da sie das Gemeinschaftsgefühl und die Hilfsbereitschaft der Menschen hier perfekt beschreiben. Gleichzeitig herrschte in der Stadt aber auch eine große Unsicherheit, weil niemand wusste, wie lange die Folgen des Unwetters andauern würden."

Studenten helfen in zerstörtem Kindergarten: Knietief im Schlamm

O|N: Wie ist die Hilfe angelaufen, gibt es besondere Aktionen?

Maxi Tag: "Einige von uns sind auch direkt in die umliegenden Dörfer gefahren, um vor Ort zu helfen. Besonders eindrucksvoll waren meine Besuche in Catarroja, einem der schwer getroffenen Dörfer in der Nähe von Valencia. In Catarroja halfen wir in einem örtlichen Kindergarten, der komplett von Schlamm und Wasser überflutet worden war. Der Schlamm stand teilweise bis zu den Knien, und es war eine enorme Herausforderung, die Räumlichkeiten wieder begehbar zu machen. Zu Beginn war die Hilfe ziemlich chaotisch und unorganisiert. Viele Menschen kamen, um zu helfen, aber es gab niemanden, der genau wusste, was zuerst getan werden musste oder wie man die Arbeit aufteilen sollte. Mit der Zeit hat sich das jedoch gebessert, und die Hilfe wurde besser koordiniert – auch dank der Unterstützung von Freiwilligenorganisationen

Besonders bewegend war, dass der Kindergarten, in dem wir geholfen haben, später auch einen Teil der Spenden für den Neuaufbau erhalten hat. Zu sehen, dass unsere Arbeit und die gesammelten Gelder direkt bei den Betroffenen ankamen, war für uns alle eine unglaublich bereichernde Erfahrung. In Catarroja hörten wir viele überwältigende Geschichten und Schicksale. Eine Familie erzählte uns, wie sie ihr Haus verlassen musste, während das Wasser unaufhaltsam stieg und alles zerstörte. Trotz dieser Verluste waren die Menschen so dankbar für jede Unterstützung, die sie bekamen, und diese Dankbarkeit hat uns motiviert, weiterzumachen. Auch die Universität hat sich stark engagiert. Sie organisierte Busse, die Freiwillige in die betroffenen Gebiete brachten, und bot Studierenden viele Möglichkeiten, sich einzubringen. Diese Initiativen haben dazu beigetragen, dass die Hilfe effektiver wurde und gezielt dort ankam, wo sie am dringendsten gebraucht wurde.

Als Erasmus-Gruppe haben wir unsere Spendenaktion fortgeführt und konnten mit dem Geld nicht nur Grundbedarfsartikel kaufen, sondern auch den Neuaufbau in betroffenen Einrichtungen wie dem Kindergarten in Catarroja unterstützen. Es war beeindruckend zu sehen, wie solidarisch und engagiert die Menschen hier in Valencia und Umgebung zusammengearbeitet haben, um diese Krise zu bewältigen."

"Solidarität und Zusammenhalt, unglaublich bewegend"

O|N: Wie reagierten die Studenten auf das Unwetter?

Maxi Tag: "Die Reaktion der Studierenden – sowohl der Einheimischen als auch der Erasmus-Studenten – war beeindruckend. Viele wollten sofort helfen und haben sich an den Aufräum- und Spendenaktionen beteiligt. Es gab auch zahlreiche Initiativen, um die Situation über soziale Medien bekannt zu machen und Spenden aus dem Ausland zu organisieren. Die Solidarität unter den Studierenden war spürbar, und es hat sich gezeigt, dass man auch mit kleinen Gesten viel bewirken kann. Gleichzeitig war die Situation aber auch ein Schock für viele, da niemand erwartet hatte, dass ein so schweres Unwetter die Region treffen könnte. Abschließend kann ich nur sagen, dass es unglaublich bewegend war, die Solidarität und den Zusammenhalt der Menschen hier in Valencia zu erleben – egal ob Einheimische, internationale Studierende oder Freiwillige aus anderen Regionen. Trotz all der Zerstörung zeigt sich, dass diese Gemeinschaft stärker ist als jede Krise. Visca Valencia!" (Hans-Hubertus Braune) +++


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