"Der Anschlag von Magdeburg zeigt, wie zerbrechlich das Leben sein kann!"
23.12.24 - Der furchtbare Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg zeigt uns, wie zerbrechlich das Leben sein kann. Die Tat eines einzelnen Menschen hat das ganze Land erschüttert und viel Leid verursacht. Das ist das Ziel des Terrors: Er will Angst machen, zerstören und spalten.
Eine Gesellschaft kann darauf antworten, indem sie in diesen dunklen Stunden näher zusammenrückt, auf sich und andere achtet und Menschen, die unter der Situation leiden, hilft. Das Wichtigste, was man tun kann, ist, diejenigen in den Vordergrund zu rücken, um die es in diesen Stunden eigentlich geht. Den Todesopfern und den Angehörigen gebührt aufrichtiges Mitgefühl. Für die vielen Verletzten hofft man auf schnelle Genesung. Und den vielen Helferinnen und Helfern des Rettungsdienstes und der Hilfsorganisationen, der Polizei, der Feuerwehr und den Mitarbeitenden in den Krankenhäusern bleibt eines zu sagen: DANKE.
Um zu erfahren, wie man besonders als Helfer mit solchen schrecklichen Einsatzbildern umgehen kann, aber auch, wie man innerhalb der Familie mit den im Fernsehen oder im Internet gezeigten Bildern umgeht, haben wir von OSTHESSEN|NEWS mit Kristina Schmidt gesprochen. Kristina Schmidt ist Leiterin des Einsatzkräftenachsorge-/PSNV-Teams des Landkreises Fulda. Sie war schon bei mehreren Großereignissen bundesweit in der Einsatzkräftenachsorge im Einsatz und ist eine deutschlandweit anerkannte Expertin auf diesem Gebiet.
Was bedeutet so ein Einsatz für die Helfer?
"Ein solcher Einsatz ist für alle eingesetzten Helfer – egal mit welchem Ausbildungsstand – eine außergewöhnliche Belastung, die bisherige Bewältigungsmechanismen in aller Regel übersteigt oder zumindest an Grenzen bringt. Die Einsatzkräfte von Rettungsdienst, Polizei, Feuerwehr und Katastrophenschutz werden ausgebildet, um zu helfen, und sehen sich in solchen Szenarien mit unvorstellbarem Leid und menschlichen Tragödien konfrontiert. Sie kommen, um zu helfen, zu retten – und können dies aufgrund des Missverhältnisses von Opfern und Rettern, den zu behandelnden Verletzungsmustern und der Art des Szenarios nicht in dem Umfang tun, wie sie es gerne würden. Das bringt sie selbst in eine Situation, in der sie zwar erst einmal gut funktionieren, weil sie gut ausgebildet sind, in der sie aber – und das bringen die Art des Einsatzes mit all ihren Facetten mit sich – allumfassend herausgefordert und am Rande ihrer Leistungsfähigkeit sind. Physisch und psychisch.
Solche Einsätze enden für die Einsatzkräfte nicht, wenn Patienten in Kliniken übergeben, Einsatzstellen verlassen und die Kleidung nach dem Dienst ausgezogen ist. Sie "hallen nach" und beschäftigen einen erst einmal weiter.
Daher braucht es gerade nach Ereignissen wie diesen, gute Einsatznachsorgekonzepte mit entsprechenden Angeboten für die Einsatzkräfte, nicht nur in den ersten Stunden und Tagen, sondern auch langfristig. Diese Einsatznachsorgekonzepte müssen nach solchen potenziell hoch belastenden Ereignissen nicht nur niedrigschwellig im Rahmen von PSNV- und Einsatzkräftenachsorgeangeboten zur Verfügung stehen, sondern im Bedarfsfall auch eine Anbindung an niedergelassene Traumatherapeuten und Traumaambulanzen vermitteln, falls hierzu der Bedarf besteht und dies gewünscht ist.
Letztlich sind wir es den Einsatzkräften schuldig, diese nicht nur gut ausgebildet in Einsätze zu schicken, sondern auch wieder gut herauszubegleiten. Denn das, was sie nach solchen Einsätzen erleben, sind normale Reaktionen auf völlig "unnormale Erlebnisse."
Wie kann man selbst bei der Flut an Nachrichten/Bildern mit so etwas umgehen?
"Es ist wichtig, hierbei gut auf sich selbst zu achten und – auch wenn es schwierig erscheint – bewusst ‚nachrichten- und internetfreie Zeiten‘ einzubauen, um der Flut an Bildern und der Dauerberichterstattung zu entgehen. Die eigene Selbstfürsorge endet nicht im Wohnzimmer oder am Handy, und der "Sog der Bilder" ist gerade nach derartigen Vorkommnissen erwiesenermaßen groß und mit erheblicher Dynamik verbunden.
Ja, es ist wichtig, informiert zu bleiben. Aber wenn man Bilder aus Berichterstattungen in Dauerschleife sieht, brennen sich diese unter Umständen ins Gedächtnis ein, und es kann dauern, sie wieder loszuwerden. Deshalb ist es eine bewusste Entscheidung, welche Anteile der Berichterstattung und Nachrichten man sich zu welcher Tageszeit und in welcher Dosis zumutet. Ebenso sind emotional belastende Bilder und Berichte in den Stunden vor dem Zubettgehen weniger hilfreich für einen guten Schlaf als morgens oder in zeitlichem Abstand, wenn man einen halben Tag Zeit hat, um diese zu verarbeiten."
Was sagt man seinen Kindern?
"Im Zentrum steht, seinen Kindern gegenüber immer Gesprächsbereitschaft zu signalisieren und aufmerksam zuzuhören, aber ihnen keine gemeinsamen Gespräche aufzudrängen. Wenn Fragen gestellt werden, sollten diese offen und ehrlich beantwortet werden. Dabei ist es wichtig, nur wirkliche Fakten ins Gespräch aufzunehmen und selbst – auch wenn es aufgrund der eigenen Emotionalität und Betroffenheit schwerfällt – so unaufgeregt wie möglich zu klingen und die nötige Sicherheit zu vermitteln.Die eigene Betroffenheit darf den Kindern gegenüber angesprochen und erklärt werden, denn Kinder spüren so etwas. Wenn derartige Gefühle verheimlicht oder gar negiert werden, verunsichert das oft nur zusätzlich. Medienberichte sollten dem Alter entsprechend gut dosiert und gemeinsam angesehen werden, um aufkommende Fragen beantworten und Reaktionen auffangen zu können.
Auch sollte gut beobachtet werden, wann es "zu viel wird", da Kinder auf visuelle Reize viel intensiver und sensibler reagieren als Erwachsene und diese oft nur schwer verarbeiten."
Somit bleibt neben der Trauer eines festzuhalten: In schweren Zeiten müssen wir noch näher zusammenrücken. Der Fokus muss auf den Opfern und deren Familien und den vielen Menschen, die haupt- und ehrenamtlich täglich für ihre Mitmenschen und die Gesellschaft einstehen, liegen. (Adrian Böhm) +++