

Lindemann: Da taucht das Kaffeetälchen auf. Da, wo du nichts mehr erwartest
13.02.25 - Am Samstag findet in Hohenroda-Ransbach ein Fußball-Testspiel statt. Der gastgebende TSV hat Kali-Werra Tiefenort zu Gast, Anstoß ist um 14 Uhr im Stadion. Ein Testspiel, wen interessiert denn das? Mag sein. In diesem Fall aber ist es mehr. Weit mehr. Ein Traditionsverein trifft einen Kultverein. Einen Verein, der von Kult begleitet ist. Um den Kult weht. Kali Werra, das Örtchen Tiefenort und das schmucke Stadion Kaffeetälchen, das im Wald liegt und spezielle Akustik atmet.
OSTHESSEN|NEWS unterhielt sich mit Mike Lindemann, den Vater von Max, der bei der SG Barockstadt kickt - und für beide Vereine tätig war. Das heißt, von 2012 bis 2016 die FSG Hohenroda trainierte (gibt es seit Sommer vergangenen Jahres nicht mehr) und von 1985 bis 1990 für Kali Werra in der DDR-Liga, der zweithöchsten Spielklasse des Landes,
Als Mike Lindemann, der zuvor die wichtige sportliche Grundausbildung als Leichtathlet mitnahm und erst als 16-Jähriger mit dem Kicken begann, von den A-Junioren in den Männerbereich aufrückte, da stieg Kali Werra ein Jahr später ab - schaffte umgehend aber wieder den Aufstieg in die DDR-Liga. Der Fußball im nahen thüringischen Örtchen Tiefenort sorgte seinerzeit für Furore. Derart, dass Anhänger der Sportart Nummer Eins in Deutschland etwas neidisch über den Zaun blickten, der ja seinerzeit noch existierte.
Bewegen im Neuland, Lindemann weckte Aufmerksamkeit über die Grenzen
"Es war Neuland für mich, weil ich von der Leichtathletik kam - aber gerne Fußball spielen wollte", sagt der heute 55-Jährige, der nach der Wende lange beim TSV Ausbach spielte, dort in jeder Saison Tor um Tor schoss und auch über die Grenzen Aufmerksamkeit weckte. "Und in so einer Mannschaft wie bei Kali Werra Tiefenort zu spielen, das war eine Ehre. Da warst du stolz drauf." Identifikation, die man heutzutage meist vergebens sucht - auch, wenn so mancher davon redet. Rainer Vogt war Lindemanns erster Trainer - und die Spieler, die im Kaffeetälchen kickten, kamen oft aus Magdeburgs oder Dresdens Zweiter. Aber nicht alle.
Auch aus der Region kamen sie. Da waren die Größen Heiko Adler, Achim Burkhart, Ray Klein, Tom Gröll oder auch Holger Gimpel. Lindemann schälte sich, vornehmlich aufgrund seiner Fähigkeit zur Beschleunigung, schnell als Torjäger heraus. Er erinnert sich, dass er einmal acht Tore schoss - im Spiel gegen Schweina. Da waren aber auch Michael Weber, der im Tor von Dynamo Dresdens Zweiter spielte - oder Ronald Baumbach. Der gebürtige Pferdsdorfer wechselte später zu Rot-Weiß Erfurt und spielte nach der Wende im Europapokal gegen Ajax Amsterdam.
Der Ruf als Kultklub wird gepflegt - Podcast zu 35 Jahre Mauerfall Werte wie Heimat, Herz und Leidenschaft - die zählten damals noch. Und sie waren glaubwürdig. Lindemann schaffte seinen Durchbruch als 19-Jähriger. In seinem ersten Jahr wurde er bester Torschütze - obwohl er sich zum Auftakt der Rückrunde im Spiel gegen Ilmenau am Knie verletzte. Auch im zweiten Jahr wurde er, wie man heute sagt, Torschützenkönig. Heute gehört Kali Werra Tiefenort der Kreisliga A in Westthüringen, Staffel 2 - und kämpft dort um den Klassenerhalt.
Was Kali Werra Tiefenorts Ruf als Kultklub begründet? Lindemann beginnt damit, dass im vorletzten Jahr, als die, wie sie heute heißt "SG BSG Kali Werra Tiefenort" ihr 110-jähriges Bestehen feierte, auch Ex-Bayern- und Ex-Nationalspieler Philipp Lahm zu Gast war im "Kaffeetälchen". Der Verein wurde in Lahms Stiftung aufgenommen, der nur fünf Vereine des Amateurfußballs in Deutschland angehören. HR-Reporter Jonas Schulte brachte den Ruf und das Ansehen von Kali Werra Tiefenort durch Initiativen und Berichterstattung ins Rollen. Und am 9. November vergangenen Jahres, diesem geschichtsträchtigen Datum, lud er Mike Lindemann und Heiko Adler zum Podcast ein. Zu 35 Jahre Mauerfall.
Kaffeetälchen: Ein Erlebnis, dort zu spielen. Ein oder eineinhalb Kilometer über einen schmalen Waldweg Spricht man von Kali Werra Tiefenort, spricht man natürlich auch vom Kaffeetälchen. Diesem hübschen Stadion mit legendärem Anstrich, im Wald gelegen. "Das war schon schön. Es war ein Erlebnis, dort zu spielen", läuft es Lindemann noch heute etwas kalt über den Rücken. Der Platz wurde seinerzeit von sieben hauptamtlichen Platzwarten gepflegt - alle waren sie bei Kali Werra beschäftigt. "Wie Wembley-Rasen".
Kultstatus umweht den Verein und seine Anlage auch deshalb, weil die Anlage Treffpunkt zahlreicher Groundhopper - auch wie den Ransbachern Stefan Kontowski und seinem Sohn Felix ist. Und jetzt kramt Lindemann in seiner Erinnerung. "Es war schon gigantisch, als ich als Elf- oder Zwölfjähriger mit meinem Vater hochgelaufen bin durch einen schmalen Waldweg. Ein bis eineinhalb Kilometer. Das Auto musstest du ja im Ort stehen lassen. Und dann taucht das Kaffeetälchen auf - da, wo du nichts mehr erwartest. In den Wald reingebaut. Die Akustik im Kessel. Diese Stimmung. Als Kind war diese Vorstellung gigantisch - und irgendwann stehst du selbst da."
Treffpunkt vieler Groundhopper - Akustik im Kessel Auch Udo Gutwasser sah er dort spielen, der später in Ausbach sein Trainer wurde. Übrigens: So mancher West-Fußballer schwärmt von der guten Grundausbildung, die Kicker in der DDR genossen. Und so mancher wird diese Vorstellungskraft, werden sogar diese Werte "romantisch" vorkommen - was sie ja auch sind, nur allzu oft ist diese Vorstellung, ist dieser Umgang damit negativ besetzt in der heutigen Gesellschaft. Viele akzeptieren das oberflächlich. Ohne darüber nachzudenken. "Vor Kurzem sollte dort ein Kunstrasen hin", erzählt Lindemann. "Da hat sich eine Bürgerinitiative gegründet. Und es kam keiner hin." Gott sei Dank.
Eine Anekdote hat Lindemann noch auf Lager. Irgendwie wohnt sie in seinem Herzen. "Nach Tiefenort, zu Kali Werra und ins Kaffeetälchen kommen jedes Wochenende Leute aus dem Ausland. Als ich am 9. November dort war, war auch ein Australier vor Ort. Er schrieb ein Buch über so kleine Vereine im deutschen Amateurfußball. Da kommt der von Australien angereist", dachte sich Lindemann. Der Weitgereiste wohnte bei Heiko Adler. Und wir öffnen unser Herz und seine tiefe Fußballgrube. Die ist mit vielen Emotionen gefüllt. (wk) +++