Das interkulturelle Frühstück findet monatlich im Stadtteiltreff West statt. - Foto: antonius

FULDA Zwischen Rotkraut und Burkini

Wie Frauen mit Migrationshintergrund durch Bewegung stärker werden

20.03.25 - Im Alltag treffen Frauen mit Migrations- und Fluchterfahrung auf Barrieren. Ein Projekt des Stadtteiltreffs West zeigt, wie ihnen geholfen werden kann, sich selbst zu helfen.

Frauen mit Migrations- und Fluchterfahrung sollen auf eigenen Beinen stehen können – das ist das Ziel. Nur nicht beim Schwimmtraining: Da gilt es, die Beine auch mal hochzunehmen und loszulassen. Gar nicht so einfach, wenn man sich als Nichtschwimmer unsicher im Wasser fühlt. Genau dieser Unsicherheit hat Assiya Eisert den Kampf angesagt. Sie ist Leiterin des Stadtteiltreffs West, der zu antonius gehört und mit dem das Ziel verfolgt wird, Begegnungen zwischen den Menschen von antonius und der Nachbarschaft zu schaffen. Ihr Projekt mit dem Konzept "Bewegung und Empowerment: Für Frauen, die mehr wollen" wurde im Dezember 2024 mit dem dritten Platz beim Preis für Vielfalt und Teilhabe der Stadt Fulda ausgezeichnet. Eine Anerkennung, über die sich Eisert sehr freut. Denn in ihrem Projekt steckten viel Arbeit und Herzblut.

Das Angebot des Stadtteiltreffs geht nämlich weit über das Schwimmtraining hinaus. So wird den Frauen, die zwischen 38 und 50 Jahren alt sind, auch Radfahren beigebracht, es wird gemeinsam getanzt, Gymnastik gemacht – und das sind nur die sportlichen Angebote. Dann gibt es noch ein interkulturelles Frühstück, einen interkulturellen Länderabend, Nähkurse und vieles mehr. Besonders beliebt bei den Frauen sind allerdings die gemeinsamen Ausflüge. "Das liegt auch daran, dass man sich dabei nicht so anstrengen muss, wie etwa beim Radfahren", vermutet Eisert lächelnd. Außerdem kommt alles gut an, wo man zusammen etwas erlebt und das Leben unter Frauen feiern kann. Aber auch Schwimmen und Nähkurse sind beliebt. "Und sogar das Radfahren – auch wenn es anstrengend ist."

Dass das Angebot so gut ankommt, ist kein Zufall. Denn es ist eine Antwort auf ein Bedürfnis, das bereits vorhanden war. "Ich habe die Frauen gefragt, was sie sich wünschen. Da kam dann raus: Schwimmen lernen – und Radfahren", erinnert sich Assiya Eisert. "So hat sich das dann ergeben."

Auf der Suche nach einer geschützten Atmosphäre

Das Projekt auf die Beine zu stellen war allerdings mit Herausforderungen verbunden. "Schwierig war, erstmal einen Raum zu finden, wo man geschützt mit Frauen schwimmen kann", berichtet die Leiterin des Stadtteiltreffs. Eine geschützte Atmosphäre ist bei dem Angebot sehr wichtig. "Zu uns kommen vor allem muslimische Frauen aus Syrien, Marokko und Afghanistan. Das bedeutet, wenn wir hier zum Beispiel Frauentanzen haben, mache ich die Rollos runter."

Eine geschützte Möglichkeit bot sich dann im Schwimmbad der Caritas. Aber: Immer pünktlich um 15 Uhr kam der Bademeister, um eine Wasserprobe zu nehmen. Für die Frauen ein absolutes No-Go. "Da fing ich dann an, den Frauen etwas zuzumuten. Ich habe gesagt: ‚Ok, wir können ihn nicht abbestellen. Aber ihr wisst, er kommt genau um 15 Uhr, und wer das nicht möchte, geht einfach in den sicheren Duschraum‘. Und tatsächlich: von der großen Gruppe gab es nur eine Frau, die damit Probleme hatte."

In dieser Abhängigkeit von geschützten Räumen sieht Eisert eine alltägliche Barriere für die Frauen, die ihr Angebot besuchen. Eine weitere Barriere stellt die Sprache dar. Doch auch daran wird gearbeitet, zum Beispiel in Form eines Sprachcafés, bei dem jede Frau 5 Minuten Sprechzeit hat und aus dem Bauch heraus auf Deutsch erzählen kann, was sie gerade beschäftigt. "Das klappt sehr gut", findet die Projektverantwortliche.

Von den Teilnehmerinnen der Angebote kommen positive Rückmeldungen. Auch eine tiefe Dankbarkeit erkennt Eisert, für die Möglichkeit, auch mal etwas "ohne Kind und Kegel" zu erleben. Außerdem merken die Frauen, wie sie von Woche zu Woche besser werden. "Frauen, die anfangs gar nicht schwimmen konnten, fragen jetzt nach Rückenschwimmen. Das finde ich mega."

Positives Selbstbild und Selbstständigkeit im Vordergrund

Die Angebote des Stadtteiltreffs West zielen nicht nur auf die Förderung der körperlichen Fitness ab. Im Vordergrund steht, das positive Selbstbild und die Selbstständigkeit der Frauen zu stärken – ein Ziel, das bei antonius auch in anderen Bereichen eine wichtige Rolle spielt. Wie das funktioniert, erklärt Eisert anhand eines aktuellen Beispiels: "Gestern Abend habe ich einer Teilnehmerin des Schwimmtrainings noch gesagt, dass sie nachkommen kann, weil sie vorher einen Termin hat. In der Zwischenzeit haben die anderen Teilnehmerinnen allerdings abgesagt, also habe ich kommuniziert, dass es ausfällt." Die Nachzüglerin hatte die Nachricht aber nicht rechtzeitig gelesen. "Vorhin hat sie mir berichtet: ‚Ich habe euch gesucht, aber niemanden gefunden. Ich bin dann aber trotzdem geschwommen.‘ Ich glaube, wenn sie es vorher gewusst hätte, wäre sie nicht zum Schwimmen gegangen. Aber das macht einen eben stark, solche Situationen."

Für Eisert sind es deshalb echte Erfolgsgeschichten, wenn die Frauen mit ihrer Familie schwimmen gehen oder am Wochenende zu Ausflügen mit der Familie aufbrechen. "Die Ausflüge mache ich deshalb immer so rudimentär – beispielsweise fahren wir mit dem Bus –, dass die Frauen die Abläufe genauso nachmachen können." Als Erfolg empfindet die Leiterin des Stadtteiltreffs es außerdem, wenn sich die Teilnehmerinnen auf Neues einlassen. So lernen die Frauen beim gemeinsamen Kochen zum Beispiel deutsche Gerichte kennen. "Vorgestern haben wir frisches Rotkraut gekocht. Dann sagen einige erst ‚Nee, das probiere ich nicht‘. Ich lasse dann aber nicht locker, bis sie probiert haben, und dann merken sie, dass es wirklich gut schmeckt. Wenn ich sie überraschen oder ihre Vorbehalte abbauen kann, freut mich das. Und dass sie sich auf unsere Kultur einlassen, das berührt mich."

Besonders berührt haben Eisert auch die Erzählungen der Frauen über den Krieg in ihrer Heimat. Eine Mutter berichtete von ihrem Kind, das in Syrien in einen Transporter gesetzt wurde. "Sie wusste vier Monate lang nicht, ist das Kind angekommen? Wo ist es angekommen? Ich bin selbst Mutter und da habe ich dagesessen und habe echt geweint, das hat mich so tief berührt."

Hinzu kommt, dass die Projektverantwortliche einen persönlichen Bezug zu ihrer Arbeit hat. "Mein Papa ist Türke und meine Mama Deutsche. Man wusste damals noch nicht so richtig, wie man mit uns umgeht. Ich habe jede Menge Diskriminierung erfahren." Als sie 2013 bei antonius anfing, hat ihr Herz deshalb ziemlich hochgeschlagen. "Wenn man in so einer sozialen Arbeit steht, bringt man sich immer selbst mit."

Für die Zukunft des Projekts wünscht sie sich, dass jedes Angebot irgendwann so selbstständig läuft, dass "ich da nicht mehr drinstehen muss. Also dass sie hingehen, weil sie gespürt haben, ‚es tut mir gut‘." Ihre Motivation fasst Eisert deshalb wie folgt zusammen: "Ich möchte, dass die Menschen das ohne mich schaffen. Wenn ihnen das Spaß macht und sie mit Herzblut dabei sind, ja dann bin ich auch mit meinem Herzblut da." (nia/pm) +++


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