Gast-Kommentar von Manfred Pentz, Hessischer Minister für den Bund, Europa, Internationales und Entbürokratisierung. - Archivfotos: Hendrik Urbin

WIESBADEN "Jammern der Europäer ist nicht angebracht"

Gast-Kommentar von Manfred Pentz: Europa darf Amerika nicht aufgeben

20.04.25 - Seit dem 18. Januar 2024 ist Manfred Pentz der Hessische Minister für den Bund, Europa, Internationales und Entbürokratisierung. Der 45-Jährige ist römisch-katholisch, verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in der 15.000-Einwohner-Gemeinde Groß-Zimmern im Landkreis Darmstadt-Dieburg. Er hat kroatische Wurzeln. Im OSTHESSEN|NEWS-Gast-Kommentar spricht er über Europa und das Verhältnis zu Amerika.

Europas Wehklagen über das "böse Amerika" ist unangebracht. Denn von einem überraschenden Liebesentzug der Trump‘schen Administration kann keine Rede sein. Der transatlantische Entfremdungsprozess findet bereits seit Jahrzehnten statt und beide Seiten haben die Warnsignale ignoriert.

Spätestens seit dem Fall des Eisernen Vorhangs vor über drei Jahrzehnten hat sich Europa überwiegend mit sich selbst beschäftigt. Doch während Europa immer enger zusammenwuchs, verharrte seine Sicherheitsstrategie im Kalten Krieg. Weder die europäische Integration noch die Osterweiterung ging mit einer wesentlichen Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeit einher. Den Preis zahlten die Amerikaner in Form von Truppenstationierungen, Material und entsprechenden Kosten. Europa hingegen investierte lieber in den Wohlfahrtsstaat. Die Friedensdividende, eigentlich das Maß für die Umverteilung von Kosten aus dem Budget der Sicherheit in zivile Bereiche, wurde mehr und mehr zu einer Zustandsbeschreibung. Eines Prozesses, in dem Amerika immer zorniger und Europa militärisch immer schwächer wurde.

Ja, man kann beklagen, dass die stolzen Demokratien beiderseits des Atlantiks es nicht vermochten, Politiker mit einem Sinn für das Gemeinsame zu stärken. Politiker, die vielleicht in der Lage gewesen wären, das Auseinanderdriften der engsten Verbündeten des 20. Jahrhunderts zu verhindern. Man kann es beklagen, doch es ändert nichts. Die USA haben spätestens seit 9/11 eine völlig andere Sicherheitswahrnehmung und verfolgen deshalb auch eine völlig andere Sicherheitsstrategie als noch im Kalten Krieg. Eine ambivalente Strategie, die sich auf der einen Seite dem globalen Kampf gegen den Terror, respektive gegen die Feinde Amerikas, widmet und auf der anderen Seite eine isolationistische Politik verfolgt. "Make Amerika Great Again" bezieht sich gerade nicht auf den einstigen militärischen Großmachtstatus, sondern vielmehr auf das selbstverliebte Spiegelbild des (weißen) Amerikas. Das haben viele Akteure in Europa nicht verstanden.

"Beide Seiten haben Warnsignale ignoriert"

"Europas Wehklagen über das „böse Amerika“ ist unangebracht"

"Der transatlantische Entfremdungsprozess findet bereits seit Jahrzehnten statt" ...

"Die Leidenschaft der einstigen Verbündeten war abgekühlt"

Denn anders ist es nicht zu erklären, warum Europas Politiker dem nahezu tatenlos zugesehen haben – über Jahrzehnte. Mehr noch: Viele träum(t)en gar von einer europäischen Armee als Gegenmodell zur US-dominierten NATO (freilich ohne diese ausreichend finanzieren zu wollen). Die militärische Realität konnte man 1999 im früheren Jugoslawien und kann man aktuell in der Ukraine sehen.

Aus Sicht der US-Politik wurde Europa deshalb mehr und mehr zu einem teuren Sicherheitsrisiko. Zusammengehalten wurde das Bündnis anfangs noch von wenigen persönlichen Beziehungen. Freundschaften, wie sie zum Beispiel zwischen Dr. Helmut Kohl und dem damaligen Präsidenten George H. W. Bush (Senior) bestanden. Doch mit dem Ausscheiden beider aus ihren Ämtern erloschen auch die letzten ernst gemeinten Bemühungen, die guten transatlantischen Beziehungen zu erhalten. Eine Dekade später war es ausgerechnet der heutige Putin-Unterstützer Gerhard Schröder, der im Jahr 2002 auf dem Marktplatz in Hannover, nur knapp ein Jahr nach den schlimmsten Terroranschlägen in der Geschichte der USA, erklärte, man würde die versprochene uneingeschränkte Solidarität eigentlich doch ziemlich einschränkend meinen.

Und auch wenn der Irakkrieg ein Fehler war, hätte es andere Formen der Kommunikation unter Freunden gegeben. So war es eine uneingeschränkte Absage an das transatlantische Bündnis, die in der politischen Klasse Amerikas einen enormen Schaden angerichtet hat. Gerade die Deutschen, denen man in der Stunde der Not mit einem gewaltigen Blutzoll zur Seite stand, gerade die Deutschen, denen man in der Stunde Null mit massiven wirtschaftlichen Anstrengungen unter die Arme gegriffen hatte, gerade die Deutschen, denen man international zur Rehabilitierung nach dem Schrecken des NS-Regimes verholfen und deren staatliche Einheit man später unterstützte und die dadurch so einflussreich innerhalb der EU werden konnten: Gerade diese Deutschen haben bei zweiter Gelegenheit ihre Solidarität aufgekündigt. Dieser Vertrauensbruch wurde nie ganz repariert und allenfalls durch die militärische Unterstützung der Europäer und den damit verbundenen Blutzoll in Afghanistan notdürftig überdeckt.

Als Donald Trump 2016 erstmals ins Amt gewählt wurde, kam er deshalb nicht als der Zerstörer der NATO oder der Sargnagel der transatlantischen Beziehungen. Er sprach lediglich aus, was längst offensichtlich war. Die Leidenschaft der einstigen Verbündeten war abgekühlt. Im Januar 2025 war sie nahezu erloschen.

"Das Jammern der Europäer ist nicht angebracht"

Deshalb: Das Jammern der Europäer ist nicht angebracht. Die Strategie Donald Trumps gegenüber Russland und China besteht eben nicht nur aus impulsiven, testosteron-gesteuerten Manövern, sondern sie passt in die jahrzehntelang gewachsene Neuausrichtung der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik. Diese ist genauso isolationistisch wie sie auf die Maximierung wirtschaftlicher Vorteile ausgerichtet ist. Russland wird dabei lediglich als Störfaktor, nicht aber als ernstzunehmender Systemrivale wahrgenommen. Dieser ist vornehmlich China. Solange Russland also der amerikanischen Chinastrategie nicht im Wege steht, wird die USA keine Politik der politischen oder militärischen Supremacy in Europa mehr betreiben. Es rechnet sich einfach nicht und so reihen sich auch die Rohstoff-Forderungen Donald Trumps gegenüber der Ukraine genauso in dieses Denkmuster ein, wie die Androhung des Abzugs von US-Truppen aus Europa oder die verrückte Zollpolitik gegenüber der EU.

WWenn Europa eine globale Macht sein will, dann muss es auch wie eine globale Großmacht ...

"Das Jammern der Europäer ist nicht angebracht"

"Es ist unser ureigenes Interesse, unsere amerikanischen Freunde nicht aufzugeben" ...

Und Europa? Europa argumentiert nach wie vor mit moralischem Habitus und der Aufrechterhaltung der Nachkriegsordnung. Einer Ordnung, von der vor allem Europa profitierte. Doch nicht erst Donald Trump, sondern schon die frühen NeoCons in den US-Think-Tanks, empfanden den Multilateralismus als Fessel des amerikanischen Riesen und Europa als undankbaren, unverlässlichen Bündnispartner. Bitte nicht falsch verstehen: An Multilateralismus ist nichts falsch und Europa sollte weiter daran festhalten. Es war aber die Vorstellung einer rein zivilen Friedensmacht Europas, die von Anfang an eine Illusion war. Eine Selbsttäuschung, die dazu geführt hat, dass sich der alte Kontinent fast vollständig von der sicherheitspolitischen Realität ablöste. Hier liegt die transatlantische Sollbruchstelle, die Wladimir Putin sehr gezielt ausnutzt. In der Ukraine, aber längst auch schon im Baltikum, bei den EU-Beitrittsstaaten oder im Ostsee- und Mittelmeerraum.

"Amerikanischen Freunde nicht aufgeben"

Das soll kein Aufruf zur Unterwerfung unter die geopolitische US-Doktrin sein, sondern die Aufforderung an uns Europäer, Amerika besser verstehen zu wollen – in unserem eigenen Interesse! Denn wenn Europa eine globale Macht sein will, dann muss es auch wie eine globale Großmacht handeln. Dann muss es seine eigenen Interessen besser verstehen lernen, besser formulieren und selbstbewusster in der Welt vertreten. Voraussetzung dafür ist, dass wir unsere sicherheitspolitischen Hausaufgaben machen. Genau das aber machen wir nur bedingt. Denn auch, wenn es jetzt europaweit viele Ankündigungen gibt, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, verharrt unsere Verteidigungsstrategie überwiegend in nationalen Kategorien. Wir arbeiten nur halbherzig an der Verbesserung unserer gesamteuropäischen Verteidigungsbereitschaft und sind kaum im Stande, unsere vergleichsweise schwachen militärischen Kapazitäten zu koordinieren.

Aus der gegenwärtigen Perspektive bleibt Europas beste Option deshalb, seinen Beitrag innerhalb der NATO, dem globalen Verteidigungsbündnis der Demokratien, zu stärken – möglichst schnell und möglichst sichtbar. Und zu diesem Bündnis gehören allen voran die USA. Es ist deshalb unser ureigenes Interesse, unsere amerikanischen Freunde nicht aufzugeben. (Manfred Pentz) +++


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