
Fleischwurst oder Tofu-Taschen? - Japanischer Imbiss sorgt für neuen Hype
22.04.25 - Mit Zeichensprache, ihrem herzhaften Lachen und ein paar Brocken Englisch bekommt Ilse Schneider auch die drei jungen Asiatinnen vor ihrer Theke satt. Zumindest freuen sie sich, ein Stück Fleischwurst, Semmel und Senf in ihren Händen zu haben und natürlich: Bevor dieses so typisch deutsche Essen in ihren Mägen landet, muss erstmal die ganze virtuelle Welt davon erfahren.
Ein älterer Herr in feinem Anzug tupft seine Krakauer direkt im Senf. Klassisch und vermutlich seit vielen Jahren wird er dieses Ritual in der Kleinmarkthalle durchziehen. Schließlich steht "Wurst Ilse" seit über 40 Jahren in ihrem kleinen Stand. Wie es läuft? "Aus meiner Sicht gut, ich bin zufrieden, im Moment läuft alles bestens", sagt die 85-jährige Wurstverkäuferin im OSTHESSEN|NEWS-Interview, während sie gemeinsam mit einer Kollegin die Touris aus Fernost bedient. In Oberschlesien geboren, kam sie nach Aschaffenburg, ging dort zur Schule, lernte ihren späteren Mann kennen und heiratete ihn mit 18 Jahren. Sie sei in den Haushalt gekommen, ihr Mann war Metzgermeister, ein sehr guter Metzger, wie Frau Schreiber erzählt.
Ihr Anton ist vor über 20 Jahren verstorben. Trotz des schmerzhaften Verlustes machte sie weiter. Sie ist eine Attraktion, ein Markenzeichen des Marktlebens in der Kleinmarkthalle - seit Jahrzehnten. Touris, Banker und natürlich viele Frankfurter kommen regelmäßig zum Schreiber-Kabuff. Fleischwurst, Gelbwurst, Rinds- oder Krakauer - mit Semmel, oder direkt in die Serviette, Senf und einem flotten Spruch von Ilse.
"Das können Sie nicht aufhalten"
Vor dem gefliesten Verkaufstresen sind Warteschlangen ein gewohntes Bild. Seit einigen Wochen hat Ilse neue Nachbarn. Wenn ihr Anton das wüsste. Hier ist die Welt eine ganz andere. Gefüllte Tofu-Taschen und Matcha gibt es, der geflieste Tresen ist grün und die Schlange reicht häufig bis zum Eingang der Kleinmarkthalle. Ilse Schreiber findet das gut. "Das sind junge Leute, das können Sie nicht aufhalten. Die haben andere Ideen, das ist ja asiatisch. Das muss man nehmen, wie es kommt", sagt Schreiber trocken. Sie hat viele kommen und gehen gesehen.Genau diese Mischung macht die Markthalle so besonders. Um Inari-San ist ein echter Hype entstanden. Hier bekommt die virtuelle Welt sogar ein reales Gesicht - nein, sehr viele Gesichter. Inari sind mit Sushi-Reis gefüllte Tofu-Taschen. Der Gipfel der Genüsse sind die Toppings. Die Influencerin und Food-Bloggerin Phi Cuc und ihr Team scheinen den Geschmacksnerv vieler junger Menschen getroffen zu haben. Auch ich habe ich mich einfach mal angestellt, dem Herdentrieb folgend. Warum stehen sie hier alle herum und warten ganz geduldig, frage ich mich minutenlang. Vorwärts geht es kaum, egal. Nach knapp 40 Minuten bin ich an der Kasse angekommen und darf bestellen. Was ich genau bestellt habe? Keine Ahnung. Drei Tofu-Taschen, zwei vegan, eine mit Fisch. Dazu ein Matcha - ohne Bananenpudding. Mist, genau diese Variante ist der absolute Renner, "swipe" ich später.
Hand in Hand auf 18 Quadratmetern
Hinter der Theke arbeiten sieben junge Leute auf 18 Quadratmetern. Einer formt die Taschen, ein anderer füllt sie mit Reis, einer macht die Toppings, ein weiterer flambiert sie, daneben wird vorbereitet und vorne kreiert eine junge Dame mit speziellem Besen das Grünteepulver zu einem Matcha. "Hans", ruft einer von ihnen. Oh, jetzt bin ich dran. 15 Minuten habe ich gewartet, mir dieses Schauspiel angeschaut und bin einfach begeistert von dieser positiven Stimmung in der Küche. Keine Hektik, kein Stress, trotz der geschätzt 30 Kunden in der Schlange. Auch hier kein Murren, kein gehetztes auf die Uhr schauen oder gar meckern. Wie? Das geht auch so gechillt?Bevor ich nun endlich die Teile probiere, müssen sie - natürlich - fotografiert werden. Dann der erste Happen. Jetzt verstehe ich, wieso so viele auf Inari-San schwören. Mega lecker sind sie. Das Schlangestehen hat sich absolut gelohnt.
Auf Instagram und TikTok nimmt die Inhaberin ihre Fans mit, schon Wochen bevor ihr Stand in der Kleinmarkthalle aufgemacht hatte. Die Verknüpfung von Social Media und das reale Leben ist durchaus eine Chance - auch für eine traditionsreiche Stätte. Die Markthalle wurde im Jahr 1954 in der Altstadt von Frankfurt am Main gebaut. Über 60 Händler bieten ihre Lebensmittel aus aller Welt und der Regionen an. Viele Stammgäste lieben dieses geschäftige Treiben, schlürfen ihren Espresso oder nippen am Weinglas. Mit dem Einzug von Inari-San kommt ein neues Publikum hinzu.
"Die waren vorher noch nie hier"
"Zu 99,9 Prozent stehen da Menschen, die noch nie vorher in der Kleinmarkthalle waren. Das ist Kundschaft, die wir vorher noch nicht hatten. Ich finde es gut, es sind junge Leute. Neue Kundschaft tut uns gut. Allein wenn jeder Zehnte von ihnen zu Hause von uns erzählt und sie dann hierherkommen, haben wir alle schon gewonnen", sagt Marie von der Mathilda Konditorei. Sie bietet süße Törtchen. Allein deren Anblick ist schon ein Genuss.Wurst Schreiber, Inari-San und Mathilda Konditorei sind drei Beispiele für die Vielfalt der Kleinmarkthalle in der Main-Metropole. Persische Gewürze, spanische Tapas, Nudeln aus Italien, Vogelsberger Wurscht, Brot aus Rheinland-Pfalz, alle möglichen Gemüse- und Obstangebote, Blumen, Pflanzen - diese Liste lässt sich weiter fortführen.
Die Kleinmarkthalle (weitere Informationen zur Frankfurter Markthalle) hat übrigens werktags von acht bis 18 Uhr, samstags bis 16 Uhr geöffnet. Die Tofu-Taschen gibt es ab 11:30 Uhr (samstags ab 10:30 Uhr) bis zum späten Nachmittag.
Die wunderbare, freundliche Atmosphäre gibt es hier übrigens gratis. Das haben die gestandene Ilse Schreiber, Marie mit ihren Törtchen und die jungen Hüpfer vom Tofu-Taschen-Stand gemeinsam. (Hans-Hubertus Braune) +++