

Literatur im Stadtschloss: Martina Hefter - Hey guten Morgen, wie geht es Dir?
23.04.25 - Die Vergabe des Deutschen Buchpreises 2024 verlief nicht ohne Aufruhr und Emotionen. Nicht nur Clemens Meyer war davon ausgegangen, ausgezeichnet zu werden, das traf auch für einen Großteil der Presse und der literarisch interessierten Leserschaft zu.
Es kam anders: Für ihren Roman "Hey, guten Morgen, wie geht es Dir" erhielt Martina Hefter den Deutschen Buchpreis, sowie den Wiesbadener Literaturpreis und den Großen Preis des Literaturfonds.
Komödie der prekären Verhältnisse
Ganz schön viel. Aber: Preise spiegeln Vorlieben von Jurys und Zeitläufen wider, sie sind nicht notwendigerweise ein Qualitätsbeweis. Deshalb bleibt es auch diesmal Ihnen, liebe Leser:innen, überlassen, wie Sie über dieses Werk urteilen und wie es in Ihr Leben passt. Das ist vielleicht die entscheidende Kategorie, denn Bücher beginnen erst im Gespräch mit uns zu funkeln und nicht, weil Literaten sie bewerten oder Preise vergeben.Klaus Orth, erklärter Literaturliebhaber im Fuldaer Kulturamt, übernahm an diesem Abend die Einführung und Begrüßung. Ihn habe die Verbindung aus sprachlichen und tänzerischen Elementen in diesem Buch besonders gereizt, erzählte er, sichtlich begeistert von Hefters Roman. Den hat die Performance-Künstlerin und Autorin Martina Hefter stark autobiografisch angelegt. Juno, die Protagonistin, trägt bis hin zu den Tattoos deutliche Züge der Autorin. Auch sie ist Tänzerin. Ihr Mann Jupiter ist Schriftsteller wie Hefters Mann Jan Kuhlbrodt, leidet wie dieser unter Multiple Sklerose und wird von ihr gepflegt.
Die medizinische Lage führt zu schwierigen finanziellen Verhältnissen. Göttliche Namen für sehr irdische Probleme also. Und ein ziemlich ehrlicher Roman, was das Zurechtkommen damit angeht. Die Lage ist so gut wie immer prekär, denn das Geld reicht eigentlich nie. Hefter beutet das aber nie aus und erzeugt auch keine Larmoyanz, sie bleibt sachlich-realistisch und würzt das immer wieder mit Humor. Wer einmal für Angehörige Anträge zwecks Einstufung in einen Pflegegrad gestellt hat, wer einen Familienangehörigen pflegt, weiß, dass man dafür eine gewisse stählerne Resilienz braucht. Es muss weitergehen, also wird es weitergehen. Alles eine Frage der Haltung. Hier dürften sich viele wiederfinden.
Nachts, wenn andere schlafen
Vielleicht als Antidote sucht Juno deshalb nachts Abwechslung statt Schlaf und chattet mit sog. Love Scammern. Die sind die Social Media-Variante des sattsam bekannten Heiratsschwindlers – sie gaukeln ihren Opfern Liebe vor, um sie nach Strich und Faden auszunehmen. In der Gefahr ist Juno nicht, denn sie sucht keine Romantik, sondern Wege, mit ihrer Schlaflosigkeit umzugehen. Lustvoll entlarvt sie die Scammer und ihre Methoden und lügt dreist zurück. Sehnsucht und Liebesbedürftigkeit hat sie drauf, mischt hin und wieder aber auch Authentisches darunter. Dann aber trifft sie Owen_Wilson223 alias Benu aus Nigeria. Undurchsichtig und interessant. Zwischen beiden entspannt sich ein Dialog und man fragt sich beim Lesen: Ist es ernst? Mögen die sich wirklich? Oder handelt es sich nur um ein Spiel? Hefter verglich die Chatverläufe mit Theaterdialogen, nur dass es hier auch viele ausgeschriebene Emojis gibt. Wie man sich halt in Messengern so unterhält.Am Schluss ihrer Lesung ging Martina Hefter auf den "Pas de Quatre" ein, das erste handlungsfreie Ballett, das es jemals gab (1845). Im Roman studiert Juno den mit Freundinnen ein und führt ihn auf, Hefter selbst hat ihn auch schon getanzt. Sie sah darin eine Metapher für die "gewisse Abstraktheit" ihres Romans, in dem es um Situationen statt Handlung ginge, und das immer wieder anders und neu. Damals brachte das Stück die bekanntesten Tänzerinnen der Zeit zusammen (Marie Taglioni, Carlotta Grisi, Lucille Grahn und Fanny Cerrito). Choreograf Jules Perrot wollte, dass alle vier ihre Vorzüge auf die Bühne bringen konnten. Natürlich ist das auch ein Wettstreit der Primaballerinen, die hier quasi selbst zur Story werden.
Viel Applaus für "Hey guten Morgen"
Die geschilderten Erfahrungen sind ehrlich und authentisch– von zu schweren Aufstehhilfen bis Löchern im Asphalt und nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellten Einstiegshilfen in den ICE. Hefter weiß aus eigener Erfahrung, dass gleiche Lebensverhältnisse, erst recht für Menschen mit Behinderungen, in diesem Land ein Traum sind und dass Nicht-Behinderte zu wenig mit den Augen der Behinderten 'sehen' und deshalb oft falsch planen. Es ist ätzend, immer wieder an den gleichen Hindernissen zu scheitern, statt für seine Beeinträchtigungen kluge und funktionierende Hilfen zu finden. In vielen Dokumentationen oder Sozial-Reportagen ist darüber berichtet worden. Warum also nicht auch in einem Roman? "Hey guten Morgen" ist nett und unterhaltsam zu lesen, trotzdem macht mich dieses Buch nicht satt. Hier verstört nichts, hier irritiert nichts, hier nervt nichts. Alles ist, wie es ist. Es ist geschriebene Performancekunst, aber ohne Widerhaken. Das Publikum in gut gefüllten Fürstensaal spendete viel Applaus und stellte sich geduldig zum Signieren an, dann blieb noch Zeit für Plaudereien bei Brez’n und einem Glas Wein.
Am 07. Mai findet direkt die nächste Lesung statt: Anna Katharina Hahn liest aus "Der Chor" – um 19 Uhr im Fürstensaal.