
In Israel und auch in Fulda gedenkt man der ermordeten Juden
24.04.25 - Am Jom Ha’Shoa gedenkt Israel der Opfer der Shoa und des jüdischen Widerstands gegen das NS-Regime. Wie jeder jüdische Feier- und Gedenktag beginnt auch der Jom Ha’Shoa bei Sonnenuntergang. Abends findet eine Gedenkfeier statt, am Morgen darauf steht das ganze Land um 10:00 Uhr für zwei Minuten still und die Sirenen heulen – für das kollektive Gedenken an 6 Millionen ermordete Juden.
In Fulda gedenkt man der ermordeten Juden
In Israel gibt es den Jom Ha’Shoa seit den 1950er Jahren, in Fulda gedachte man in diesem Jahr erstmals der Opfer und Widerstandskämpfer der Shoa, aus Verbundenheit mit den Juden in aller Welt, für die dieser Tag eine große Bedeutung hat. Organisiert hatten die Gedenkfeier Anja Listmann, Fuldas Beauftragte für Jüdisches Leben und die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit GCJZ unterstützt vom Bistum Fulda und der Stadt Fulda. Die Katholische Kirche vertraten Stadtpfarrer Stefan Buss und Dr. Peter Zürcher, der persönliche Referent von Bischof Dr. Michael Gerber, für die evangelische Kirche waren Dekan Dr. Thorsten Waap und Pfarrer Edwin Röder dabei. Bürgermeister Dag Wehner vertrat die Stadt Fulda, anwesend waren auch die Stadtverordneten Dr. Albert Post und Dr. Sebastian Koch.
Punkt 10 Uhr läuteten die Glocken der Stadtpfarrkirche für zwei Minuten, dann begann die kleine Gedenkfeier am Bahnhofsplatz. "Dieses Kapitel deutscher Geschichte ist kein Vogelschiss", begann Anja Listmann ihre Begrüßung. "Es ist wichtig, dass wir uns erinnern, denn das ist unsere Verantwortung. Die Geschichten der Opfer sollen lebendig bleiben." Das Gedenken sei ein Statement gegen Antisemitismus und fördere das historische Bewusstsein, "so ein Tag hilft dabei, aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und Konflikte besser einzuordnen", so Anja Listmann.
Jeder Mensch hat einen Namen
Wie in Israel verlas man auch in Fulda das Gedicht "Lechol isch jesch schem" (= Jeder Mensch hat einen Namen) von Zelda Schneersohn-Mishkovsky. Es sind bewegende, berührende Worte – Worte gegen die Entmenschlichung und gegen das, was der gerade verstorbene Papst Franziskus die "Globalisierung der Gleichgültigkeit" genannt hat. Sie, die Sie heute nicht dabei sein konnten und jetzt diesen Text lesen, bitten wir, das Gedicht ruhig laut zu lesen und dabei Ihre Gedanken zu den Opfern und Kämpfern der Shoa wandern zu lassen:
Jeder Mensch hat einen Namen
den GOTT ihm gegeben
den Vater und Mutter ihm gegeben.
Jeder Mensch hat einen Namen,
den seine Gestalt und sein Lächeln ihm geben.
Jeder Mensch hat einen Namen,
den das Gebirge ihm gibt
und die Wände, in denen er lebt.
Jeder Mensch hat einen Namen,
den seine Sünde ihm gibt
und die Sehnsucht, die sein Leben prägt.
Jeder Mensch hat einen Namen,
den seine Feinde ihm geben
und den seine Liebe ihm gibt.
Jeder Mensch hat einen Namen,
den seine Feste ihm geben
den seine Arbeit ihm gibt.
Jeder Mensch hat einen Namen
vom Kreislauf des Jahres
und von seiner Blindheit ihm beigelegt.
Jeder Mensch hat einen Namen,
den das Meer ihm gibt
und schließlich auch der eigene Tod.
Wir sagen ihre Namen: 443 ermordete Juden
Die Fuldaer Juden wurden ermordet in Auschwitz, Bergen Belsen, Buchenwald, Burggraben, Dachau, Gurs, Kaiserwald, Kowno, Krasnicyn, Kulmhof, Litzmannstadt, Lublin, Majdanek, Marburg, Mauthausen, Mette, Rehmsdorf, Reval, Riga, Salaspils, Shanghai, Sobibor, Stutthof, Theresienstadt, Treblinka, Vernet, Hadamar, Haina und Pirna. Bei 86 von ihnen kennt man weder den Todesort noch das Todesdatum. 443 Namen fuldisch-jüdischer Opfer wurden dann verlesen. Der erste Name war der Fanny Adlers, die am 5. September 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort am 21. September ermordet wurde. Der letzte Name war der Simon Zuckers, dem zwar die Flucht nach Frankreich gelang, über dessen Schicksal danach aber nichts weiter bekannt ist.
Namen sind Menschen. Menschen, die hier geboren wurden, hier lebten und arbeiteten, beteten und feierten, und die aus unserer Mitte deportiert wurden. Anja Listmann, Roman Melamed, der Vorbeter der Jüdischen Gemeinde und Jutta Hamberger, Vorsitzende der GCJZ, wechselten sich mit dem Lesen der Namen ab. Wenn ein Name mehrmals hintereinander erklingt, wird einem mit einem Schlag bewusst, dass ganze Familien ausgelöscht wurden. Bei manchen Namen dachte ich an die Nachfahren, die im September 2023 in Fulda waren – z.B. Pino, Lump, Sichel, Braunold, Weinberg, um nur ein paar zu nennen. Vor meinem inneren Auge sehe ich ihre Söhne und Töchter, die Enkelkinder, die Cousins und Cousinen, höre ihr Lachen, spüre die Freude über das Treffen in Fulda und die Hoffnung auf das Miteinander und bin dankbar für die freundschaftlichen Verbindungen, die entstanden sind. Nur wenige Wochen nach diesem wunderbaren Treffen wurde die Welt am 07. Oktober 2023 zu einer anderen.
Familie Birnbaum aus der Löherstraße
Roman Melamed beendete die Gedenkfeier mit dem Gebet "El Male Rachamim", das traditionell für die Verstorbenen gesprochen wird und am Jom Ha’Shoa für die Opfer des Holocaust. Es beginnt mit den Worten: "Gott voller Barmherzigkeit, der im Himmel lebt, gedenke der Seelen, die getötet, ermordet, hingeschlachtet, verbrannt, ertränkt oder erwürgt wurden".
Das Schicksal einer Familie will ich herausgreifen. Salomon und Gustel Birnbaum waren Geschwister, geboren 1934 und 1933. Sie lebten mit ihren Eltern Frymeta und Abraham sowie ihrem älteren Bruder Moritz in der Löherstraße 10 in Fulda. Frymeta und die Kinder wurden am 08. Dezember 1941 von Fulda über Kassel nach Riga deportiert. Über das weitere Schicksal von Frymeta, Salomon und Gustel ist nichts bekannt, wahrscheinlich wurden sie am 03.11.1943 aus dem Ghetto Riga nach Auschwitz deportiert und dort gleich nach ihrer Ankunft am 05.11.1943 vergast. Vater Abraham war bereit vorher abgeholt worden und starb am 30.04.1941 in Buchenwald. Nur Moritz überlebte und wanderte in die USA aus – er verstarb in diesem Jahr. Gedenken wir ihrer und aller anderen mit den Schlussworten des "El Male Rachamim": "Sie mögen ruhen an ihrer Lagerstätte in Frieden. Und sie mögen wieder erstehen zu ihrer Bestimmung am Ende der Tage."
Der Jom Ha’Shoa soll von nun an immer im Fuldaer Kalender stehen, da waren sich Bürgermeister Dag Wehner, Stadtverordneter Dr. Albert Post, Anja Listmann und der Vorstand der GCJZ einig. Im nächsten Jahr sehen wir uns zum Jom Ha’Shoa dann am 14. April – wahrscheinlich in größerem Rahmen als in diesem Jahr. (Jutta Hamberger)+++