
Akademieabend: "Deutsche Politik im internationalen Kontext"
11.05.25 - Mit einem eindrucksvollen Akademieabend ist am Montag die diesjährige Ringvorlesung der Katholischen Akademie im Bistum Fulda und der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung eröffnet worden. Mit den Schlagworten: "Stunde Null – Neubeginn – Befreiung?" widmen sich beide Institutionen anlässlich des 80. Jahrestags des Kriegsendes einer kritischen Auseinandersetzung mit dem 8. Mai 1945 und dessen weitreichenden Folgen.
Im Zentrum des Abends stand die Frage, ob das Ende des Zweiten Weltkriegs für die Menschen in Deutschland tatsächlich eine Befreiung bedeutete. Der Historiker Professor Philipp Gassert von der Universität Mannheim beleuchtete das Thema differenziert: "Für viele Deutsche war der 8. Mai kein Tag der Befreiung, sondern der Beginn einer existenziellen Krise – das Land lag in Trümmern." Nur für die verfolgten Minderheiten sei die Kapitulation ein Moment der Erlösung gewesen.
Als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Point Alpha Stiftung illustrierte Gassert seine Ausführungen mit eindrücklichen Bilddokumenten – ausgebombte Städte, Suchplakate an Hauswänden und Szenen aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen. Diese zeigten ein realistisches Bild der Zustände im Jahr 1945 – einem Jahr des Übergangs, das Deutschland als "Land der Lager" prägte: mit befreiten KZ-Häftlingen, Vertriebenen, Kriegsgefangenen und Millionen Obdachlosen.
Neben Akademiedirektor Gunter Geiger, der Gassert als "einen der profiliertesten Zeithistoriker Deutschlands" würdigte, begrüßte auch Franziska Kiermeier, die neue Direktorin der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, die Gäste. Gassert unterstrich die Relevanz des Themas für das historische Selbstverständnis der Deutschen. Besonders hob er den Perspektivwechsel hervor, den Persönlichkeiten wie Richard von Weizsäcker und Hans-Jochen Vogel vollzogen: Beide waren Soldaten im Zweiten Weltkrieg und erkannten erst später im Rückblick den 8. Mai als Tag der Befreiung an.
In seiner berühmten Rede vom 8. Mai 1985 sagte der damalige Bundespräsident von Weizsäcker: "Der Blick ging zurück in einen dunklen Abgrund der Vergangenheit und nach vorn in eine ungewisse, dunkle Zukunft. Dennoch wurde von Tag zu Tag klarer, was es heute für uns alle gemeinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft."
Gassert schilderte, wie 1945 in Deutschland zahllose Menschen auf der Flucht waren oder in Lagern lebten. Viele Städte waren zerstört, Millionen Menschen obdachlos. Die Sowjetunion behielt Gebiete im Osten Polens, was zur Westverschiebung Polens und zur Vertreibung der deutschen Bevölkerung führte. Ein Bild einer Turnhalle, in der Menschen notdürftig untergebracht waren, veranschaulichte eindrucksvoll diese humanitäre Ausnahmesituation.
1945 war auch die Stunde Amerikas, so Gassert. Es seien vor allem junge Menschen gewesen, die den Kontakt zu amerikanischen Soldaten – den "GIs" – suchten, oft motiviert durch einfache Gesten wie das Teilen von Schokolade. In der Folge wandelte sich das Bild der Amerikaner – sie wurden zu den "guten Besatzern". Die Berliner Luftbrücke habe diesen Wandel weiter verstärkt. "Die Feindbilder wurden umgepolt – der neue Feind waren die Sowjets, nicht mehr die Deutschen", analysierte Gassert.
Ein weiterer Schwerpunkt des Vortrags war der Nürnberger Prozess gegen die NS-Führung. Hier sei erstmals das Völkerrecht auf internationaler Ebene wirksam geworden. Gassert resümierte pointiert: "Nürnberg hat den Deutschen den Gefallen getan, die obersten Nazis abzuurteilen." Zum Abschluss appellierte der Historiker insbesondere an die noch lebenden Zeitzeugen im Publikum: "Erzählen Sie Ihre Geschichte weiter!"
Die Ringvorlesung wird mit vier weiteren Veranstaltungen an der Katholischen Akademie Fulda fortgesetzt – am 13. Mai, 3. Juni, 10. Juni und 24. Juni. Unter dem Leitthema "Deutsche Politik in internationalen Beziehungen" beleuchtet die Reihe die Entwicklungen seit 1945. Die Konzeption verantworten Akademiedirektor Gunter Geiger und Jana Nathalie Burg, Referatsleiterin bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung.(pm/ci)+++