

Stadt Fulda will Avatar als DGS-Dolmetscher für Website einsetzen
20.05.25 - Ab dem 28. Juni 2025 gelten neue Regeln hinsichtlich der Barrierefreiheit von digitalen Angeboten. Die Stadt Fulda ist aktuell dabei, ihre Website neu zu gestalten. Geplant ist unter anderem die Nutzung eines Avatars, der Inhalte in Deutscher Gebärdensprache (DGS) darstellt.
Das Vorhaben der Stadt Fulda geht ein gutes Stück über die, wie der Beirat der Menschen mit Behinderung in Fulda betont, sehr laschen Forderungen des Barrierefreiheit-Stärkungs-Gesetzes (kurz BFSG) hinaus. Die Zugänglichkeit digitaler Informationen soll für Gehörlose erleichtert werden. Das BFSG schreibt dazu vor, dass Audio-Inhalte auf Website und anderen digitalen Anwendungen untertitelt sein müssen.
Zugang zu Sprache ist ein anderer
Eigentlich eine gute Idee: Wer nicht hören kann, liest. Das funktioniert aber nur, wenn Menschen ihr Gehör erst nach der Alphabetisierung verloren haben. Denn die deutsche Schriftsprache ist lautbasiert. Ohne Gehör sind die Laute der deutschen Sprache nicht wahrnehmbar – und damit ist der Schrifterwerb nahezu unmöglich."Wir haben selbst nur sehr eingeschränkten Zugang zu den Gehörlosen", erklärt Lea Widmer, Vorsitzende des Beirats der Menschen mit Behinderungen in Fulda, "Das ist eine ganz eigene Community, sehr in sich geschlossen. Durch die spezielle Art der Beeinträchtigung leben diese Menschen in einer eigenen Welt."
Behördliche Informationen müssen für Gehörlose zugänglich sein
Das Dilemma der Städte und Gemeinden ist nun, dass zwar viele Formulare und Anträge online verfügbar sind. Aber diese Informationen sind auch in Form geschriebener Texte nicht zugänglich für Gehörlose und Hörbeeinträchtigte. Das Problem ließe sich beheben, indem man die Informationen von Dolmetschern in die Deutsche Gebärdensprache (kurz DGS) übersetzen und per Video bereitstellen könnte. Das wiederum ist sehr schwer umsetzbar, weil es deutschlandweit nur wenige Dolmetscher mit der entsprechenden Qualifikation gibt. Extrem wenige Hörende beherrschen DGS, und noch weniger sind als Dolmetscher zertifiziert.Idee kam aus der Gehörlosen-Community
In der Gehörlosen-Community kam die Idee auf, Avatare als Übersetzer in DGS zu nutzen. Ist einmal ein dreidimensionales menschliches Bild erstellt, kann das per Computer Generated Imagery (kurz CGI) auch in Bewegung gebracht werden – eine Animation wird erstellt.Es ist sehr aufwändig und kostenintensiv, ganze Webseiten und Formulare zu übersetzen und die Übersetzung sozusagen als CGI zu modellieren. Stark vereinfacht erklärt, entsprechen Gesten in DGS Wortbedeutungen. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, Wörter zu kombinieren und Sätze zu erstellen – und die Gesten starten nicht bei jedem Wort in der Grundposition, sondern in der Endposition der vorherigen Geste. Was bedeutet: Jedes Formular auf einer behördlichen Website, jede Anweisung, Ausfüllhilfe und so weiter zu übersetzen und per Avatar darstellen zu lassen, ist durch den damit verbundenen Aufwand kaum finanzierbar.
An dieser Stelle kommt Künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel. Inzwischen ist es technisch möglich, ein künstliches, intelligentes System DGS von hörenden Übersetzern und gehörlosen Muttersprachlern lernen zu lassen – das dann wiederum den Avatar "bewegt" und so die Übersetzung sichtbar macht. Auch das ist natürlich eine stark vereinfachte Erklärung der Abläufe. Das ist der Hintergrund, jetzt zum aktuellen Stand der Dinge.
Schlüsseljahr 2019
Das BFSG wurde bereits 2019 beschlossen, im Juni 2025 befinden wir uns am Ende der Umstellungsphase, die Behörden, Medien und Handel für ihre Websites und Dienste eingeräumt wurde. Die Forschungen zu DGS und deren KI-gestützte Übersetzung für Avatare ist ebenfalls seit 2019 in Gang. Die Stadt Fulda unterstützt das Projekt schon seit 2022, ist also schon recht früh auf den Zug aufgesprungen. Damit zeigt sich die Stadt offen gegenüber neuen Technologien, die sinnvoll zur Unterstützung und für mehr Teilhabe von Minderheiten in der Gesellschaft eingesetzt werden.
Projekte nicht unumstritten
Die Stadt Fulda zeigt sich hier in einer Trendsetter-Rolle, denn einmal etabliert, werden die Übersetzer-Avatare vermutlich künftig auch privatwirtschaftlich gerne genutzt. Immerhin hängt eine neue Zielgruppe daran, die ohne DGS-Übersetzung nicht erreicht wird und die in weiten Teilen technikaffin genug ist, sich Inhalte von Online-Shops bis hin zu Unterhaltung zu erschließen.Andererseits besteht die Gefahr, dass die ohnehin in der breiten Bevölkerung eher unbekannte DGS durch den Einsatz von Avataren noch mehr als unnatürlich und vielleicht etwas "verkrüppeltes" Hilfsmittel wahrgenommen wird – und in der Folge noch mehr Ablehnung erfährt. Diese Angst wird auch in der Gehörlosen-Community formuliert, aus der die Idee ursprünglich kam.
Der zweite Kritikpunkt betrifft die damit verbundenen Kosten. Aktuell bastelt die alangu GmbH (Köln) mit der Unterstützung von etwa 50 deutschen Kommunen, darunter Fulda, an einem Baukasten-System, das die Übersetzung von Website-Inhalten in DGS für Gemeinden und Kommunen niedrigschwellig ermöglichen soll. In Fulda gibt es übrigens keinen einzigen Dolmetscher für DGS, in Hessen genau einen. Das mag erklären, warum die Kommunen trotz der damit verbundenen hohen Kosten an dem Projekt interessiert sind.
Zeitrahmen der Umsetzung unklar
Wann genau der KI-Dolmetscher auf der Website der Stadt Fulda erscheinen wird, ist bislang nicht klar. Die Website befindet sich vor einem Relaunch. Aktuell (Stand Mai 2025) werden noch Inhalte festgelegt, die übersetzt werden sollen. Ist das passiert, werden die Videos zusammengestellt und bei alangu gerendert, damit sie anschließend auf fulda.de eingebunden werden können. Das ist dann ein recht einfacher Schritt – ein Code-Snippet wird an den entsprechenden Stellen eingebunden, mehr ist nicht nötig.Der Magistrat der Stadt Fulda hat das Projekt bis August 2027 verlängert. Man wird, so teilte die Pressestelle der Stadt Fulda mit, in diesem Zeitraum die Zugriffszahlen im Blick behalten und sie analysieren, um dann über eine weitere Nutzung der Avatare zu entscheiden. Allerdings wünscht man sich durchaus, dass das Projekt gut angenommen wird, um die Barrieren für Gehörlose und Hörgeschädigte im Kontakt mit der Kommune abzubauen. Der Deutsche Schwerhörigenbund (kurz DSB) geht davon aus, dass etwa 19 Prozent der deutschen Bevölkerung über 14 Jahren hörbeeinträchtigt oder gehörlos ist –allein in Hessen wären das 1,1 Millionen Menschen. Die Zahlen steigen mit der alternden Bevölkerung an.
Erstellung und Funktionsweise des Baukasten-Systems für die Gemeinden und Kommunen werden in einem Panel erklärt (organisiert vom Landschaftsverband Rheinland im Rahmen des KI-Kongresses 2025), abrufbar bei YouTube (ab Minute 09:25). (mbw) +++