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13.02.10 - Fulda

"Die, die niemand sieht" - Forschungsprojekt AMIQUS hat ältere MigrantInnen im Blick

Wie leben ältere Migranten eigentlich? Wie kommen sie zurecht in ihrem Umfeld und was lässt sich an ihrer Lebenssituation verbessern? Diese Fragen standen am Anfang des Forschungsprojektes „AMIQUS“, das von der Hochschule Fulda in Zusammenarbeit mit dem Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt durchgeführt wird. Das Feld, in dem geforscht wird, ist der Aschenberg in Fulda, aber auch zwei Standorte in Wiesbaden und der Münchner Norden.

„Da die AWO in Fulda eine etablierte Institution ist, die bereits in dem Quartier und mit der Zielgruppe arbeitet, war sie von Anfang an unserer Wunsch-Partner“, so Prof. Dr. Monika Alisch vom Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Fulda. Der Kreisverband seinerseits war gern bereit, sich in das Projekt einzubringen, da - so der Vorsitzende der AWO, Werner Krah, „der Ansatz der Forscher gut zu dem Grundsatz der AWO passt, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.“

Zufriedenheit beim Arbeitstreffen (s. obenstehendes FOTO, v. links): Werner Krah, Edith Becker, Prof. Monika Alisch, Frank Dölker und Jürgen Brehl.

Denn den Forschern ist es wichtig, die älteren MigrantInnen nicht als Forschungsobjekte zu begreifen, die man von außen betrachtet und untersucht. Sie sollten von Anfang an als aktive Teilnehmer in die Forschungsarbeit integriert werden, ja selbst forschend tätig werden. Wie das im Einzelnen funktioniert, erläuterte Frank Dölker von der Hochschule Fulda bei dem Arbeitstreffen der beteiligten Forscher und der Verantwortlichen von der AWO.

So wurden die Betroffenen nicht einfach mit einem Fragenkatalog in der Hand befragt, sondern sie wurden – jeder einzeln – Ende April, Anfang Mai 2009 zur Mitarbeit in einer Projektgruppe in das Bürgerhaus Aschenberg eingeladen. Ca. 20 überwiegend aus Russland stammende, aber auch italienische, polnische und aus der französischsprachigen Schweiz stammende Teilnehmer zwischen 55 und 89 Jahren fanden sich so zusammen und treffen sich seitdem einmal in der Woche.

Die Projektarbeit in dieser Gruppe begann mit der Aufgabe, ein Tagebuch zu führen, in dem die Teilnehmer ihr Verhalten im Stadtteil und Begegnungen mit anderen Menschen dort selbst festhielten. Das Aufschreiben war der erste Schritt, der zweite waren Spaziergänge, zu signifikanten Orten, die in den Tagebüchern erwähnt wurden.. Sie sollten vor Ort benennen, was an den verschiedenen Wegen und Orten geschieht, welche Bedeutung sie im Alltag haben und was sie dort stört. Diese beiden Faktoren, das Schreiben und die Analyse vor Ort, trugen dazu bei, dass viele der Damen und Herren zum ersten Mal bewusst über scheinbar Banales nachdachten. Fast zwangsläufig führte das auch zu einem Nachdenken darüber, wie man das ein oder andere Problem beheben und das Umfeld verbessern könnte.

Allein dieses Bewusstsein war für viele der Teilnehmer neu. „Die meisten von ihnen sind in Ländern und Systemen groß geworden, in denen Kritik und zivilgesellschaftliches Engagement unerwünscht und unüblich war oder im Sande verlief, wenn sie nicht gar zu Repressalien führten. Sie haben also gelernt, ihre Lebenssituation hinzunehmen und sich damit abgefunden, nichts ändern zu können, schon gar nicht in einem Alter, in dem sie aus den Produktionsprozessen der Gesellschaft ausgeschieden sind und oft schlicht nicht mehr wahrgenommen werden,“ ergänzt die Geschäftsführerin der AWO, Edith Becker.

Nun tatsächlich etwas unternehmen, die eigene Lebensqualität steigern zu können und sich mit anderen Menschen in einer ähnlichen Lage auszutauschen, ja sich sogar gegenseitig helfen zu können, das war für viele Teilnehmer eine neue und wichtige Erfahrung. So war die „Zukunftswerkstatt“ – ein zweitägiger Workshop, den die Teilnehmer im November 2009 durchführten – die Gelegenheit, um das mit der Zeit in der Projektgruppe gewachsene Bewusstsein in konkrete Bahnen zu lenken.

Die Teilnehmer erarbeiteten Vorschläge, was man alles auf dem Aschenberg verändern müsste, damit das Leben gerade für Ältere leichter wird und sie stellten sich der Frage, wozu sie auch persönlich bereit wären, einen Beitrag zur Verbesserung zu leisten. Gerade diese letzte Frage führte dazu, dass 4 Arbeitsgruppen aus dem Workshop hervorgingen, die sich zusätzlich zu der großen Projektgruppe seitdem ebenfalls wöchentlich treffen, um ihre Ziele zu verwirklichen.

So finden sich in der „Internationalen Frauengruppe“, begleitet von Tatjana Hirsch - Studentin der Sozialen Arbeit, Frauen zusammen, die sich speziell zu ihrer Situation austauschen und zum erstem Mal zum Internationalen Frauentag in die Öffentlichkeit gehen wollen. Dann gibt es die „AG Gesundheitsberatung“ von 4 russischen Ärzten, deren Diplome in Deutschland nicht anerkannt sind und die deshalb hier nicht praktizieren dürfen. Sie wollen gesundheitliche Aufklärung für russischsprachige Patienten anbieten und bei Kommunikationsproblemen mit deutschen Ärzten helfen.

Eine weitere Gruppe nannte sich „Senioren helfen Senioren“. Deren Mitglieder haben es sich zur Aufgabe gemacht, anderen Senioren im Haushalt, beim Einkaufen, bei der Vermittlung zu professionellen Hilfestellen und bei Behördengängen zu helfen. Auch Seniorennachmittage und Ausflüge stehen auf der Agenda dieser Gruppe. Die vierte Gruppe schließlich hat sich als Chor zusammengeschlossen, in dem das Liedgut aus der Heimat der Teilnehmer und das Gruppenerlebnis beim gemeinsamen Singen gepflegt wird. Einige der Teilnehmer sind sogar in mehr als nur einer Gruppe, so dass sie in einer Weise und in einem Umfang aktiv geworden sind, wie sie es selbst vorher nicht für möglich gehalten hatten.

Der Erfolg des Projektes, erläuterte Frank Dölker, liegt darin begründet, dass die Projekte genau im Lebensumfeld der Menschen ansetzen. Sie müssen also keine langen Wege auf sich nehmen, um teilnehmen zu können. Außerdem kommen im Projekt auch diejenigen zu Wort, die kein deutsch sprechen, da zweisprachig gearbeitet wird. Die Möglichkeit sich ausdrücken zu können, sei von zentraler Bedeutung gerade für Leute, die in einem Alter seien, in dem man nur noch schwer eine fremde Sprache lernt. Ganz nebenbei verbesserten Viele durch die zweisprachig abgehaltenen Gruppensitzungen ihre Deutschkenntnisse.

Noch entscheidender für den Erfolg der Projekte aber sei die persönliche Ansprache. Dabei meint Dölker nicht nur die Ansprache zu Beginn des Projektes, sondern gerade auch den Aufwand, der betrieben wird, wenn ein Teilnehmer mal bei einer Gruppensitzung fehlt. „Da wird dann auch mal sonntags nachtelefoniert und gefragt, ob es ihm oder ihr gut geht und warum er oder sie nicht gekommen ist,“ so Dölker. Gerade diese verborgene Beziehungsarbeit zeige den Menschen, dass sie wichtig seien, eine für Viele neue Erfahrung, die wiederum dazu führe, dass sie sich engagieren.

„All dies, was bisher geschehen ist, gehört noch zu der ersten Phase des Forschungsprojekts,“ so Prof. Alisch. Nun habe man die zweite Phase erreicht. Jetzt komme es darauf an, für jedes der entstandenen Einzelprojekte weitere Menschen zu aktivieren, die bereit sind mitzumachen und das Engagement weiter zu tragen, und es komme darauf an, Unterstützer zu finden, damit es auch nach Beendigung der Forschung weiter bestehen kann.

Nähere Infos zu dem Forschungsprojekt und den einzelnen Projektgruppen gibt es auf der Homepage des Forschungsprojektes www.amiqus.de, der Hochschule Fulda, Fachbereich Sozialwesen, Prof. Dr. Monika Alisch und Frank Dölker, telefonisch unter 0661 – 9640 2080 sowie in der Geschäftsstelle der AWO Fulda, in der Langebrückenstraße 14, telefonisch unter: 0661 – 480 045-0, Email: [email protected], Langebrückenstraße 14´. +++

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