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18.07.10 - Sandberg
"Problem Wachsleichen" - Zukunft des Waldberg-Friedhofes mit Grabkammern?
"Friedhof – ein Platz mit Zukunft?“ Diese Frage stellte der zertifizierte Friedhofsplaner Thomas Struchholz (Veitshöchheim) zu Beginn der Bürgerversammlung in Waldberg, die eigens zum Thema Friedhofssanierung einberufen wurde. Seine Frage konnte er mit einem eindeutigen „Ja“ beantworten, ein Friedhof sei mehr als eine letzte Ruhestätte, er sei unter anderem Ort für Therapie und Meditation, Ruhe- und Rückzugsplatz, Kommunikationszentrum und religiöse Stätte. Den Waldberger Friedhof in einen Ort mit Zukunft zu verwandeln ist das Ziel des Friedhofsplaners. Zu Beginn der Bürgerversammlung machte Bürgermeister Detlef Beinhauer deutlich, dass von Seiten des Gesundheitsamtes die Gemeinde schon November 2008 darauf hingewiesen wurde eine Friedhofssanierung in Angriff zu nehmen. „Im Extremfall droht uns die Schließung des Friedhofs“, so Beinhauer.
ZUM FOTO: In den Waldberger Friedhof soll ein Grabkammer-System eingebaut werden. Begonnen wird auf der Freifläche im Eingangsbereich. Foto: Eckert
In seinem Vortrag trug Thomas Struchholz die Probleme des Waldberger Friedhofs sehr vorsichtig und durchweg sachlich an die Bevölkerung heran. Um sich ein Bild von den Bodenverhältnissen zu machen, wurden an drei verschiedenen Stellen Proben genommen, das Ergebnis war überall identisch: lehmiger und feuchter Boden, eine Wasserundurchlässige Schicht bei zirka 2,60 Meter Tiefe. Dieser Boden behindere die Verwesung oder mache sie gar unmöglich. In Waldberg handele es sich um dich gelagertes Ton-Sand-Gemisch, das zu 100 Prozent abdichte, das zur Deponieabdichtung geeignet wäre. Dadurch könne Wasser nicht ablaufen, es entsteht die „Badewannenproblematik“, bei der sich der Grabraum mit Wasser fülle. Durch die Kapilarwirkung steige das Wasser in den Sarg, der Verstorbene liege unter Luftabschluss im Wasser. Selbst nach 60 und 70 Jahren sei keine Verwesung eingetreten, es handele sich dann um so genannte Wachsleichen. „Die Verwesung wurde gestoppt und kann nicht reaktiviert werden“, beschrieb Struchholz die Probleme. Hinzu komme Bodenmüdigkeit, aufgrund der Jahrhunderte langen Nutzung als Friedhof sei der Boden nicht mehr zur Verwesung der Leichen in der Lage. Die Problematik sei so umfassend, müsse auch unter dem Aspekt der Umwelthygiene und Arbeitsmedizin bedacht werden.
Struchholz stellte fünf mögliche Lösungswege vor. Zunächst wäre die reine Urnenbestattung ein Weg, um den Problemen in den Erdgräbern aus dem Weg zu gehen. Doch Urnenbestattung vorzuschreiben, sei in einer ländlichen Gegend wie den Walddörfern keine Alternative und scheide daher von vornherein aus. Auch Bodenaustausch sei keine Lösung, da abgesehen von der Wartezeit in einigen Jahrzehnten erneut die heutigen Probleme der Bodenmüdigkeit auftreten werden. Auch der nachträgliche Einbau einer Drainage sei nicht ausreichend, da das Innere der Gräber, in denen sich das Wasser schon staue, nicht entwässert werde. Einhüll- und Gruftsysteme seien ebenfalls keine zufriedenstellende Lösung für Waldberg.
Eine umsetzbare und vor allem bezahlbare Lösung sei das System mit Grabkammern. Dabei werde in den Boden eine nach unten offene Betonkammer eingelassen, in der der Sarg von Luft umgeben stehe. Die Betonkammer halte Erde und Wasser vom Sarg fern, Gieß- und Regenwasser werden über eine Drainage abgeleitet. „In einer Grabkammer herrschen optimale Umsetzungsbedingungen, die Ruhefrist kann auf 12 Jahre verringert werden“, sagte Struchholz. „Das sind pietätvollere Verhältnisse und gute arbeitsmedizinische Bedingungen für den Bestatter.“ Mit dieser Lösung könne der Waldberger Friedhof auch langfristig weiter bestehen und weiter betrieben werden.
Der Umbau des Friedhofs in einen Grabkammer-Anlage sei ein Generationenprojekt und könne nur langfristig realisiert werden. Abhängig von den Ruhefristen können nur nach und nach kleinere Areale umgestaltet werden. Begonnen werden soll mit der freien Kiesfläche im Eingangsbereich, hier könnten in drei Reihen 30 Grabkammern und 15 Urnenplätze erstellt werden. Über Gestaltungsmöglichkeiten sei es möglich optisch einen großzügigen und einladenden Eindruck entstehen zu lassen. So werden Grabkammer-Gräber nur noch eine Pflanzfläche von einem Quadratmeter vor dem Stein haben. Der Bereich bis zum Weg sei Wiese. Bedenken der Pietätlosigkeit, „über die Füße des Verstorbenen laufen“, räumte Struchholz aus, da die Grabkammern ja nach oben abgeschlossen seien.
Über die reinen baulichen Maßnahmen legte Struchholz noch Gestaltungsmöglichkeiten vor. So sprach er von der Notwendigkeit Ruhebänke aufzustellen, damit Hinterbliebene einen Platz zum ausruhen, beten und meditieren finden, um mit den verstorbenen Angehörigen in Kontakt treten können. Anhand von Plänen zeigte er auf, welche Möglichkeiten er in Betracht zieht. Außerdem sollen zwei Parkplätze entstehen und die Friedhofsmauer erneuert werden.
Im Zuge der Sanierungsarbeiten sei damit zu rechnen, dass in diesem Areal Wachsleichen geborgen werden. Wohin damit? Überaus vorsichtig und doch klar umriss Stuchholz die Wachsleichen-Problematik. Es handele sich hierbei um „biologisches Material“, mit dem pietätvoll im Sinne der Gesellschaft umgegangen werden müsse. Eine erneute Bestattung sei notwendig. Im hinteren Bereich des Friedhofs sei derzeit eine Grünfläche, hier könnten die Überreste erneut bestattet werden und einen würdevollen Ruheplatz finden.
Sanierung, Umbettungen und Grabkammern - Kosten: 240.000 Euro
Die Empfehlung des Friedhofsplaners Thomas Struchholz um den Waldberger Friedhof auch auf Dauer zu erhalten und betreiben zu können lautet: Zug um Zug sanieren und Einbau von Grabkammern. In der Diskussion mit der Bevölkerung wurde deutlich, dass doch viele Unsicherheiten offen sind. Vor allem die Frage nach den Familiengräbern, die seit Generationen von einer Familie belegt werden, beschäftigt die Menschen. Ehepartner möchten miteinander die letzte Ruhe finden. Was geschieht, wenn ein Ehepartner schon in einem herkömmlichen Erdgrab bestattet ist und der jetzt noch lebende in späterer Zeit einmal bestattet werden muss? Werden weitere Bestattungen in den Erdgräbern möglich sein? Fragen, die sensibel angepackt und mit Vorsicht behandelt werden müssen, machte Struchholz klar. Allerdings müsse den Waldberger auch klar sein, dass ohne Sanierung und ohne Einbau von Grabkammern der Friedhof behördlicherseits geschlossen werden würde.
Bürgermeister Detlef Beinhauer versicherte, dass es bürgerfreundliche Lösungen geben werde. Die Verwaltung müsse sich natürlich auch an die Vorschriften „von oben“ halten und könne nicht gegen geltendes Recht verstoßen. „Rechtlich muss die Gemeinde sicher stellen, dass die Verwesung in 20 Jahren gewährleistet ist“, machte Struchholz deutlich. Das sei im Moment im Waldberger Friedhof nicht gegeben. Durch den Einbau von Grabkammern werde das gewährleistet und dann werde die Behörde natürlich auf eine Bestattung im Kammersystem bestehen. Eine Urnen-Beisetzung in bestehenden Familiengräbern sei natürlich jederzeit möglich.
Beinhauer sprach auch von einer möglichen Umbettung bereits verstorbener Angehöriger in die Grabkammer, um Ehegatten die eine gemeinsame letzte Ruhe zu ermöglichen. Natürlich waren auch die Kosten ein Thema. Die angesprochene Sanierung mit 30 Grabkammern, 15 Urnengräbern, Erschließung, Drainage, Pflasterung, Umbettung der vorhandenen Wachsleichen, Mauer- und Parkplatzbau werde von der Gemeinde eine Investitionssumme von 240.000 Euro verlangen. Diese Kosten dürfen nicht 1:1 auf die Grabkammern umgerechnet werden, bat Struchholz. Erstens sei nicht nur der Bau der reinen Grabkammer in den Kosten enthalten und zweitens werde so eine Grabkammer ja mehrfach belegt, könne bis zu 100 Jahren genutzt werden. Mit Kosten von 1.700 bis 1.800 Euro pro Grabkammer müssen Hinterbliebene rechnen. Da die Ruhezeit auf 12 Jahre reduziert werde könne, sei natürlich eine Verlängerung möglich, um auch Grabkammern zu Familiengräbern zu machen.
Da in Waldberg dringender Handlungsbedarf bestehe, möchte Bürgermeister Beinhauer noch heuer mit der Umsetzung der Baumaßnahme beginnen. (me). +++