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Der Rad-Pilger ist wieder daheim

Stempel im Bad Salzschlirfer Pfarramt St. Vitus geholt: Helmut Kühn (links) und sein Cousin Ralf - Fotos: Helmut und Josef Kühn

12.10.10 - BAD SALZSCHLIRF

2.500 Rad-km auf Jakobsweg: Helmut KÜHN (69) erfüllte sich Traum

Helmut Kühn hat sich einen Traum erfüllt: er ist 2.500 Kilometer geradelt, von Bad Salzschlirf nach Colmar im Elsass und von da entlang des Jakobs-Pilgerweges bis nach Santiago de Compostela in Spanien.

Nicht nur ein religiöser Grund, sondern auch sportlicher Anreiz war der Anlass für die rund fünfwöchige strapaziöse Reise auf dem Drahtesel: der rüstige End-Sechziger Helmut Kühn wollte einmal eine große Tour machen und dafür ein schönes Ziel haben. Beides lockte ihn auf den Pilgerweg durch Frankreich und Spanien.

War die Abfahrt im August im Ort noch unbemerkt geblieben, gab es bei der Rückkehr ein "großes Hallo" für den allseits beliebten Wahl-Salzschlirfer, als er die letzten Kilometer von Fulda nach Bad Salzschlirf wieder auf seinem Rad zurücklegte. Mit einem Fahrzeug-Korso ging es durch den Badeort und anschließend zum Feiern in den heimischen Partykeller in der Heinrich-Heine-Straße.

Schon jahrelang ist der Schlosser-Meister, der über 30 Jahre für die Gemeinde Bad Salzschlirf arbeitete und sich auch im sechs Jahre dauernden Ruhestand noch ehrenamtlich um viele metallische Verschönerungen im Ort kümmert, mit dem Mountain-Bike in den Alpen und auch in der heimischen Landschaft unterwegs. Kein Waldweg zur höchsten Erhebung der Gemeinde, dem knapp 500 Meter hohen Sengersberg, ist ihm unbekannt. Schließlich organisiert er auf der Anhöhe jährlich eine stimmungsvolle Jahresabschluss-Feier und spendet den Erlös wohltätigen Einrichtungen. Nicht nur deshalb hat er einen großen Freundeskreis: eigenhändig hat er auch für die Adventsbeleuchtung im Ort viele Teile angefertigt und beim Osterbrunnen die Dekorationskrone geschlossert. Überhaupt ist er mit Rat und Tat stets zur Seite, wenn Salzschlirfer ein Fest organisieren wollen oder mit Eisen und Stahl ihre Probleme haben.

Jahrelang reifte der Plan: mit dem Rad auf Pilgerreise

Vor fünf Jahren lernte Helmut Kühn ein Ehepaar kennen, das ein Buch über seine Pilgerreise auf dem Jakobsweg geschrieben hatte. Kühn las die Lektüre der Pilger, er schaute auch einmal in das Buch von Hape Kerkeling hinein. Und er stieß im Gespräch mit Freunden auf ein weiteres Buch „Radwandern entlang des Jakobsweges“, das sein Reiseatlas bis zum Ziel wurde. Kühn plante zunächst, allein zu radeln, aber sein 74-Jähriger Bruder Josef, der bei Augsburg lebt, wollte auch einmal eine Auszeit aus dem Fliesenleger-Familienbetrieb nehmen. Und da es unterhaltsamer ist, in Gesellschaft zu reisen, war die Radgemeinschaft beschlossen.

Bedenken hatte Helmut Kühn wegen seiner Leistenbeschwerden, die ihn seit dem Frühjahr plagten. Aber nach physiotherapeutischer Behandlung wagte er eine Testfahrt mit Freunden über den Vogelsberg nach Wächtersbach. Die Leiste machte sich nicht bemerkbar, also wurde der Starttermin auf den 24. August angesetzt. Zunächst ging es zum Pfarramt, um den Pilgerstempel zu holen. Der Pfarrsekretärin von St. Vitus waren noch nicht viele Pilger mit diesem Anliegen begegnet, aber der Eintrag selbst war kein Problem.

Helmut (69) und Josef (74) starteten - im Gepäck ein selbst geschmiedeter Grill

Die erste Strecke von Bad Salzschlirf bis nach Colmar legte Helmut Kühn mit seinem Cousin Ralf aus Bad Soden zurück. In Deutschland führte die Strecke auch nach Heidelberg - hier begegnete man beim Stempelholen im evangelischen Pfarrheim gleich einer Schlitzerländerin - über Speyer am Rhein entlang nach Colmar, wo sie auf den mit der Bahn angereisten Bruder Josef trafen. Dort angekommen, wurde es den Kühn-Brüdern schon etwas mulmig: der Cousin machte sie auf die vielen vor ihnen liegenden Berge und den ständigen Wind aufmerksam. Aber das war am anderen Tag kein Thema mehr, Helmut und Josef radelten los. Sie hatten robuste Tourenräder, neu an der Ausrüstung waren nur das High-Tech-Zelt, mit einem Kilogramm ein Leichtgewicht, und ein dünner Schlafsack. Trotz alledem wog das Radgepäck doch noch 16 Kilo, inklusive eines selbst geschmiedeten kleinen Grills nebst einigen Müsli-Riegeln und Stärkungsmitteln.

Die Strecke durch Frankreich, wo der klassische Pilgerweg in St. Odile bei Straßburg startet, war zwar landschaftlich schön, aber für die Kühn-Brüder beschwerlich. Der Fuß-Pilgerweg ist meist geschottert, da fährt das Tourenrad nicht gut, also befuhren die beiden kleine Straßen und landwirtschaftliche Wege. In Frankreich hat der Pilgerweg keine große touristische Infrastruktur. Oft gab es keine Unterkunft, da mussten die Brüder ins Leichtzelt schlüpfen. Und für regennasse Tage war der Schlafsack zu dünn, so dass Helmut Kühn zu frieren begann. Bedingt durch diese Erschwernisse stiegen die Brüder in Le Puy in den Zug, kürzten 3 bis 4 Tagesetappen ab und ließen sich mit ihren Rädern bis nach Lourdes transportieren.

Falsche Auskunft, aber auch gastfreundliche Menschen

Auch das war nicht so einfach. Mit Händen und Füßen und mit Hilfe eines Wörterbuches versuchten sie beim Fahrkartenkauf zu erklären, dass sie Räder mitführten. Während der Schaltermitarbeiter ihnen noch versicherte, das sei kein Problem, mussten sie beim Umsteigen in Lyon Richtung Toulouse 45 Euro Strafe zahlen, weil Räder in diesem Zug nicht erlaubt waren. In Erinnerung bleiben den beiden aber auch die freundlichen Menschen, die ihnen in der Spielhalle eines Campingplatzes und in einem Schuppen eines Antiquitätenhändlers Quartiere anboten. Im Letzteren gab es dann ein Abendessen vom Feinsten und als Dank dafür Mundharmonika-Einlagen von Helmut.

Hatten sich die beiden gerade so ein bisschen an die französische Sprache gewöhnt, kamen sie schon nach Spanien. Hier fanden die Kühn-Brüder in allen Orten Pilgerherbergen oder einfache Hotels. Natürlich: der seit Jahren gewohnte Mittagsschlaf musste ausfallen, täglich wurde eine Strecke von 60 bis 100 Kilometern zurückgelegt. „Die ersten 14 Tage drückte der Sattel, nach vier Wochen ging es“, meint Helmut Kühn augenzwinkernd. Nach 1.000 Kilometern musste er einen Reifen wechseln, ansonsten erwiesen sich die Räder als höchst reisetauglich. In Spanien wollte Helmut Kühn eigentlich entlang der Küste radeln, ließ sich aber von erfahrenen Pilgern und dem kühlen Wetter belehren und nahm die klassische Pilgerroute durchs Landinnere. Unterwegs wurden viele schöne Städte und Kirchen besichtigt, was auf solch einer Reise dazugehört.

Santiago de Compostela: Anstehen für Pilgerstempel und "Rummel"

Als das große Ziel erreicht war, suchten die Brüder zunächst den Flughafen auf und besorgten sich Tickets für den Heimflug. Dann ging es zur Kathedrale und Helmut und Josef legten wie die anderen Pilgerer auch der Jakob-Statue die Hände auf die Schultern. Sie hatten Glück, am Ankunftstag war der Rummel noch nicht so groß, mit nur einer halben Stunde Wartezeit waren sie bei der Heiligenfigur in der Kathedrale angelangt. Länger dauerte es, die Pilger-Urkunde zu erhalten: dafür mussten sie schon zweieinhalb Stunden anstehen. Und das nahe Wochenende brachte noch eine Landesfeier mit vielen Trachtengruppen auf den großen Platz vor der Kathedrale, die Menschenmenge nahm gewaltig zu. So waren die Kühns froh, mit dem Flieger über Mallorca nach Nürnberg abreisen zu können und damit dem "Rummel" zu entkommen.

Eigentlich hatten sie geplant, noch zur Küste zu radeln und dort den Ballast der Reise loszuwerden. So trennte sich Helmut Kühn eben in Santiago von seinen zerschlissenen Radlerschuhen und der - vom Fön beim Trocknen - verbrannten Radlerhose. Und er kaufte er sich ein touristisches Andenken: einen braunen Filz-Pilgerhut mit großer Krempe. In Santiago zog er die Kopfbedeckung, mit der dort viele Pilger herumspazieren, aber nicht an.

In Nürnberg angekommen, verabschiedete Helmut sich von seinem Bruder Josef am Hauptbahnhof. Es wurde noch eine lange Nacht, Helmuts Zug fuhr erst sechs Stunden später am Morgen Richtung Heimat. In Fulda stieg der 69-Jährige aus, denn er wollte die letzte Etappe von 20 Kilometern gerne mit dem Rad zurücklegen. Seine Frau Brunhilde hatte er am Vortag von seiner Ankunft informiert, sie war gerade erst von einer Wallfahrt nach Medjugorje zurückgekehrt. Als die Familie und Nachbarn davon erfuhren, verabreden sie, Helmut in Eichenau, kurz vor seinem Endziel, einen großen Empfang zu bereiten. Mit Sekt und Luftballons wurde der Pilgerer begrüßt, der beim Anblick des Empfangskomitees seinen Radhelm mit dem zünftigen Pilgerhut tauschte. Zuhause wurde dann noch kräftig gefeiert.

Will er noch einmal so eine Reise unternehmen? Helmut Kühn lächelt: mit dem Fahrrad nach Medjugorje, das wäre auch ein Ziel. Medjugorje liegt rund 1.600 Kilometer von Bad Salzschlirf entfernt. Wann wird das Tourenrad in der Heinrich-Heine-Straße wohl wieder mit dem Leichtzelt gesattelt? (Renate Reus) +++


Das High-Tech-Zelt der Brüder

Bei Straßburg


Der berühmte Pilgerort in Frankreich: Lourdes

Lourdes


Großer Weihrauchbehälter

in den Vogesen


Höhepunkt in den Vogesen

Stärkung unterwegs: Josef (links) und Helmut Kühn


In Le Puy

In St. Odile


Einige Kilometer vor Le Puy

Der Berg, an dem man die Steine von zuhause ablegt: Cruz de Ferro


Am Cruz de Ferro

Der Pass über die Pyrenäen


Schlechte Wege

Im Schuppen des Antiquitätenhändlers fanden die Brüder ein trockenes Nachtlager...


...und wurden zum Essen eingeladen

An der Autobahn


Am Ziel

Die Kathedrale von Santiago de Compostela - das Pilgerziel von vielen zehntausenden


In der Kathedrale von Santiago de Compostela

In Santiago de Compostela gab es eine große Feier mit vielen Trachtengruppen - die Brüder verließen jedoch schnell "den Rummel"


Die Streckenbeschreibung der Rad-Pilgertour durch halb Europa

Bei der Rückkehr gab es für Helmut Kühn einen Empfang in Eichenau.... - Fotos: Joachim Iller


... und im Korso ging es auf den letzten Kilometern von Eichenau nach Bad Salzschlirf

2.500 Kilometer mit 69 Jahren geradelt: Helmut Kühn


Die Heimat in Bad Salzschlirf ist erreicht - an der Tür die Streckenbeschreibung

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