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23.04.12 - FULDA

Der Verzicht auf Moral – Rührende Inszenierung von „Harold und Maude“

„Am besten verzichtet man auf Moral, das kostet zu viel Leben“, erklärt eine 79-jährige Frau ihrem jugendlichen Freund. Und genau das machen die beiden, sie verzichten auf Moral und auf gesellschaftliche Konventionen und werden ein Liebespaar. Ein Liebespaar, eine alte Frau und ein 19-jähriger Sprössling? Kann man das auf der Bühne bringen? Ist das nicht peinlich? Die klare Antwort darauf lautet: Nein! Es ist alles andere als peinlich, es ist anrührend, nachvollziehbar und den beiden zu wünschen, ein Paar zu sein. Denn, wer die Schauspieler Roland Schroll und Heidrun Bartholomäus als Harold und Maude im Schlosstheater in Fulda am Donnerstagabend erlebt hat, der kann einfach nur gerührt gewesen sein.

Wer den Film „Harold und Maude“ aus den 70ern kennt, der war sicher skeptisch, als der Film auf die Bühne gebracht werden sollte. 91 emotionsgeladene Minuten auf der Leinwand mit Cat Stevens Musik als Background – das ist nicht zu toppen. Und doch wurde es am Donnerstag übertrumpft. Weil man noch näher dran war, weil man gefühltermaßen mit auf der Bühne stand und sich auch in diese unglaubliche Frau verliebt hat und weil man mit Harold gelitten und von seiner Umwelt genervt war. Der 19-jährige Harold wohnt mit seiner wohlhabenden Mutter Mrs. Chasen, fantastisch penetrant gespielt von Sigrun Fischer, in einer großen Villa. Ihr Interesse gilt einzig dem gutbürgerlichen Schein und den oberflächlichen Gesprächen. Die Interessen ihres Sohnes stehen hinten an und wenn sie ihm Aufmerksamkeit schenkt, dann nur, weil er sich ganz und gar nicht in ihre Vorstellungen eines situierten Lebens pressen lässt.

Harold liebt es, an stillen Orten zu sein – auf Schrottplätzen, auf denen Autos als Statussymbole der Gesellschaft zerstört werden oder auf Beerdigungen, an denen die Menschen zu Erde und Staub werden und alle gleich sind. Dabei experimentiert er stets an spektakulären Selbstmordszenarien herum, um sich erst so wieder lebendig zu fühlen. Er scheint trotz seines jungen Alters vom Leben nichts mehr zu erwarten, er lebt „allein in seiner Burg“. Er ist ein junger Charakter, der in den 70er angelegt und heute vielleicht mehr denn je verstanden wird. In einer Gesellschaft, in der Jugendliche allein in ihrem Zimmer sitzen und per facebook oder meinvz kommunizieren, deren Eltern den ganzen Tag arbeiten und genug mit eigenen Problemen beladen sind, scheint es mehr und mehr Harolds zu geben. Roland Schroll, der sein tolles Schauspielerdebüt als Edgar W. in Ulrich Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“ hinlegte, ist prädestiniert für die Figur des Harold. Mit einer Mischung aus Komik und Tragik hängt er schon in der ersten Szene am Strick ganz vorne auf der Bühne, zündet er sich selbst im Sarg liegend an oder hackt seinen künstlichen Arm ab und das alles, um Frauen, die seine Mutter für ihn anschleppt, zu vertreiben. Er füllt die Rolle dieses jungen Melancholikers, der eigentlich einen unglaublichen Witz besitzt und immer auf der Suche ist nach Leben.

Und dann der Auftritt von der unglaublichen Heidrun Bartholomäus. Auf einer Beerdigung lernt Harold die 79-jährige Maude kennen. Sie ist anders, als alle Personen, die er bisher kennengelernt hat. Sie liebt das Leben, sie verzichtet auf jegliche Konventionen und macht das, was ihr richtig erscheint. Dazu gehört es auch, eine Robbe aus dem Zoo zu stehlen und ins Meer zu entlassen oder ein kleines Bäumchen vor den Abgasen der Autos zu retten. Ihre Wohnung ist voller Möbel, die ihr nicht gehören und ausgestattet mit ihrem eigenen Gemälde, dass sie „Elefant auf Ball unter Regenbogen“ nennt – eben genau nach dem, was abgebildet ist. Man ahnt, dass Maude schlimme Zeiten in ihrer Jugend erlebt hat und doch lässt sie sich nicht demütigen. Im Gegenteil kommt sie allem zuvor, in dem sie in scheinbarer Naivität jegliche Angriffe von sich abzuwehren weiß. Maude fackelt nicht lange, sie handelt einfach und trotzdem ist dieses Handeln absolut durchdacht. Die jugendlichen Eigenschaften von Leichtsinn, künstlerischer Freiheit und Fantasie werden in dieser älteren Person vereint. Und trotz ihres hohen Alters versteht man, warum Harold sich in sie verliebt. Und man kann das nur verstehen, weil Heidrum Bartholomäus der Maude einen Körper gibt, sie zu Maude wird und damit zeitweise alle an die Wand spielt.

„Ich finde, sie bräuchten etwas Farbe in ihrem Leben“, erklärt sie dem jungen Harold. Sie gibt ihm Farbe und weckt ihn auf, er fühlt wieder, dass er lebt. Und nach einer gemeinsamen Liebesnacht beschließt er, sie zu heiraten. Als er ihr zu ihrem 80. Geburtstag den Antrag machen will, hat sie bereits Tabletten geschluckt und geht in den Freitod, denn „80 ist ein gutes Alter, um zu streben“. Und diese Szene ergibt den Höhepunkt der Rührung. Sie liegt in seinen Armen, er ruft verzweifelt ihren Namen und erklärt der ganzen Welt, wie sehr er sie liebt. Dieses vollkommen ungleiche Paar dort auf der Bühne, trifft uns mit seiner Liebe ins Herz und wird in diesem Moment zu einem der größten Liebespaare der Theater- und Filmgeschichte. Und dann geht das Licht an, das Stück ist vorbei. Und noch jetzt, eine Woche später, habe ich Tränen in den Augen, wenn ich an die letzte Szene zurückdenke. (Anne Baumann) +++


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