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22.10.12 - REGION

Mit Rucksack und Gebärdensprache - neue Hörgeschädigten-Seelsorgerin

Nach fast zehnjähriger Tätigkeit in der Hörgeschädigtenseelsorge des Bistums Würzburg wechselt Diakon Werner Steinle (64) nach feierlicher Amtsübergabe am Samstag, 20. Oktober, in den Ruhestand. Seine vielfältigen seelsorgerischen Aufgaben - beispielsweise das Gestalten von Gehörlosen-Gottesdiensten oder wöchentliche Hausbesuche - führten Steinle über Jahre hinweg quer durch das gesamte Bistum. Für ihn gab es in dieser Zeit "viel Spannendes, Interessantes und Erfüllendes" zu erleben, "aber auf der anderen Seite eben auch viel Anstrengung in der Kommunikation".

Dabei deutete zunächst nichts auf einen späteren Einsatz in der Seelsorge hin: Der gelernte Industriekaufmann, 1948 in Frankfurt am Main geboren, arbeitete viele Jahre im Marketing und Vertrieb der Lufthansa. "Ich habe einen tollen Beruf gehabt, bin viel gereist, habe viel mit Menschen zu tun gehabt." In Zusammenhang mit einer Erkrankung seines ältesten Sohnes kam in Steinle jedoch der Wunsch auf, sich seelsorgerisch zu engagieren und "einmal etwas anderes zu machen, als dieses betriebswirtschaftliche Geschäft". Nach seiner Diakonenweihe im Alter von 52 Jahren war er zunächst als "Diakon mit Zivilberuf" in der Psychiatrieseelsorge nebenberuflich tätig. Nach knapp drei Jahren wagte er im Mai 2003 mit der Ernennung zum Hörgeschädigtenseelsorger den Schritt in die Hauptberuflichkeit.

In der Diözese Würzburg, fortan Steinles Zuständigkeitsbereich, leben etwa 800 Gehörlose und Ertaubte sowie schätzungsweise 150.000 schwerhörige Menschen. Rund zwei Drittel von ihnen sind katholisch. Aufgabe Steinles und seiner Mitarbeiter ist es, "auf die Problematik der Hörgeschädigten in den Gemeinden aufmerksam zu machen und Barrieren abzubauen". Das geschieht unter anderem durch Beratung bei der Ausstattung der Kirchen und Gemeinderäume mit technischen Hilfen oder Visualisierungen im Gottesdienst. Schwerhörige können so trotz ihrer Kommunikationsbehinderung am regulären Gemeindeleben teilhaben. "Der Schwerhörige hat sein Defizit ‚nur’ darin, schlecht zu hören", erklärt Steinle. "Der Gehörlose hingegen ist nicht mit der Lautsprache aufgewachsen. Er lebt in seiner eigenen Kultur und hat seine eigene Sprache, die Gebärdensprache."Deshalb werden die gehörlosen Gläubigen der Diözese mit speziellen Angeboten in Würzburg, Aschaffenburg, Schweinfurt und Bad Neustadt betreut. "Wir besuchen die Leute, wir spenden Sakramente, wir feiern Gottesdienste - das volle Programm."

Darüber hinaus werden am Hörgeschädigtenzentrum in Würzburg Kinder unterschiedlicher Altersgruppen von Seelsorgern auf die Erstkommunion und Firmung vorbereitet. Zudem widmen sich die Mitarbeiter dort auch den Eltern und Angehörigen der betroffenen Kinder.Symbol für Steinles abwechslungsreichen Arbeitsalltag in der Hörgeschädigtenseelsorge ist der Rucksack, den er stets mit sich trägt: "Ich bin der, der durch die Diözese vagabundiert und versucht, den Leuten das zu liefern, was in einer ‚normalen’ Gemeinde auch geschieht. Aber ich bin Diakon, ich kann keine Messen feiern. Deshalb suche und finde ich immer wieder Priester, die uns ihre Zeit schenken, und ich bin dann der, der dolmetscht."

Die Gebärdensprache hat Steinle dabei erst mit Dienstantritt gelernt. "Ohne geht es einfach nicht. Die Gehörlosen leben in ihrer eigenen Kultur, Gebärde ist ihre Muttersprache. Als Seelsorger muss man dort anknüpfen."Da sein Vorgänger sehr kurzfristig das Amt abgeben musste, beschreibt Steinle rückblickend seine ersten Jahre als "durchaus schwere Zeit", da er gewissermaßen "ins kalte Wasser gestoßen" wurde und erst durch langes, intensives Üben die Gebärdensprache erlernt und Kommunikationshürden überwunden hat. "Wenn man seelsorgerisch arbeiten möchte, geht es in erster Linie darum, zuzuhören. Was will der andere mir sagen? Und darin lag die Schwierigkeit - zwischen den Zeilen zu lesen, die leisen Töne zu erkennen, in denen oft das Wesentliche mitschwingt. Das ist für einen, der nicht in dieser Kultur zuhause ist, schwerer wahrzunehmen."Dennoch sind ihm mit Blick auf die vergangenen Jahre zahlreiche schöne Gottesdienste und eine dankbare Gemeinschaft der Gehörgeschädigten in Erinnerung geblieben.

"Glauben kommt vom Hören, das belegt schon eine Vielzahl von Bibelstellen. Dessen muss man sich immer bewusst sein", sagt Steinle. Auch die Zusammenarbeit mit den Priestern, "die ich gebraucht habe, um den Gehörlosen eine gute Mischung von Eucharistie- und Wortgottesdienstfeiern zu liefern", beschreibt Steinle als durchweg positiv. Die nicht-gebärdensprachkundigen Geistlichen gestalteten dabei ihre Messen nach einfach zu verstehenden Texten, die Steinle simultan in Gebärdensprache übersetzte.Mit seiner Nachfolgerin Claudia Walter sieht Diakon Steinle die Hörgeschädigtenseelsorge gut aufgestellt. Er habe rechtzeitig angekündigt, dass in absehbarer Zeit eine Nachfolge nötig sein würde, um eine bei ihm damals fehlende Einarbeitung möglich zu machen. Zudem wird er die langjährige Pastoralreferentin Walter auch noch einige Monate begleiten: "Sie wird langsam in die Materie reinkommen, und je mehr sie dort Fuß fasst, desto mehr kann ich zurückfahren.

Wir haben in Frau Walter wirklich jemanden gefunden, von der ich glaube, dass sie Talent hat und die Gemeinschaft der Gehörlosen von ihr profitieren wird."Vom offiziellen Renteneintritt am 1. Oktober merkt Steinle momentan noch nicht allzu viel, doch das werde sich in den kommenden Monaten nach und nach ergeben. Er werde weiterhin an seinem Wohnort Aschaffenburg die Gehörlosen betreuen, denn "die Menschen werden älter, die Einzelseelsorge wird zunehmen. Dann ist es wichtig, dass Gebärdensprachkompetenz da ist". Zudem möchte er sich wieder mehr der Psychiatrieseelsorge widmen, aber vor allem "jetzt auch mal ein bisschen was an meine Familie zurückgeben. Sie ist mir sehr viel entgegengekommen. Ich hatte die vergangenen zehn Jahre die Gottesdienste an den Sonntagnachmittagen, oft noch mit sich anschließenden Versammlungen. Jetzt versuche ich, da wieder ein bisschen aufzuholen". +++

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