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21.06.13 - BAD HERSFELD

Es kommt nicht häufig vor, dass man Theater in Bad Hersfeld auch als Zuschauer unter freiem Himmel erleben kann, denn die Wetterverhältnisse sind in unseren Breiten meist einfach zu unsicher. Am Mittwoch jedoch legte das "Show Boat", die diesjährige Musicalproduktion im Festspielprogramm, unter dem nicht ganz wolkenlosen Hersfelder Himmel ab, und es fiel nicht schwer, sich in dieser feuchtwarmen osthessischen Sommernacht an den Originalschauplatz der Geschichte an den Mississippi im Süden der USA zu versetzen. Show Boat aus der Notenfeder von Jerome Kern und der Textfeder von Oscar Hammerstein zählt aus heutiger Sicht längst zu den Klassikern des amerikanischen Musicals.

In der Zeit seiner Entstehung in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts thematisierte es mit den Elementen seiner Geschichte aus Showbusiness und Rassendiskriminierung noch brisante Themen der Zeit und sorgte für Kontroversen und Diskussionen. Aus heutiger Sicht besteht allerdings die Gefahr, dass eine, zumindest äußerlich kaum gebrochene Darstellung der Geschichte zwar qualitativ hohen Unterhaltungswert besitzt, jedoch nicht mehr dieselben sozialkritischen Impulse setzt, die dem Stück eigentlich inne wohnen. Die bildhafte Darstellung einer Lynchszene durch den Ku-Klux-Klan im Bühnenhintergerund wirkt schnell alibihaft und plakativ. Doch damit genug der Kritik, denn was an diesem Abend sonst unter dem Hersfelder Himmel zu erleben war, begeisterte auf ganzer Linie: ein erstklassiges Ensemble, herausragende Gesangsstimmen gepaart mit darstellerischer Ausdruckskraft, ein hervorragendes Orchester unter bewährter Leitung von Christoph Wohlleben, ein wandlungsfähiges Bühnenbild (Knut Hetzer), das in seiner Abstraktion wohltuende Kontraste zu den farbenfrohen, realistischen Kostümen (Judith Peter) setzt und nicht zuletzt die mitreißende Inszenierung und Choreographie von Melissa King.

Walter Reynolds trägt "träumerische Gelassenheit" auf der Bühne

So aktionsreich und bewegt die Szenen in Show Boat auch sind, im Zentrum steht die Ruhe des Flusses, des alten Manns Mississippi, reflektiert dargestellt durch die Rolle des Joe (Walter Reynolds), der mit dem zentralen Song Ol’ Man River das Gefühl der träumerischen Gelassenheit durch den Abend trägt, eine Gelassenheit, die lange Zeit vor den Rassenunruhen in den USA, den Umgang der Diskriminierten mit ihrem Schicksal bestimmte, bis hin zu der berühmten Rede Martin Luther Kings "I have a Dream". Reynolds Stimme entspricht jener kraftvoll, gelassenen Position, die Respekt verschafft und damit den Unterdrückten trotzt seines schweren Schicksals zu einem Sieger macht. Dieser geradezu religiöse Aspekt des Selbstbilds, verschafft der afro-amerikanischen Bevölkerungsgruppe den entscheidenden Vorteil.

Denn auch im Showbusiness, zeigen sie es den Weißen, auch wenn die Shows natürlich streng nach "Rassen" getrennt stattfinden müssen, die weißen und farbigen Künstler selbst wissen längst, dass man das gleiche Ziel hat, Menschen zu unterhalten, aber vor allem, wahre Gefühle zu zeigen. Magnolia (Milica Jovanovic) setzt sich gegen die strenge Mutter durch und hat schließlich Erfolg mit ihrem liebsten Song "Can’t help lovin’ dat man" vom Sieg der Liebe über die Vernunft. Michael Schanze (Käpt’n Andy) verkörpert jenen Wiederspruch mit jeder Faser, agiert im Spannunsfeld zwischen seiner strengen Gattin und der Lebensfreude, die er mit seinem Show Boat zu schenken und selbst zu leben vermag. Damit hat er auch in diesem Jahr wieder eine Paraderolle, die ihm auf den Leib geschrieben zu sein scheint.

Die Vielschichtigkeit der Darstellung und vor allem der musikalischen Interpretationen, der Farbenreichtum des Orchesters, der vom authentischen Ragtime bis zur arienhaften Ballade reicht, die feinen Nuancen und Ausdrucksebenen im Gesang Walter Reynolds’ oder Siggy Davis’ werden dem Stück in jeder Hinsicht gerecht und transportieren im Detail jene Gebrochenheit der Emotionen, die dem äußeren Gesamteindruck zunächst zu fehlen scheint. Der bewegte Schlussapplaus zeigte dann, dass beim Publikum neben der Unterhaltungsebene auch tiefere Schichten bewegt wurden, ein bisschen sei dafür auch dem Himmel Dank, dem über Hersfeld. (Klaus Scheuer)+++

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