Archiv

03.07.13 - BAD HERSFELD
Siggy Davis und Walter Reynolds in „Show Boat“ – Spiel aus tiefster Seele
19. Juni: Ein Datum, das vor 148 Jahren Geschichte schrieb. Ein Datum, an dem vor drei Wochen das Musical „Show Boat" in der Bad Hersfelder Stiftsruine seine Premiere feierte. Ausgerechnet am 19. Juni, dem sogenannten „Juneteenth"-Tag. Ein wichtiger Gedenktag in den USA. Der Tag, an dem 1865 der damalige Nordstaaten-General Gordon Granger die Befreiung der letzten Sklaven verkündete. Ein Musicalabend vor 14 Tagen, den Siggy Davis und Walter Reynolds niemals vergessen werden. „War es Zufall?", fragt sich Walter Reynolds, der in „Show Boat" den Sklaven Joe verkörpert. „Wir möchten mit diesem Stück ein Zeichen gegen Stigmatisierung, Verurteilung und Intoleranz gegenüber Außenseitern setzen. Deshalb finde ich es sehr passend, dass das ‚Show Boat’ symbolträchtig am 19. Juni zum ersten Mal in der Stiftsruine vor Anker ging."
Sein Spiel auf der Bühne habe er, der bereits in vier anderen Produktionen des Musicals mitwirkte, noch nie als so intensiv empfunden. Erinnerungen an ihre Familie werden dank „Show Boat" in Siggy Davis (Queenie) wach: „Für mich persönlich eine Hommage an meine Großeltern, die in den Südstaaten lebten – sie waren wie Queenie und Joe." Walter Reynolds sucht nach einer Parallele in seiner Vergangenheit: „Joe ist ein weiser Mann, der nicht viel zu sagen hat. Wenn er aber etwas äußert, hören ihm die Menschen zu. Wie bei meinem Opa liegt seine Stärke in der Ruhe. ‚Opa hat gesprochen’, befanden wir Kinder dann immer, nachdem wir gebannt an den Lippen unseres Großvaters gehangen hatten." Gebannt lauschen auch die Festspielgänger Walter Reynolds alias Joe, wenn er sein Lied, den „Ol’ Man River", singt. Ein Titel, der sich durch das ganze Stück zieht. Ein Song, der eine Verbindung zwischen dem harten, unausweichlichen Sklavenalltag und dem das weite Land durchziehenden Mississippi schafft. Wie Joe, muss der Fluss Unermessliches ertragen. Die Schiffe werden größer, Müll wird achtlos in ihm versenkt, aber er fließt unbeirrt weiter und geht seinen Weg.
Siggy Davis hat ihren größten und essenziellsten Auftritt an einem Ort, an dem alle Figuren sie selbst sein können – egal ob schwarz oder weiß. „In der Küche trifft sich alles", erklärt sie. „Und ganz wichtig: alles, was dort beredet wird, bleibt auch dort." In den Augen der US-Amerikanerin eine Schlüsselszene. „Queenie stellt für Magnolia eine Mutterfigur dar. Durch sie erfährt das Mädchen, was ‚black help’ sowie Wärme und Zuneigung bedeuten können." Queenie habe sich einem bestimmten Leitbild verschrieben: „Bewahre dir deine Freude, denn wenn du die nicht mehr in dir trägst, hat das Leben keinen Wert mehr." Walter Reynolds sieht in der Küchenszene die „Black Churches" widergespiegelt. „In unseren Kirchen haben wir die Chance – das gilt selbstverständlich auch noch für heute – wir selbst zu sein. Das ist unser Stück Heimat." Gelegentlich breche er aber aus, um ein Häppchen dieses „Black-Church-Gefühles" nach draußen, in die weiße Welt, zu tragen.
„Als Siggy bei der Eröffnungsfeier der Bad Hersfelder Festspiele gesungen hat, hielt es mich nicht mehr auf meinem Sitz", erzählt der in Hamburg wohnende Künstler. „Ich musste einfach aufstehen, mich im Rhythmus bewegen und mitklatschen. Ich bin mir nicht sicher, ob das Publikum das als unpassend oder störend empfunden hat, aber das war mir für diesen einen Moment völlig egal." Schließlich sei Toleranz das Thema der diesjährigen Bad Hersfelder Festspiele. „Wir hoffen, dass wir mit ‚Show Boat’ das Tor für mehr Respekt und weniger Ausgrenzung weiter aufstoßen", bekräftigen die beiden Akteure. Ihr Wunsch: Dass farbigen Künstlern, die zum Vorsingen oder Vorspielen antreten, mit auf den Weg gegeben wird: „Oh, das sind aber ein netter Mann und eine höfliche Frau, die mit ihrer Stimme und ihrem Talent beeindrucken." Und nicht: „Oh, da sind ein schwarzer Mann und eine schwarze Frau..." (Stefanie Harth) +++