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FULDA

"Ich kann einem Eingesperrten nicht rational kommen" - Forum: DEMENZ

14.11.13 - " ’Wer ist denn der alte Mann da im Spiegel?’ denkt ein Dementer. Das ist das späte Stadium. Nach kleineren Störungen der Merkfähigkeit sind es vor allem Depressionen, Gedächtnis- und Orientierungsstörungen und Halluzinationen, die auftreten können. Das Denk- und Urteilsvermögen nimmt stark ab", so Dr. Bernhard Kießling. Gemeinsam mit Psychologin Annika Wittig klärte er beim gestrigen Gesundheitsforum im Fuldaer Klinikum Interessenten und Angehörige über die Alterserkrankung Demenz auf.

Bei unter 70-Jährigen hat eine von hundert Personen Demenz, bei den über 90-Jährigen sind es schon 35 von hundert. Da unsere Gesellschaft immer älter wird, werden im Jahr 2020 circa zwei Millionen Menschen in Deutschland an Demenz erkrankt sein. "Das ist kein Schichten-Problem, das ist keine Frage von dumm oder schlau, arm oder reich, das betrifft alle", so Kießling. Es werde in Zukunft keinen größeren Familienverband geben, der nicht mit der Krankheit zu tun hat. Aber auf dieses Problem sei unsere Gesellschaft nicht vorbereitet. "Wir müssen mehr Behandlungsmöglichkeiten schaffen und Arztpraxen und Krankenhäuser müssen sich darauf einstellen."

Wie entsteht Demenz und wie sind die Therapiechancen?

Demenz entsteht dadurch, dass der Zellstoffwechsel nicht mehr so funktioniert, wie er sollte. Erst "vermüllt" die Zelle und kann dann den Zellstoffwechsel nicht mehr richtig durchführen, was zum Zelltod führt. Warum manche Menschen davon betroffen sind und andere nicht, kann die Medizin (noch) nicht erklären. Demenz hat verschiedene Ausprägungen - der Prototyp ist Alzheimer - über die gestern näher aufgeklärt wurde. "Nur weil ich hier und da mal etwas vergesse oder einen schlechten Tag habe, heißt das nicht gleich, dass ich Alzheimer habe", so Kießling. Erst wenn man unter Gedächtnisstörungen leidet, in einem anderen neurologischen Bereich eingeschränkt ist, das Leben in seinem Alltag relevant eingeschränkt ist und das schon mindestens sechs Monate anhält, müsse man dringend zum Arzt gehen und sich untersuchen lassen.

Im Fuldaer Klinikum gibt es die sogenannte "Gedächtnissprechstunden", in denen standardisierte, testpsychologische Untersuchungen durchgeführt werden. "In unserer Diagnostik fließen die Ergebnisse bildgebender Verfahren und der Laboruntersuchungen ein", so Wittig. "Abschließend sprechen wir dann eine Empfehlung zur weiteren Behandlung aus." An den Therapiemöglichkeiten wird in Forschung und Medizin mit Hochdruck gearbeitet. Ziel seien laut Kießling Medikamente, die den Krankheitsverlauf verzögern und nicht solche, die die Begleitprobleme behandeln, da diese zu viele Nebenwirkungen aufwiesen. "Es gibt aber auch unzählige Antidementiva (so werden die Medikamente zur Verzögerung genannt), die nicht helfen. Da immer mehr Menschen an Alzheimer erkranken, hat die Pharmaindustrie ein unglaublich großes Interesse an einem medizinischen Durchbruch. Oftmals werden dann aber falsche Pressemeldungen rausgeschickt oder Wirkungsnachweise durch statistische Manipulation eingeholt", so der Oberarzt. Auch Impfungen, Spritzen o.ä seien bisher nicht wirksam, anders als manchmal zu lesen. Da die Studien viele Jahre dauern, könne man so bald keinen Durchbruch bei der Therapie erwarten. 

"Liebe und Zuwendung sind ein Schlüssel"

Wichtig sei nach Ansicht der Vortragenden die nicht-medikamentöse Behandlung: Ergo- und Körpertherapie, Krankengymnastik, Hör- und Sehgeräte, Haushaltstraining, Biografiearbeit und die Angehörigenbetreuung. Die Bevölkerung müsse umdenken: man könne einer an Demenz erkrankten Person nicht mit rationalen Argumenten kommen. Das verstehen sie nicht. Man müsse auf eine emotionale Ebene gehen, wie bei Kindern. "Natürlich gibt es keine Patentlösung", so Kießling.

"Aber wenn ein alter Mann in einer geschlossenen Anstalt steht und raus möchte, kann ich ihm nicht erklären: ’nein, die Tür ist zugesperrt, weil du immer abhaust und dich damit in Gefahr bringst. Das versteht er nicht. Wenn ich aber etwas über ihn und sein Leben erfahre und weiß, dass er früher immer Sportfan war, kann ich vielleicht sagen: ’Hey, komm doch mit mir mit, die Sportschau fängt gleich an’. Das klappt natürlich nicht immer, aber es ist allemal besser als rationale Erklärungen oder schlimmstenfalls sogar Ausschimpfen."

"Meine Mutter leidet an Demenz. Sie ruft mich immer an, und möchte aus dem Pflegeheim raus. Und sie vermisst meinen Vater, weil sie denkt, er sei noch im Krieg", erklärte eine Frau aus dem Auditorium. "Und das zerreißt Ihnen sicher das Herz", so der Experte am Mittwoch. "Da kann man natürlich nicht ablenken. Vielleicht sollten Sie versuchen, ihre Mutter zu trösten. Nehmen Sie sie in den Arm, leiden Sie mit und versuchen Sie, ihr damit Trost und Hoffnung zu geben."

Den Experten des Gesundheitsforums war es besonders wichtig, auf Folgendes hinzuweisen: emotionale Bindungen und liebevolle, auch körperliche Zuwendung werden von den Betroffenen bis zum Schluss wahrgenommen. "Ich will, dass Sie das mit nach Hause nehmen - nicht der Kranke muss sich anpassen, das kann er nicht mehr. Wir und seine Umgebung muss sich an ihn anpassen. Liebe und Zuwendung sind ein Schlüssel dafür", erklärte Kießling. (Anne Baumann)

Informationen gibt es in der Psychiatrischen Institutsambulanz unter: 0661 84 5734 oder [email protected]   +++

Depressionen sind oft ein Symptom für Demenz Fotos: RKbysokaeiko/ pixelio.de

Dr. Bernhard Kießling und Psychologin Annika Wittig Fotos: Anne Baumann

Der Hörsaal war voller, als von den Vortragenden erwartet


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