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FULDA Schlosspark-Prozess

09.12.13 - „Zum ersten Mal im Leben war ich froh darüber, dass ich so kräftige Hände habe. Mit denen habe ich mich vor den Schlägen auf meinen Kopf geschützt. Ich bin sicher, sonst hätte ich das nicht überlebt", sagt die 48-jährige Olga T. heute vor Gericht. Dann bricht ihre Stimme und sie schluchzt hemmungslos. Versuchter Mord in Tateinheit mit schwerem Raub und gefährlicher Körperverletzung wirft die Anklage den beiden jugendlichen bzw. heranwachsenden Tätern vor, die sich seit heute vor dem Landgericht Fulda verantworten müssen.

Was die angestellte Bauzeichnerin am 19. Juni dieses Jahres am hellen Nachmittag im Fuldaer Schlossgarten – mit schlimmen Folgen bis heute - erleben musste, lässt die Zuschauer im Gericht ratlos auf die beiden Angeklagten blicken. Keinem von beiden traut man die angeklagte brutale Gewaltattacke mit zahllosen Schlägen ins Gesicht und auf den Kopf des Opfers zu. Vor allem der 17-jährige Haupttäter wäre die richtige Besetzung für einen in der Schule unbeliebten Streber: das Jackett schlottert, er ist klein und schmächtig, trägt eine Brille und blickt während der Verhandlung unsicher und mit hängenden Schultern unter sich. Der 19-jährige Mitangeklagte, der auch nicht wie ein passionierter Schläger aussieht, schaut interessiert im Publikum umher und scheint sich des Ernstes der Situation nicht recht bewusst zu sein.

Nachdem die Staatsanwältin die Anklage mit vielen blutigen Details verlesen hat, beantragen die beiden Verteidiger, die Öffentlichkeit während der Befragung – zumindest des jüngeren Angeklagten - auszuschließen, weil aus erzieherischen Gesichtspunkten seine persönlichen Umstände zu schützen seien. Auch die Vertreter der Jugendgerichtshilfe befürworten den Ausschluss des Publikums, während die Staatsanwältin das öffentliche Interesse an dem Fall, der die Bevölkerung stark beschäftigt habe, hervorhebt. Schließlich findet die Befragung des Hauptangeklagten ohne die Besucher statt.

„Lass uns mal jemanden zusammenschlagen"

Anschließend lässt der ältere Angeklagte seinen Verteidiger eine Erklärung zur Tat verlesen, die im Wesentlichen darauf abzielt, dessen geringe Tatbeteiligung zu bezeugen. Während beide Jugendliche sich am 19. Juni bei um die 30 Grad Hitze im Park mit „ein paar Späßen" unterhielten, habe der 17-Jährige unvermittelt gesagt: „Lass uns mal jemanden zusammenschlagen" und einen metallenen Zündkerzenschlüssel aus seinem Rucksack geholt. Das will Steven W. überhaupt nicht ernst genommen haben, etwas Ähnliches habe Joel H. auch nie zuvor geäußert. „Ich habe ihm so was nicht zugetraut, sonst hätte ich ihm das Ding abgenommen oder mich von ihm getrennt", so seine Aussage.

"Er sagte nur: "DIE!"

Als Olga T. sich kurz darauf näherte, habe der 17-Jährige nur „DIE" gesagt und sofort angefangen auf die wehrlose Frau einzuschlagen – zunächst auf den Rücken, dann mit voller Wucht auf Kopf, Brust und Gesicht, bis sie blutüberströmt zu Boden ging. „Ich war völlig geschockt – es war wie in einem Film – ich wollte nur noch weg", lässt der 19-Jährige verlesen. Beide seien dann über das Gelände der angrenzenden Winfriedschule geflüchtet, hätten am Centhof Tabak gekauft, um kurz darauf am Busbahnhof von der Polizei festgenommen zu werden.

Opfer fühlte sich dem Tod nah

Obwohl das Opfer der Gewalttat bis heute unter den Folgen zu leiden hat, schildert sie dem Gericht die Geschehnisse präzise und detailliert. Wie sie an den beiden Jungen vorbeigegangen und sie überhaupt nicht bedrohlich gefunden habe. Dass sie beim ersten unvermittelten Schlag in den Rücken geglaubt habe, ein Ast sei vom Baum auf sei herab gefallen. Wie der „Blonde" sie mit starrem Blick fixiert, das Rohr mit beiden Händen erhoben und ihr ins Gesicht und auf den Kopf geschlagen habe, so dass das Blut über ihre Hände lief. Dass er unablässig weiter schlug, obwohl sie zu Boden gegangen war. Dass sie gedacht habe, sie werde nicht mehr lange durchhalten und bereits die Kontrolle über ihre Blase verloren habe. Dass sie geglaubt habe, der zweite Junge filme die Szene oder sie habe beide bei etwas Unrechtem überrascht. Dass sie es auf ihre Tasche abgesehen haben könnten, sei ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Die ganze Zeit habe sie um Hilfe geschrien, die zum Glück schließlich auch in Gestalt eines Passanten auftauchte. Noch Tage später habe sie Halsschmerzen vom Schreien gehabt.

Geheimer Radius um den Tatort

Die Schilderungen der körperlichen und seelischen Spätfolgen dieser Gewaltorgie vor Gericht ziehen sich qualvoll hin. Zwar sind die Frakturen am zertrümmerten Nasenbein und Handgelenk, Platzwunden und Abwehrverletzungen mittlerweile weitgehend verheilt, doch leidet Olga T. nach wie vor an Angstzuständen und Schwindelanfällen und befindet sich in psychologischer Behandlung. An die Wiederaufnahme ihrer Berufstätigkeit war bislang nicht zu denken. Eindrucksvoll schildert sie, dass sie kurz nach der Tat zunächst sogar euphorisch empfunden habe: „Ich habe überlebt!". Doch das habe leider nicht lange angehalten. Alles was sie früher gern getan habe, sei ihr nicht mehr möglich – weder lesen, fernsehen noch Musik hören, weil sie sich nicht mehr konzentrieren könne. Alpträume von „Blut und Schmerzen" suchten sie immer wieder heim, sie könne das Haus nicht allein verlassen.

Offenbar gebe es eine Art unsichtbaren Radius um den Tatort herum, dem sie sich nicht nähern könne. Schon in der Friedrichstraße bekomme sie Panik und Atemnot, die erst zwei Straßen weiter weg nachließen. „Ich muss erst lernen, wieder Vertrauen zu haben". Als der Richter Olga T. vorsichtig fragt, ob sie die Beweisfotos von ihrem körperlichen Zustand im Krankenhaus ansehen könne, verneint sie. „Ich weiß, ich sah aus wie ein Monster – mein kleiner Sohn konnte mich nicht ansehen", sagt sie.

Ob sich während der weiteren Verhandlung etwas über das bisher rätselhafte Motiv des 17-Jährigen herauskristallisiert, bleibt abzuwarten. „Was ist da bloß schiefgelaufen, fragt man sich und kann es nicht begreifen", konstatiert ein Zuschauer im Gericht. Für das Opfer ist es mit Sicherheit kein Trost, dass sie es nicht mit vorbestraften notorischen Gewalttätern zu tun hatte. Eher im Gegenteil.+++ Carla Ihle-Becker

Die Angeklagten mit ihren Anwälten...

Die Strafkammer unter Vorsitz von Richter Joachim Becker tagt als Jugendkammer. Fotos: Christian P. Stadtfeld

Staaatsanwältin Christina Dern

Der 17-jährige Haupttäter...

und der 19-jährige Angeklagte...

mit seinem Anwalt


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