Archiv

Kalle Becker (rechts) - Max Heydenreich

Kalle Becker (rechts) - Max Heydenreich

21.07.02 - Herzberg

"Vater" von Deutschlands größtem Hippie-Festivals: Kalle BECKER

Vor zwei Jahren sollte endgültig Schluss mit lustig sein: Festival-Initiator Kalle Becker wollte definitiv nie wieder ein Open air Konzert auf Burg Herzberg im Kreis Hersfeld-Rotenburg veranstalten. Der Zenit war mit 30.000 friedlich vereinten Hippies auf den Wiesen um die Burgruine längst erreicht - und die nervliche Kapazität der Organisatoren auch.

Wenn sich seit vergangenem Mittwoch die knapp 2.000 Einheimischen von Breitenbach am Herzberg auf die Lawine von diesmal 50.000 Freaks aus ganz Deutschland einstellen, ist bewiesen: der Hippie schlechthin - und mit ihm das Burg Herzberg Festival lebt.Als "ganz normal durchgeknallt" beschreibt Kalle Becker seine Idee, 1990 auf der Burgruine ein bombastisches Open-Air-Festival auf die Beine zu stellen. In Zeiten seelenloser Publikumsabzocker und öder Massenangebote musste eine Alternative her. Ein ziemlich wahnwitziges Unterfangen, das wusste der Initiator selbst. Zehn Jahre später treffen sich jeden Juli immerhin Zehntausende unterhalb der Burg, um friedlich Live-Musik zu hören.

Schon 1969 war Burg Herzberg Treffpunkt für deutsche Beatbands. >Ungewöhnliche Klänge waberten da zu Tal<, erinnert die Festivalzeitung an die Anfänge. Ein Jahr später zog deutscher Krautrock auf dem Herzberg schon weitere Kreise. 1971 dann ein verregneter Juli und damit ein Megareinfall. Obendrein sollte bei einem Konzert ein Zuschauer von der hohen Burgmauer abgestürzt sein. >Dabei war es bloß ein Hund<, weist Kalle das böse Gerücht zurück. Aber das Festival war zunächst gestorben.

Der gelernte Industriekaufmann Kalle Becker hatte in Berlin Soziologie studiert, Häuser besetzt und die alternativen Lebenskonzepte gründlich verinnerlicht. Sein Doktorvater >verriet die Scene<, als er seine intimen Kenntnisse über die Hausbesetzer als eigene Forschungsarbeit veröffentlichte. Kalle kehrte 1981 desillusioniert in die Rhön zurück. Nach einer Buchhändlerlehre in Israel verkaufte er im Fuldaer Laden >Marleen< gebrauchte Schallplatten.Im September 1991 war es dann soweit. Bei herbstlicher Kühle und >vor einer erlesenen Schar von Besuchern< erscholl nach Jahren wieder Rock, Jazz und Blues auf der Burg. Neben bekannten regionalen Bands sorgte Champion Jack Dupree für den Erfolg des Wochenendes.

Typisch für das HerzbergfestivaL war von Beginn an der alternative Anspruch: Nicht der verhasste Konsumterror, sondern >Music, Love & Peace< bestimmte die Festivalatmosphäre. >Der Besucher in seiner unermesslichen Schönheit soll hier im Mittelpunkt stehen<, hieß das Postulat. Alle zwischen 1968 und ´75 angesagten Gruppen sollten auf dem Herzberg spielen. Guru Guru, Humble Pie, Louisiana Red, Chicken Shack, Wolf Maahn, Amon Düül 2, John Mayall, Caravan und Eric Burdon, um nur einige der prominenten Akteure auf dem Herzberg zu nennen.

Darüber hinaus gab und gibt es auch einen politischen Anspruch der Macher, sich dezidiert gegen das Establishment zu äußern. So ging es 1996 gegen die Castortransporte, -im letzten Jahr protestierte das >Movement of the Hippies< gegen den Krieg auf dem Balkan,- die Aktion hieß medienwirksam >Wir zeigen diesem Krieg den Arsch<. Diesmal stehen zwei im Internet zu besichtigende Schweine >Emma Emmely< zur Bundestagswahl.(www.think progressive.de).

Der Erfolg steigerte sich jährlich, aber Pannen blieben nicht aus. Einmal provozierte der freie Haschischverkauf und dessen Auswirkungen die Umgebung, ein anderes Mal mussten wegen Regen und Besuchermangel 2000 Bratwürste im Schlamm >beerdigt< werden. Ein Mädchen verschwand während eines Konzerts spurlos und wurde von der Bild-Zeitung in Riesenschlagzeilen vermisst gemeldet. Tatsächlich hatte sie sich nur mit einem Festivalfreund nach Griechenland verabschiedet.

Auch mit den Burgherren derer von Dörnberg gab es Ärger. Einer von ihnen habe ihn vor vier Jahren im Kampfanzug mit der Flinte bedroht, erzählt Kalle, denn die Festivalfreaks hatten ihre Notdurft in den umliegenden Wäldern des Adeligen verrichtet.Überhaupt seien viele im Publikum leider ziemliche Schweine, beklagt der Festivalinitiator. Auf 960 Tonnen Restmüll seien die Organisatoren 1994 sitzen geblieben. Deshalb gibt es seitdem in Kooperation mit der Fachhochschule Fulda ein ausgeklügeltes Mülltrennungskonzept. Mit dem Eintritt erwirbt der Musikfan einen gelben und blauen Müllsack, für den gefüllten Sack bekommt Pfand zurück. Auf Einwegflaschen soll in Freakcity künftig ganz verzichtet werden. In diesem Jahr bitten die Veranstalter noch höflich darum.

Vom Aufhören ist jedenfalls nicht mehr die Rede: der Pachtvertrag für das Herzberggelände ist auf die nächsten zehn Jahre verlängert worden.+++


Strahlt angesichts der vielen Besucher: Kalle Becker - Martin Angelstein

Auch in 2002 ein Erfolg: das Herzberg-Festival. - Martin Angelstein


Soweit das Auge blickt - "Freak-City" und Verkaufsstände. - Martin Angelstein

Über Osthessen News

Kontakt
Impressum

Apps

Osthessen News IOS
Osthessen News Android
Osthessen Blitzer IOS
Osthessen Blitzer Android

Mediadaten

Werbung
IVW Daten


Service

Blitzer / Verkehrsmeldungen Stellenangebote
Gastro
Mittagstisch
Veranstaltungskalender
Wetter Vorhersage

Social Media

Facebook
Twitter
Instagram

Nachrichten aus

Fulda
Hersfeld Rotenburg
Main Kinzig
Vogelsberg
Rhön