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KÜNZELL Soziale Kälte und Blutsauger

Loheland-Schüler spielen "Das steinerne Herz" nach HAUFF

07.06.14 - Wilhelm Hauffs Märchen erschien 1827 unter dem Titel „Das kalte Herz“ als Teil der Erzählung „Das Wirtshaus im Spessart“ im „Märchenalmanach für das Jahr 1828“. Die Wahl dieses Textes durch die Schüler der 8. Klasse der Lohelandschule für das diesjährige Klassenspiel erscheint als durchaus aktuell: Die Geschichte vom Köhler Peter Munk, der seine Seele verpfändet, um Reichtum und Ansehen zu erwerben und sich all die Dinge leisten zu können „die man nicht braucht, aber die das Leben angenehmer machen“. Er tauscht sein „warmes, lebendiges Herz“ beim Holländer Michel gegen ein kaltes Herz aus Stein, das weder Freude, noch Mitleid oder Reue fühlen läßt. Und so, meint er, seien alle Probleme beseitigt. Er wird eines Besseren belehrt.

Was zunächst recht harmlos als Märchen daherkommt, eine Schauergeschichte, erzählt zum Zeitvertreib im Rahmen einer anderen Schauergeschichte, erweist sich schon in der Hauffschen Version schnell als drastische Verurteilung unredlich erworbenen Reichtums und der Macht des Geldes. Alle vermeintlichen ‚Stützen der Gesellschaft’ - der Bankier, der Händler, der Amtmann - haben diesen Handel mit dem Holländer Michel abgeschlossen und ihr asoziales Verhalten bringt Elend über einen großen Teil der Bevölkerung. Und Peters gesellschaftlicher Aufstieg endet als einer, der mit Geld handelt und Lebensmitteln spekuliert.

Obwohl sie den Märchenton der Erzählung vor allem in der Ausstattung erhalten, wird in der Bühnenbearbeitung der Lohländer der kritischeAspekt noch ausgebaut: Um größeren Gewinn zu erzielen, will der Holzhändler Ezechiel die Flößer auf immer gewaltigeren Flößen nach Holland schicken, dabei Leib und Leben der für ihn Arbeitenden riskierend, obwohl die Flößer ihm klarzumachen versuchen, dass solche Holzmengen nicht mehr steuerbar seien. Und den Bankier kümmert nicht, auf welche Weise das Geld verdient wurde, das sich in seiner Bank vermehren soll. Er stellt „keine unnötigen Fragen“.

Aus dem traditionsbewussten Hüter des Handwerks, dem Glasmännlein, das Mäßigung und Fleiß propagiert, wird die zarte, fast unweltliche Gestalt der Glashüterin, in denkbar krassem Gegensatz zur düsteren Gestalt des Holländer Michel, der deutlich vampiristische Züge trägt. Passend für einen, der diejenigen, die sich mit ihm einlassen, zu gefühllosen Untoten macht, die auf Kosten anderer ihre Existenz fristen.

Mir ungemeiner Freude am Detail pointiert die Inszenierung den Text: das Bühnenbild übernimmt die Oppositionen, mit denen der Text arbeitet: hier das gesellschaftliche Leben in Form des Gasthauses, auf der anderen Seite der finstere Tannenbühl, wo nur die Holzfäller in Angst vor dem Michel hausen. Die beiden Seiten zugeordneten Waldgeister Glashüterin und Holländer Michel haben ihren festen Raum auf beiden Seiten im Hintergrund der Bühne und der Außenseiter Peter Munk lebt mit seiner Mutter in einer Hütte abgelegen von allen anderen hinter der letzten Zuschauerreihe. Die langen Wanderungen des Kohlenpeter zum Dorf und zu den Waldgeistern führen ihn kreuz und quer durch den Zuschauerraum und das tagelange Glücksspiel im Gasthaus mit dem Holzhändler Ezechiel wird markiert durch mehrere Lichtwechsel und wiederkehrende „Guten Morgen“- und „Guten Abend“-Grüße der Dörfler. Die adretten Trachten und reizenden Frisuren der Frauen passen zu den oberflächlichen Gesprächen über Vergnügungen und Tand, und der geschniegelte Bankier mit Pomadenfrisur, der behäbige Händler Ezechiel und der totengräberartige Amtmann vervollständigen das Bild einer Gesellschaft, die nur auf Äußerlichkeiten bedacht ist und wo das Gerede der anderen alles gilt. Immer wieder machen das Gemurmel und die vielstimmig gesprochenen Dialogpassagen den Nachdruck der öffentlichen Meinung deutlich.

„Das kalte Herz“ ist – wie Charles Perraults „Die drei Wünsche“ und das Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ – eine Geschichte über das Wünschen. „Verstand, sag’ ich dir, Verstand, gesunden Menschenverstand und Einsicht hättest du dir wünschen sollen.“ Es ist aber auch eine deutliche Warnung vor den Folgen einer gesellschaftlichen Entwicklung, die „Ökonomie“ über alles setzt. In der Hauffschen Kritik des beginnenden Kapitalismus wird die negative Entwicklung ganz deutlich: „Vor etwa hundert Jahren [...] war weit und breit kein ehrlicheres Volk auf Erden, als die Schwarzwälder. Jetzt, wo so viel Geld im Land ist, sind die Menschen unredlich und schlecht. [...]Das ist die Sage vom Holländer Michel, und wahr ist es, alles Böse im Schwarzwald schreibt sich von ihm her“. Die Geschichte von Versuchung und Rettung des Peter Munk zeigt, dass auch gute Menschen zu bösen werden, wenn sie um des Reichtums Willen ihr Herz verhärten, alle sozialen Verpflichtungen leugnen (Peters Mutter lebt im Elend) und zum Schluss sogar das Liebste und Wertvollste opfern (Peter erschlägt seine warmherzige Frau Lisbeth).

Am Ende wird im Märchen alles gut: der Holländer Michel ist vertrieben und Peter Munk lebt ein fleißiges und glückliches Leben mit Lisbeth und seiner alten Mutter. Die Aufführung geht sogar noch weiter und lässt auch den ausbeuterischen Unternehmer und den skrupellosen Bankier auf den rechten Weg zurückfinden. Insgesamt eine ausgesprochen geglückte Inszenierung, mit phantasievollem Bühnenbild, liebevollen Kostümen, einfallsreicher Lichtregie und guten, zum Teil sehr guten Darstellern. Die Regie führte Herr Andreas Zemke. (Heike Depenbrock)


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