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Standing Ovations für großartige "DON QUIJOTE"-Inszenierung
15.06.14 - Kann man einen Kampf mit Windmühlen, das Besiegen von Monstern, alte Pferde und große Ungeheuer und vor allem kann man den Konflikt zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Verrücktheit und Fantasie auf der Theaterbühne darstellen, ohne dass es lächerlich wirkt? Kann man einen Helden auf die Bühne stellen, der sich lächerlich macht, ohne dass ihn das Publikum belächelt? Kann man einen Klassiker der Weltliteratur ins Heute transportieren, ohne dass der Bühnenfassung ein gewisser moderner Stil anhaftet, der oft eher fremd denn innovativ wirkt?
Die eindeutige Antwort seit dem gestrigen Samstagabend lautet: „Ja, man kann!“ Das Ensemble rund um die Regisseure Tobias Bungter und Laura Quarg hat es geschafft. Die Beteiligten des Stückes „Don Quijote“ haben die Romanvorlage aus dem Jahr 1605 von dem „spanischen Shakespeare“ Miguel de Cervantes meisterhaft umgesetzt. Sie haben ein Familienstück für die diesjährigen Bad Hersfelder Festspiele geschaffen, das rührend, witzig, traurig und fantastisch zugleich ist. Die Vorstellung am Samstagabend in der Stiftsruine begeisterte das Publikum und die Darsteller so sehr, dass es beim Schlussapplaus nicht nur Standing Ovations gab, sondern sogar eine gemeinsame Gesangs- und Tanzeinlage mit Ensemble und Publikum.
Der Roman "Don Quijote" gehört zu den wichtigsten Büchern der Weltliteratur. Mit seiner herben Parodie auf die im Mittelalter beliebten Ritterromane begründete er in der Literaturgeschichte des Abendlandes die neue Gattung Roman. Es ist eine Geschichte über die Macht der Fantasie und schwebt zwischen Ideal und Realität. Die bekannteste Szene aus dem Roman ist der aussichtslose Kampf gegen Windmühlen. Im 17. Jahrhundert von den Lesern begeistert als Metapher für den Kampf des Menschen gegen die gnadenlosen Maschinen interpretiert, wurde dieses Bild zu einem festen Bestandteil in unserem Sprachgebrauch.
Ein Stück über Fantasie und Freundschaft
Die Regisseure Tobias Bungter und Laura Quarg selbst sehen das Stück als eine Geschichte über die Kraft der Freundschaft und die Notwendigkeit, an das Unmögliche zu glauben. Dafür sei man nie zu jung oder zu alt, so dass es eindeutig schien, dass die Bühnenfassung des spanischen Romans das diesjährige Familienstück der Bad Hersfelder Festspiele wird. Im Stück geht es um den etwa 50-jährigen Landadeligen Alonso Quijano aus einem Dorfe in der spanischen Mancha, der durch die ständige Lektüre von Ritterromanen langsam überschnappt. Er fasst den Entschluss, selbst als fahrender Ritter „Don Quijote“ durch die Welt zu ziehen, gegen das Böse zu kämpfen und dafür nicht endenden Ruhm zu ernten. Er schnappt sich eine rostzerfressene Rüstung, baut sich aus einer Metallschüssel und Pappe einen Helm, setzt sich auf seinen klapprigen Gaul Rosinante und zieht von dannen. Als die Dame seines Herzens hat er sich seine alte Jugendliebe, die süße Dulcinea von Toboso („dulce“ heißt im spanischen „süß“) erwählt, die er abgöttisch liebt, während der Handlung jedoch nie zu Gesicht bekommt. Im Nachbarort trifft er auf den Lebemann Sancho Pansa, den er als seinen Knappen anheuert im Versprechen, ihm nach bestandenen Abenteuern eine Insel zu schenken. Trotz der schrecklichen Prügel, die Don Quijote bei den Leuten beziehen muss, lässt er sich nicht aufhalten und auch Sancho Pansa, der bald erkennt, wie verrückt sein Herr ist, hält ihm die Treue.
Spanisches Flair und eine Frau, die zum perfekten Mann wird
Allen voran war es die großartige Viola von der Burg, die diesem Ritter von der traurigen Gestalt ein dermaßen perfektes Auftreten, Mimik, Gestik und Stimme gab, dass es fast unmöglich schien, dass hinter dieser Figur die filigrane und elegante Schauspielerin mit der weichen, zarten Stimme steckt. „Ich bin Don Quijote von der Mancha“ krächzte sie mit der Stimme eines alten Mannes, die Augen weit aufgerissen und den Hals stets nach oben streckend, so dass ein jeder sah, wie dieser traurige Ritter sich bemüht, bei allen Unzulänglichkeiten des Lebens seinen Stolz und seine Ehre zu behalten. Jede einzelne Bewegung, jeder Schwerthieb, das heisere Lachen und der nach so manchem Gerangel leicht gebeugte Gang passten genau zu diesem Charakter, den Cervantes vor vielen Jahrhunderten angelegt hatte.
Dazu sein treuer Begleiter, Sancho Pansa, verkörpert durch Thomas Gimbel und ganz anders als sein großer, fantasievoller Herr: klein, kräftig, mit einer gewissen Bauernschläue ausgerüstet, die ihn zunächst an diesen verrückten Adeligen bindet, da er sich nach seiner „Knappschaft“ eine Insel erhofft, aber auch mit einer Gutmütigkeit und Freundlichkeit ausgestattet, mit denen er die Treue zu Don Quijote hält. Seine rauhe Aussprache, seine bunte Kleidung im spanischen Stil und sein Gesang zur eigens auf der Bühne gespielten Ukulele machten ihn zu dem perfekten Begleiter.
Auch die anderen Darsteller füllten die Bühne durch ihre Präsenz und ihre authentische Darstellung vollends aus: der durchtriebene Bösewicht, dargestellt von Maximilian Pekrul, der sich mit der furchteinflößenden Anmut eines Machthabenden bewegt, die bunt geschmückten Mädels mit Flamencokleid, streng nach hinten gekämmter Mähne und dem Stolz und der Leidenschaft der Spanierinnen, die Männer in Aladinhosen mit spanischem Akzent, der Bad Hersfelder Chor, Tanz und Gesang über "borritos" und "salsa picante" machten das spanische Flair perfekt.
Dazu haben die Masken- und Kostümbildner, die Bühnenbildner eine spanische Welt geschaffen, die sehr wohl an das 17. Jahrhundert erinnert, dazwischen aber bunte, glitzernde Figuren aus dem Hier und Jetzt auftauchten, die trotzdem ihren richtigen Platz im Stück hatten und niemals in Frage gestellt würden. Auch das Spiel mit Schwarzlicht und bunten Requisiten ergab trotz ihres gewollten Durcheinanders, ein perfektes Ganzes. Für viele Lacher sorgten auch die Gefährten der Figuren, an denen die perfekte Symbiose zwischen Alt und Neu erkennbar war: ein modernes, wenn auch rostiges Motorrad bekommt da ein bisschen Metall, Stoff und Drähte angesteckt und bildet so das klapprige Pferd Rosinante, was jeder im Publikum sofort lachend abkauft, ein kleineres Moped wird zu Sancho Pansas Maultier. Wenn Viola von der Burg dann noch stolz vorausfahrend über die Bühne düst, und Thomas Gimbel in dem etwas tiefer gelegten Moped hinter hersaust, ist das Bild rund. Es sah ein bisschen aus, wie die berühmten Illustrationen von Salvador Dali, mit denen er eine Don Quijote-Fassung ausschmückte.
Zu viele Kaufleute verderben die Welt
So hat es das Ensemble geschafft, das Bild des Ritters von der traurigen Gestalt ins Hier und Jetzt zu holen. Das Publikum durchlebte während der kurzweiligen 120 Minuten mit den Charakteren jegliche Emotionen, die im Stück angelegt sind: Erregung, Trauer, Mitgefühl, Freude, Angst, Hoffnungslosigkeit, Erkenntnis und Erlösung. Das ist großes Theater. Das schafft nur solches Theater, das den Mut hat, die richtigen Schauspieler, die richtigen Regisseure, die richtige Technik und das richtige Team zu stellen, auch wenn man dafür etwas tiefer in die Tasche greifen muss. Das weiß auch Don Quijote, wenn er sagt: "Was wäre eine Welt ohne Ritter? Wenn es nur noch Kaufleute gäbe? Geld bringt einen nicht weiter, nur die Liebe hilft im Leben." Bravo! (Anne Baumann) +++