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Markus GERTKEN hat Lust auf die Ruine
22.07.14 - Sein Name ist seit 2008 untrennbar mit großem (Schau-)Spiel in der Bad Hersfelder Stiftsruine verbunden. Er verkörperte den Lionel in „Die Jungfrau von Orléans“, gab Odysseus ein Gesicht als blutrünstige und mordende Kriegsmaschine in der „Odyssee“, mimte den legendären schweizerischen Freiheitskämpfer in „Wilhelm Tell“ oder machte als selbstverliebter Menschenhasser Shir Khan im Familienstück „Das Dschungelbuch“ Jagd auf Mogli. In der laufenden Festspielzeit brilliert Markus Gertken erneut als gnadenloser Ketzer- und Hexenjäger Bernard Gui in „Der Name der Rose“ sowie in der Rolle des Wilhelm Cecil, Baron von Burleigh, dem Großschatzmeister und Elisabeth-Berater in „Maria Stuart“.
„Ich bin hauptsächlich wegen Schiller nach Bad Hersfeld zurückgekehrt“, verrät der Berliner. Ehrfurchtsvoll lässt er seinen Blick über den Stiftsbezirk schweifen. Seine stahlblauen Augen blitzen. „Und selbstverständlich wegen der Spielstätte – ich hatte einfach Lust auf diese Bühne, auf dieses Gemäuer, das eine unglaubliche spirituelle Kraft ausstrahlt.“ Ein Ort, an dem man noch so wirken könne, wie selten im Theater. „Man muss extrem an der Sprache arbeiten, spielt scherenschnittartiger und sehr körperbetont, was ideal zu den Stoffen passt“, unterstreicht Markus Gertken. „Meine Figuren stützen sich auf ein starkes Wertesystem.“ Während für Burleigh allein die Staatsräson zähle und er mit allen Mitteln die Stabilität im Land bewahren will, handle es sich bei Bernard Gui um einen starken Vertreter einer Seite in einem Kirchenkonflikt, der bis heute nicht gelöst sei. „Ich habe Burleigh schon einmal in jungen Jahren verkörpert. Aber jetzt kann ich von mir behaupten, dass ich die Figur durchdrungen habe, da mein politisches Verständnis gereift ist“, erläutert der Festspieldarsteller, der sich darüber freut, dass Bundespräsident Joachim Gauck die Intention der Inszenierung von Schillers Trauerspiel begriffen habe, das sich laut Intendant Holk Freytag wie ein Kommentar zu allen diplomatischen Konflikten unserer Tage lesen lasse.
„Holk Feytag zählt meiner Meinung nach zu der Garde der politisch denkenden Theatermacher“, bekräftigt Markus Gertken, der vor dem Hintergrund der vorangegangenen Wirren und Turbulenzen um die Bad Hersfelder Festspiele davor Angst hat, dass in der Stadt etwas umkippen könnte. „Ich bekomme selbstverständlich die Veränderungen mit“, betont der Schauspieler, der über das mangelnde Interesse an den Schulveranstaltungen zum Thema Schiller enttäuscht ist. „Obwohl gespart wird und wir Schauspieler mit unseren Gagen heruntergegangen sind, liefern wir gute Arbeit ab. Ich wundere mich darüber, dass in Sachen Schauspiel jeder mitreden möchte – auch diejenigen, die keine Ahnung davon haben.“ In Anbetracht der Spielstätte müsse das Niveau unbedingt gehalten werden. „Die Stiftsruine ist kein Cats-Zelt, sondern ein hochspiritueller Ort, wo beispielsweise ‚Die Wanderhure‘ nicht hingehört“, ist Markus Gertken fest davon überzeugt. Sicherlich müssten es nicht immer klassische Stoffe sein – so könne er sich hier auch gut Samuel Beckett vorstellen.
Blick in die Zukunft: Wie sehen Markus Gertkens Pläne für die 65. Bad Hersfelder Festspiele aus? „Ich persönlich hätte Lust darauf, Nebenspielstätten zu bedienen“, sinniert er. „Ich denke hierbei an ein theatralisches Experiment, an ein ‚Café Europa‘, das sowohl als Treffpunkt als auch als Spielstätte fungieren könnte.“ Ihm sei es extrem wichtig, das „Wahre, Gute, Schöne“ aus den Klostermauern ein Stück weit in die Stadt zu tragen. „Mir schweben sogar meditative Malereien auf dem Abteigelände vor.“ Für Markus Gertken ein magischer, faszinierender Ort mit einem unfassbaren Bauwerk, wo nichts nicht zufällig entstanden ist, alles einen tieferen Sinn hat, alles nach den Sternen ausgerichtet ist. Wo aus uraltem Mauerwerk eine unglaubliche spirituelle Kraft strömt. (Stefanie Harth) +++