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Nannte heute das Unwort 2003 "Tätervolk" eine "gute Wahl": der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann .... - Martin Angelstein
20.01.04 - Fulda
Begriff "Tätervolk" ist das "Unwort 2003" - MdB Hohmann: "Gute Wahl"
Zum "Unwort des Jahres 2003" ist der Begriff "Tätervolk" gewählt worden. Diese Entscheidung bei der 13. Wahl zur Anprangerung "sprachlicher Missgriffe" gab heute in Frankfurt die "Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres" bekannt. Anlass der Kritik war der Gebrauch dieses Wortes in der umstrittenen Rede des Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann (Neuhof) am 3. Oktober 2003. Diesmal hatten sich 2.270 Einsenderinnen und Einsender mit 1.160 verschiedenen Vorschlägen beteiligt.
In der Begründung der sechsköpfigen Jury heißt es wörtlich: "Dieser Begriff ("Tätervolk") ist schon grundsätzlich verwerflich, da er jeweils ohne jede Ausnahme ein ganzes Volk für die Untaten kleinerer oder größerer Tätergruppen verantwortlich macht, also den Vorwurf einer Kollektivschuld erhebt. Die Verbindung dieses Begriffs mit "den" Juden zumal ist ein aktueller Beleg für den immer noch wirkenden Antisemitismus. Bereits im religiösen, antijudaistischen Ursprung dieser Einstellung wurde das Volk der Juden kollektiv für den Tod Jesu Christi verantwortlich gemacht und sogar als "Gottesmörder" gebrandmarkt."
Auf Platz zwei setzte die Unwort-Jury den Begriff "Angebotsoptimierung", der die Verringerung von Dienstleistungen beschönigen soll, etwa wenn Stilllegungen von Bahnstrecken damit umschrieben werden. Ähnlich wurde auch der Abbau von Briefkästen als Briefkastenoptimierung angepriesen. Das Wort Optimierung entlarve sich inzwischen generell als Verschleierung bloßen Profitdenkens. Den 3. Platz nimmt das Wort Abweichler ein, das 2003 zur Diskriminierung von Bundestagsabgeordneten missbraucht wurde, die es "gewagt" hatten, ihre grundgesetzlich verankerte Pflicht zur Gewissensentscheidung über einen Fraktions- oder Koalitionszwang zu stellen.
In der "engeren Wahl" war auch die neueste Erfindung, die Misere an den Hochschulen zu beschönigen: so genannte "Bildungsgutscheine" sollen offenbar über die erheblichen Mittelkürzungen und die Einführung von Gebühren hinwegtrösten. Die Jury beobachtet auch seit Jahren, ganz besonders aber 2003, die immer stärkere Entwertung des Begriffs Reform. Der Jury dieser Aktion - die 1991 begründet wurde - gehörten an: die vier ständigen Mitglieder Prof. Dr. Margot Heinemann (Görlitz-Zittau), Prof. Dr. Rudolf Hoberg (Darmstadt), Dr. Nina Janich (Regensburg) und der Sprecher der Jury Prof. Dr. Horst Dieter Schlosser (Frankfurt a.M.). Die beiden - einmalig berufenen - Vertreter der Sprachpraxis waren diesmal der Fernsehjournalist Reinhold Beckmann (ARD/NDR) und der Vorsitzende des Verbandes deutscher Schriftsteller Prof. Dr. Fred Breinersdorfer.
Der Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann hat sich heute Nachmittag aus Berlin selbst zu Wort gemeldet. In einer Presseerklärung teilte er zur "Unwort-Wahl" mit, die Jury habe "eine gute Wahl getroffen". Das Wort "Tätervolk" oder "Volk der Täter" lege in der Tat einen auf alle Mitglieder des jeweiligen Volkes ausgreifenden Schuldvorwurf nahe. Damit würde - so Hohmann - aber ein ungerechtfertigter Kollektivvorwurf erhoben. Wörtlich erklärte der 55-jährige Neuhöfer: "Einen Kollektivschuldvowurf lehne ich für alle Völker und alle Gruppen ab. Ausdrücklich habe ich das am 3.10.2003 hinsichtlich der Deutschen und der Juden getan. Diese galten nach dem sowjetischen Paßrecht nach der Oktoberrevolution als Nationalität, als Volk. Der Kernsatz meiner Rede war: >Daher sind weder "die Deutschen" noch "die Juden" ein Tätervolk<." Soweit die heutige Erklärung von Martin Hohmann.
Der Politiker hatte bei der Ansprache am "Einheitsfeiertag", dem 3. Oktober, in seiner Heimatgemeinde Neuhof unter Hinweis auf "den überaus hohen Anteil von Juden bei den kommunistischen Gründervätern und revolutionären Garden" die Frage gestellt, ob angesichts dieser Fakten "nicht auch die Juden als Tätervolk" (während der russischen Revolution) bezeichnet werden könnten. Als Fazit seiner langen Ausführungen hatte er dann erklärt, "weder >die Deutschen< noch >die Juden< sind ein Tätervolk". Verantwortlich für die Taten im Dritten Reich seien "die Gottlosen" gewesen. Während sich Hohmann - bis heute - zugute hält, damit ausdrücklich einen "Kollektivschuldvorwurf" für beide (>Deutsche und Juden<) abzulehnen, sehen seine Kritiker und Gegner in der darin zum Ausdruck kommenden Weltsicht den unerträglichen Versuch, die Nazi-Verbrechen und den Holocaust mit "jüdischen Taten" aufzurechnen.
Nach bundesweiten Schlagzeilen und massiven parteiinternen Auseinandersetzungen war Hohmann am 15. November 2003 aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausgeschlossen worden. Der direkt gewählte Bundestagsabgeordnete will sein Mandat als Volksvertreter bis zum Ende der Legislaturperiode weiter ausüben. Auf Hessen-Ebene soll der 55-jährige nach bisherigen Ankündigungen aus der CDU ausgeschlossen werden. Dagegen hatten sich viele Parteifreunde aus Osthessen gewandt: weil Hohmann durch den Fraktionsausschluss - der mit der Osthessen-CDU nicht abgestimmt gewesen sei - bereits ausreichend "bestraft" sei.
Bis Ende Januar will die Staatsanwaltschaft Fulda entscheiden, ob ein Ermittlungsverfahren wegen einer oder mehrerer Straftaten eingeleitet wird. Bisher gibt es Vorermittlungen der Behörde wegen der 20 Strafanzeigen gegen Hohmann - unter anderem wegen Volksverhetzung, Verleumdung, Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorberner - aus ganz Deutschland. Anzeigeerstatter sind Privatpersonen, aber auch der Zentralrat der Juden in Deutschland und der Landesverband der jüdischen Gemeinden in Hessen. +++