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14.03.04 - Fulda

CDU-Doku (2)

Die Region Fulda von 1919 - 1945

Þ Anlass und Motivation für den Aufsatz S. 1

Þ Die gesellschaftlich-politische Struktur 1919 - 1933 S. 3

Þ Die Zentrumspartei als dominierende politische Kraft S. 4

Þ Die Wahlen des Jahres 1933 S. 4

Þ Vereine, Institutionen in der Zeit von 1933 - 1945 S. 5

Þ Einzelpersönlichkeiten im Widerstand gegen das NS-System S. 7

Þ Versuch einer Beurteilung des Widerstandes gegen das NS-System S. 9

Þ Die Gründung der CDU aus dem Geist des Widerstandes S. 10

Þ Quellennachweise S. 11

Die Region Fulda in der Zeit von 1919 -1945

Im Zusammenhang mit der umstrittenen Rede des Fuldaer Wahlkreisabgeordneten

Martin Hohmann am 3. 10. 2003 in Neuhof wurde immer wieder offen oder versteckt in verschiedenen Medien oder von interessierten politischen Kreisen der Eindruck erweckt, Fulda und seine Bevölkerung gehörten in die rechte politische Ecke, und die Region habe von Anfang an eine "braune Vergangenheit."

Die historischen Fakten, beginnend mit der Zeit der Weimarer Republik, die schließlich 1933 von Hitler und den Nationalsozialisten zerstört wurde, sprechen hingegen eine gänzlich andere Sprache. Was folgte, war von 1933 - 1945 eines der düstersten Kapitel der deutschen Geschichte mit Terror, Diktatur, einer menschenverachtenden Weltanschauung, die in der Verfolgung Andersdenkender und dem systematisch geplanten Mord an 6 Millionen Juden sowie dem 2. Weltkrieg gipfelte.

Einige wenige Fakten aus dieser Zeit sollen deutlich machen, dass die Mehrheit der Menschen des Fuldaer Landes nicht auf der nationalsozialistischen Welle schwamm, wie das vielerorts schon vor 1933 der Fall war, sondern dem System ablehnend bis reserviert gegenüber stand und später unter den Bedingungen von Terror und Diktatur in verschiedenen Formen Widerstand leistete sowie nach 1945 sehr schnell politisch die Konsequenzen zog, um dauerhaft eine Diktatur zu verhindern und die neue Demokratie in der Form unseres Grundgesetzes zu stärken.

Fulda war schon immer seit der Gründung des Klosters Fulda 744 im Auftrag des angelsächsischen Missionsbischof Winfried/ Bonifatius stark von der katholischen Kirche geprägt. Das Grab des Apostels der Deutschen, wie man Bonifatius später nannte, wurde zu einem Wallfahrtsort und zu einem geistigen Zentrum der Katholiken im Frankenreich und später in ganz Deutschland. So ist die Bischofsstadt seit 1881 Tagungsort der deutschen Bischofskonferenz. Zahlreiche Orden prägten und prägen die Stadt.

Die Katholiken bildeten 1932 mit 73,75 % der Bevölkerung die weitaus stärkste konfessionelle Gruppe, gefolgt von den Protestanten mit 22,84 %und den Angehörigen der jüdischen Gemeinde mit 3,96 %. Insgesamt hatte die Stadt 1932 28254 Einwohner. 1) Schon allein diese Zahlen mögen verdeutlichen, dass sich die Grundeinstellung der zu über 95 % christlich geprägten Bevölkerung nur schwerlich mit der menschenverachtenden NS-Ideologie vereinbaren ließ.

Der starke katholische Bevölkerungsanteil beeinflusste das gesellschaftliche und politische Leben der Stadt sehr stark, angefangen von den kath. Vereinen und Verbänden wie dem Gesellenverein Kolping, der Kath. Arbeiter Bewegung (KAB), dem kath. kaufmännischen Verein (KKV), den christlichen Gewerkschaften, die in Fulda öfter Verbandstagungen abhielten, bis hin zu den Jugendorganisationen: Werkjugend, kath. Jungmännerverein, Georgs Pfadfinderschaft, Normannsteiner, Windthorstbund als Jugendorganisation des Zentrums, den kath. ausgerichteten Sportvereinen der Deutschen Jugendkraft (DJK). Insbesondere die Verbände der katholischen Kirche wandten sich schon früh gegen links- und rechtsextremistische Parteien und warnten vor der NSDAP. So schreibt Josef Schmitt (Windthorstbund) am 27. 1. 1932 in der Beilage der Fuldaer Zeitung "Das Blatt der Jugend" nach dem Versuch einer Aussprache mit Nationalsozialisten, bei dem sie (die Windthorstbund Mitglieder) in roher und verleumderischer Art niedergebrüllt wurden: Junge Fuldaer "bildet eine Front gegen Übermut und die Dreistigkeit der Hetzer, eine Front, die fest steht und sich durch die ‚Philosophie der Faust' nicht verblüffen läßt .... Wir werden siegreich sein, wenn wir uns bemühen, die Pflichten zu erfüllen, die uns unser Symbol, das Kreuz Christi, auferlegt ..... Wer Mut hat, ziehe mit uns!" 2)

Politisch dominierende Kraft in Fulda war das im Kulturkampf gegen Bismarck gegründete "Zentrum." Bis 1933 war die Führungsrolle als katholische Partei in Fulda und der Region weder von rechts noch von links gefährdet. In der Erwartung, dass bei den Reichstagswahlen vom 6. November 1932 nicht nur die Kommunisten, sondern auch das Zentrum und die Kirche mit Gewaltmaßnahmen der Nationalsozialisten zu rechnen hätten, mobilisierte das Zentrum in Fulda erfolgreich die Wähler. Bei einer Wahlbeteiligung von 87 % erhielt das Zentrum 53 Prozent der abgegebenen Stimmen, während die NSDAP unter 20 Prozent blieb ganz im Gegensatz zum Gesamtergebnis im Reich, bei dem NSDAP und Kommunisten mehr Stimmen erhielten als jegliche nur denkbare andere Koalition. 3)

Trotz Terror und Einschüchterung brachten die letzten freien Wahlen zu Beginn des 3. Reiches (Kommunalwahlen und Reichstagswahlen) am 5. März 1933 dem Zentrum noch einmal in Fulda (Stadt- und Landkreis ) ein beachtliches Ergebnis und den Nationalsozialisten vergleichbar bescheidene Erfolge. 4)

Reichstagswahlen 5. 3. 1933

Parteien Stadtkreis FD Landkreis FD Kreis Hünfeld Nachbarwahlkreis Witzenhausen Gesamterg. Deutschland

Zentrum 51 % 60 % 66 % 0,9 % 13,9 %

SPD 9 % 5,8 % 1,5 % 28,8 % 13,8 %

KPD 7,7 % 3,8 % 0,8% 8,3 % 12,3 %

NSDAP 27 % 28,6 % 30 % 62 % 43,9 %

Sonstige 5,3 % 2,0 % 1,7 %

Bei den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen sah es für das Zentrum noch besser aus:

Mandatsverteilung im Fuldaer Stadtparlament:

1919 1929 1933

Zentrum 20 20 19

Rechtsparteien 3 3 1

Demokraten 5 - -

NSDAP - 1 8

Bürgerpartei - 2 -

SPD 5 2 1

Kommunisten - - 1

Mieter - 1 -

Kriegsgeschädigte 3 - -

Christl. Soziale - 3 2

Gesamt: 36 32 32

Während das Zentrum also 59,4 Prozent erhielt, bekamen die Nationalsozialisten 25 Prozent. Diese Erfolge des Zentrums in Stadtund Region wurden bald von den politischen Realitäten zerstört. Reihenweise mussten Kandidaten demokratischer Parteien unter dem Druck der NSDAP auf ihr Mandat verzichten, bis sich schließlich die Parteien im Laufe des Jahres 1933 unter Druck auflösten oder verboten wurden. Die Einparteiendiktatur war perfekt geworden.

Der politische Widerstand der Katholiken war nach außen nun leiser geworden, gebrochen war er nicht. Ein Blick auf das "Leben" einiger Vereine, Verbände und Institutionen, auch nach ihrem offiziellen Verbot bzw. die Verdrängung in den innerkirchlichen Bereich ("Sakristeichristentum") sowie auf die "fuldische Kirche" möge dies beweisen.

Eine starke Position hatte in Fulda der Westdeutsche Arbeiterverein (KAB). Schon 1923 vor dem Hitlerputsch warnte die KAB als erster kirchlicher Verein eindringlich vor den Gefahren des Nationalsozialismus. Die NSDAP sei weder sozialistisch noch Arbeiterpartei, sondern eine mittelständisch kleinbürgerliche Sammelbewegung sozial entwurzelter und unzufriedener Personen.5)

Der Fuldaer Bischof Dr. Johannes Dietz als Beauftragter der deutschen Bischofskonferenz für die Männerseelsorge unterstützte nach 1933 die KAB nach Kräften und ermöglichte, dass Kirchen als Versammlungsort benutzt werden konnten. Versammlungen wurden in Glaubenswallfahrten umorganisiert. Die KAB wurde 1933 - 36 neu organisiert. Der Staatssicherheitsdienst (SD) hat 1937 festgestellt, dass kein Mitglied der KAB Mitglied der NSDAP ist. In Fulda, wo Heinrich Gellings als Sekretär der KAB, der von 1948 -1969 Bürgermeister (CDU) in der Barockstadt war, konnte die KAB ihren Mitgliederstand von 1933 - 1936 von 2580 auf 4520 Mitglieder und die Zahl der Vereine von 41 auf 80 steigern.6)

Die Gegnerschaft zum Regime äußerte sich u.a. darin, dass Juden heimlich Lebensmittel zugesteckt wurden, Hirtenbriefe und wichtige Informationen von meist jugendlichen Staffettenläufern von Pfarrei zu Pfarrei gebracht wurden oder verfolgte Personen unter Gefährdung der eigenen Sicherheit versteckt wurden.7)

Auch die Kolpingfamilie Fulda hielt an Kolpings Grundsatz: "In christlichem Geist für Familie, Volk und Staat" fest. Nachdem 1935 weltliche Zusammenkünfte von der NSDAP verboten wurden, protestierte man dagegen. 8) Wiederholt kam es in der Zukunft zu Verhören und Verhaftungen durch die Gestapo sowie Beschlagnahmungen von Bannern und Fahnen. Der Geheimsekretär des Bischofs Dr. Dr. Heribert Abel, der 1939 Präses der Kolpingfamilie geworden war, protestierte in mehreren Schreiben an das Reichssicherheitshauptamt in Kassel gegen die Auflösung der Kolpingfamilie (1940), 9) was ihm Verhöre mit Androhung der Einlieferung in ein Konzentrationslager einbrachte. Das Vereinszeichen wurde weiter getragen, nur nicht auf der Brust, sondern z. B. auf Manschettenknöpfen. Die nicht kriegsverpflichteten Kolpingsöhne gründeten unverdächtige Skatklubs.

Unter den Jugendorganisationen, die ein starkes politisches Engagement zeigten, das viele Gemeinsamkeiten mit den Zielen der Zentrumspartei aufwies, sind die Normannsteiner zu nennen. Sie waren eine Abspaltung des Bundes Neudeutschland, der den jungen Menschen zu einem sittlich reifen, selbstständigen, autonomen, verantwortungsbewussten, treuen Menschen erziehen wollte. Führende Personen waren in Fulda auch in der Zentrumspartei und deren Jugendorganisation Windthorstbund tätig. Schon vor und erst recht nach 1933 war diese Gruppe der Hitlerjugend ein Dorn im Auge. Wiederholt wurde das Haus der Normannsteiner an der Maulkuppe gestürmt und das Mobiliar zertrümmert. Nach 1934 blieb den Normannsteinern wie der sogenannten bündischen Jugend nur der Weg in die Illegalität.

Die 1874 auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes gegründete Fuldaer Zeitung, die von Anfang an stark katholisch in Anlehnung an die Prinzipien der Zentrumspartei ausgerichtet war, nahm eine eindeutige Position ein für die katholische Kirche, die Weimarer Republik und gegen jeglichen Radikalismus von rechts wie links. Sie wurde in Fulda und dem Fuldaer Land in rund 60 Prozent aller Familien gelesen.

Die leitenden Redakteure: Dr. Johannes Kramer und Karl Austermann und ab 1929

Josef Hans Sauer - er war auch engagierter Normannsteiner - waren echte Kämpfernaturen. Gegen diese Zeitung richtete sich die ganze Wut der NSDAP. 1933 musste Dr. Johannes Kramer als Chefredakteur ausscheiden, am 10.12. 1933 richtete ein NS-Rollkommando schwere Schäden im technischen Bereich der Zeitung an. Schließlich wurde die Zeitung verboten. Bei den darauf folgenden Verhandlungen wurde von den Nazis gefordert, dass die Aktienmehrheit der Zeitung an die Partei oder eine ihr genehme Gruppe überging und ein NS-Redakteur eingestellt wurde. Bei der Gründung der neuen Gesellschaft gelang es dem Redakteur J.H. Sauer einen Satz in den Vertrag zu schmuggeln, der besagte, dass sich an dem heimatlichen und katholischen Charakter der Zeitung nichts ändern solle. Politisch war die Fuldaer Zeitung damit gleichgeschaltet. Der Widerstand im weltanschaulichen Bereich wurde in der Hauptsache in den lokalen Bereich und die Beilagen "Buchenblätter" und "Religion und Leben" verlegt. 10) Redaktion und Verlag haben demnach nach 1933 unter großen persönlichen und finanziellen Opfern und Gefahren die von den Gründern proklamierten Ziele für Wahrheit, Freiheit und Recht einzutreten (Grundsätze des Zentrums) mit erstaunlichem Mut und kluger Taktik zu verwirklichen versucht.

Aus der großen Zahl von Fuldaer Persönlichkeiten, die sich für die Menschenrechte, Demokratie und Religionsfreiheit einsetzten und der NS-Ideologie eine entschiedene Absage erteilten, seien beispielhaft nur Prälat Alois Schmand, Domkapitular Dr. Dr. Heribert Abel, die Fuldaer Bischöfe Dr. Joh. B. Dietz und Bischof E. Schick, Schwester Adolfine Fabra vom Orden der Vinzentinerinnen, OB Dr. Cuno Raabe, und die vielen Welt- und Ordenspriester genannt, von denen 23 bzw. 60 Prozent gemaßregelt, verhaftet oder ins KZ Dachau verschleppt wurden und dort, wie der Marbacher Pfarrer Konrad Trageser, sein Leben lassen musste. (vgl. 4 Opfermann S.5)

So trat Prälat A. Schmand (vgl. 7) schon 1932/ 1933 als mutiger Redner in Wahlversammlungen der NSDAP auf, wo er versuchte die Zuhörer über die wahren Ziele der NSDAP aufzuklären. (u. a. bei einer Rede des NS Reichredners und späteren Volksgerichtspräsidenten Roland Freisler in Eiterfeld) Er war es auch, der durch ein geschicktes Manöver verhinderte, dass in das Fuldaer Benediktinerinnenkloster St. Maria der Lebensborn der SS einziehen konnte. 1944 wurde Schmand verhaftet und blieb bis kurz vor Kriegsende im berüchtigten Berliner Gefängnis Moabit inhaftiert.

Dr. Dr. H. Abel war als Bischofssekretär eine wichtige Anlaufstelle für kirchliche und andere Widerstandskämpfer. Er widersetzte sich nicht nur der Auflösung der Kolpingfamilie und der Auflösung des Klosters Frauenberg, sondern er war die Verbindungsperson zwischen dem Bischof von Fulda als Beauftragter der Bischofskonferenz für die Männerseelsorge und bedeutenden Männern des "Kreisauer Kreises" wie dem Jesuitenpater Alfred Delp und Graf von Moltke. Dr. Abel wurde über dreißigmal von der Gestapo verhört und die Einlieferung ins Konzentrationslager angedroht. Letztere wurde wahrscheinlich dadurch verhindert, weil das Gestapogebäude mit allen Akten beim großen Bombenangriff auf Kassel (23.10. 43) zerstört wurde.11)

Bei einer Gedenkfeier aus Anlass des 50. Jahrestages des Kriegsendes der Stadt Fulda berichtete der damalige Bischof Eduard Schick, ab 1939 als Regens des Priesterseminars selbst Opfer von Verhören der Gestapo, u.a. vom Wirken der Fuldaer Bischöfe Josef Damian Schmitt und Dr. Johannes B. Dietz während der NS-Zeit. Dabei verwies er beispielhaft auf eine Erklärung , die auf allen Kanzeln am 6. 11. 1936 verlesen wurde. Darin wehrte sich die fuldische Kirche gegen öffentliche Verleumdungen und Kränkungen der katholischen Bevölkerung, die die NSDAP am 1. 11. 1936 öffentlich in einer Versammlung auf dem Domplatz erhoben hatte.12)

Entschieden protestiert und gewehrt hat sich auch die Oberin der Fuldaer Vinzentinerinnen, Schwester Adolfine Fabra, als 1937 in Folge des NS Programms zur Vernichtung sgn. lebensunwerten Lebens ca. 120 Pfleglinge aus dem Antoniusheim (Haus für Behinderte) abtransportiert und 1940 getötet wurden. Weitere 75 Pfleglinge konnten gerettet werden, indem sie versteckt oder den Eltern zurückgegeben wurden.

Als entschiedener Gegner des NS Regimes muss auch Dr. Cuno Raabe genannt werden, der in Fulda geboren und hier seine prägenden Kindheits- und Jugendjahre verbrachte. Raabe, der 1933 durch Intrigen der NSDAP aus seinem Amt als Oberbürgermeister von Hagen abgesetzt und verhaftet wurde, machte in seiner Königsberger Zeit die Bekanntschaft mit Karl Goerdeler, der mit mehreren Widerstandskreisen nach einem Attentat auf Hitler ein neues auf christlicher Basis aufbauendes Deutschland plante. Nach dem missglückten Attentat des Grafen Claus von Stauffenberg wurde er verhaftet und des Hochverrats angeklagt. Durch glückliche Umstände blieb Dr. Raabe am Leben, wurde Mitbegründer der CDU und von 1946 - 1956 Oberbürgermeister in Fulda. Dr. Reinhard Goerdeler, der Sohn Karl Goerdelers, nannte Cuno Raabe in einer Gedenkstunde der Stadt Fulda am 27. 5. 1978 ein Vorbild für Toleranz und Gerechtigkeit und einen Gegner des Unrechts.13)

Die Persönlichkeiten und Organisationen in Fulda, die Widerstand leisteten, hatten den unversöhnlichen Gegensatz von Christentum und nationalsozialistischer Ideologie erkannt, in der Werte wie persönliche Freiheit , Nächstenliebe, Menschenwürde und Toleranz durch kritiklosen Gehorsam, eine unmenschliche Rassenideologie mit der legalisierten Vernichtung "minderwertigen Lebens" und eine totale Unterordnung des Individuums unter die Interessen der "völkischen Gemeinschaft" ersetzt wurden.

Die zuvor genannten Persönlichkeiten fanden den Mut, der Beseitigung des Rechtsstaates, der Aufhebung der Grund- und Menschenrechte, besonders der Bedrohung der freien Religionsausübung im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu begegnen. Sie waren in den meisten Fällen keine planmäßig arbeitenden Widerstandskämpfer, sondern ehrliche, aufrichtige Menschen und Christen. Ihr gewaltloser Widerstand vollzog sich in vielerlei alltäglichen Hilfestellungen für bedrohte Personen und Einrichtungen und in der Aufklärung und Stärkung ähnlich Gesinnter über das wahre Gesicht des faschistischen Staates. Doch auch für diese oft unspektakulären Aktivitäten wurden sie von der NSDAP als "Heimtücker"oder Landesverräter diffamiert und mussten auf Grund des "Heimtückegesetzes" mit harter Bestrafung rechnen. Dies mag auch z. T. erklären, warum sich der weitaus größte Teil der Bevölkerung, eingeschüchtert durch die nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen und verunsichert durch die Propaganda stillschweigend verhielt. Die Furcht vor persönlichen Nachteilen und Schikanen und das Bestreben "durchzukommen" in der Hoffnung auf bessere Zeiten, war kennzeichnend für die damalige Zeit.

1945 "inmitten eines Trümmerhaufens sittlicher und materieller Werte traf vieles zusammen: die bittere Lehre, die das Scheitern der Weimarer Republik bedeutete, die schreckliche Erfahrung der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft und Unmenschlichkeit, die Gemeinsamkeit politischer Überzeugungen und Leitbilder, wie sie sich in Verfolgung und Widerstand über Konfessionen, alte Parteizugehörigkeit und soziale Schranken hinweg gebildet hatte."14) Dies und die Erlebnisse des totalen Zusammenbruchs und die Schatten des menschenverachtenden und menschenzerstörenden NS-Systems, ermöglichten eine völlig neue, bislang einmalige Parteigründung in Gestalt der CDU. In der Besinnung auf die Werte des Christentums sollte ein neuer Anfang gemacht werden. Diese Idee fiel auch in Fulda auf fruchtbaren Boden gerade bei den Persönlichkeiten, die schon während der NS-Zeit mutig dem Ungeist des 3. Reichs widerstanden hatten. Und so verwundert es nicht, dass Persönlichkeiten wie z. B. Heinrich Gellings, Cuno Raabe, Josef Biwer, Dr. Johannes Kramer, Eduard Schmitt, Paul Atzert zusammen mit den Mitgliedern der verfolgten Vereine und Verbände sowie mit evangelischen Mitbürgern wie Werner Schmid, die tragenden Säulen der neuen Partei CDU waren, die in Fulda am 24. Oktober 1945 gegründet wurde. Eindrucksvoll bestätigten die Fuldaer Bürger den neu eingeschlagenen Weg, indem sie bei der ersten demokratischen Kommunalwahl nach 1933, die am 26. Mai 1946 stattfand, die CDU mit 61,06 Prozent wählten.

Ohne Zweifel war der Widerstand gegen den Nationalsozialismus eine der wesentlichsten Voraussetzungen für das Entstehen der Union. "Geradezu symbolhaft hierfür erscheint die von Mitunterzeichnern des Berliner Gründungsaufrufs überlieferte Tatsache, dass der eine oder andere CDU-Gründer noch in gestreifter Gefängniskleidung zu den ersten Beratungen kam. Nahezu die Hälfte der 35 Unterzeichner waren politische Gefangene gewesen." 15)

Fulda, 26. 01. 2004 Reinhold Schäfer

Quellennachweise:

1.) Hans Mauersberg: Die Wirtschaft u. Gesellschaft Fuldas in neuerer Zeit, Göttingen S. 195 (Bevölkerungsstatistik - Konfessionszugehörigkeit)

2.) Beilage der FZ, "Das Blatt der Jugend" Nr. 21, 27. 1. 1932

3.) Klaus von Prümmer: Fulda u. d. Nationalsozialismus, in: Sonderdruck aus der Deutschen Tagespost, Ostern 1994 S. 2

4.) -vgl. Prümmer a. a. o. S. 3

- Bernhard Opfermann: Das Bistum Fulda im 3. Reich, Fulda, 1987 S. 9

- Fuldaer Zeitung 14.03. 1933

5.) Jürgen Aretz: KAB und Nationalsozialismus, München 1978 S. 45

6.) Josef Biwer in der FZ vom 31. 10. 1980 ("Kaum erwähnter Widerstand")

7.) Aussagen von Prälat A. Schmand in seinem Interview 1980 mit Schülern der Rabanus-Maurus-Schule aus Anlass einer Teilnahme am Bundeswettbewerb zur Deutschen Geschichte zum Thema: Alltag im Nationalsozialismus

8.) Kopie eines Briefs von Kolpingmitglied Wilhelm Fuchs, Adalbertstr 13

9.) Festschrift zur Hundertjahrfeier der Kolpingfamilie Fulda 1955 S. 22

10.) J.H. Sauer: Schreiben und Drucken in Fulda, Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Fuldaer Zeitung, Fulda 1974 S. 27 ff

11.) "Die Bischöfe kommen, die Gestapo wachte" FZ 26.06. 1980

12.) Bonifatiusbote Nr. 21 vom 21. 05. 1995

13.) Dokumentationen zur Stadtgeschichte Nr. 1: Gedenkfeier für OB Dr. Cuno Raabe S. 13

14.) H. Otto Kleinmann: Geschichte der CDU, Stuttgart 1993, S. 15

15.) H. Otto Kleinmann: a. a. o. S. 21

Literaturangaben zum Thema "Wider das Vergessen" mit lokalhistorischem Bezug

I. Buchenblätter, Beilage der FZ

1. O. Berge: Hebräische Fibel und Lauttafeln aus Fulda, Buchenblätter Nr. 16 (27.06 1987) 60. Jg.

E. Kramer: Deutsche Namen für fuldische Judenfamilien daselbst

2. O. Berge: Die Fuldaer Real- und Oberrealschule und die Juden, Buchenblätter Nr. 28 (14.10.1964) 37. Jg.

3. O. Berge: Zum Schicksal der Fuldaer Juden, Buchenblätter Nr. 14 (06.06.1981) 54. Jg.

4. G. Rehm: Probleme bei Tanzveranstaltungen der Juden Buchenblätter Nr. 6 (05.03.1996) 69. Jg.

5. R. Henkel: Die letzten Juden von Flieden, Buchenblätter Nr. 1 (05.01.1993) 66. Jg.

6. H. J. Hoppe: Deportation von Fuldaer Juden in das Todeslager, Buchenblätter Nr. 31 (18.12.1991) 64. Jg.

7. G. Willms: Synagogenbrand und Justiz, Buchenblätter Nr. 6 (06.04. 1985) 58. Jg.

II. Fuldaer Geschichtsblätter

1. N. H. Sonn: Gesetz und Brauchtum in der Jüdischen Gemeinde Fulda,

Fuldaer Geschichtsblätter 1989/ Jg. 65, S. 16 ff

2. O. Berge: Polizeiprotokoll und Feuerwehrbericht zum Pogrom am 9./ 10. 11. 1938 in Fulda

Fuldaer Geschichtsblätter 1989/ Jg. 65, S. 148 ff

3. H. N. Sonn: Das Wesen der jüdischen Gemeinde in Fulda und ihre Stellung im Gesamtverband der Juden in Deutschland

Fuldaer Geschichtsblätter 1978/ Jg. 54, S. 1 ff

4. H. N. Sonn: Geschichtliche Wahrheit und Verantwortung, Schicksale der Juden in der Epoche der nationalsozialistischen Herrschaft, besonders in der Stadt Fulda,

Fuldaer Geschichtsblätter 1978/ Jg. 54, S. 129 ff

III. Monographien

1. "... werden in Kürze anderweitig untergebracht..."

Das Schicksal der Fuldaer Juden im Nationalsozialismus - Eine Dokumentation hrsg. V. G. Renner, J. Schulz, R. Zibuschka, Fulda 1990

2. H. Hoppe: Das jüdische Fulda - Ein historischer Stadtrundgang, Fulda 1994

3. Horn-Sonn: Zur Geschichte der Juden in Fulda, Tel Aviv 1969

4. Sonn-Berge: Schicksalswege der Juden in Fulda und Umgebung, Fulda 1984

IV. Dokumentation der Stadt Fulda in der Reihe Dokumentationen zur Stadtgeschichte:

Doku 2: Der jüdische Friedhof in Fulda, 1980

Doku 10: Verleihung des Kulturpreises der Stadt Fulda an Lioba Munz und Dr. Heribert Naftali Sonn, 1986

Doku 11: Jüdisches Leben in Fulda, 1987

Doku 18: Sinti und Roma - Opfer der Verfolgung und des Völkermordes, 1995

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