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Reinhard Sendler, Ehrenvorsitzender des TV Eitra, vor dem Mannschaftsbild 1991/1992 ... - Fotos: Tobias Herrling

HANDBALL Es war einmal ... (2)

EITRA ...ein kleines Dorf auf der großen Handball-Bühne

17.11.15 - Wer erinnert sich nicht an Gerd Müllers goldenes Tor 1974? Oder an Boris Beckers historischen Sieg in Wimbledon? Sportliche Höhepunkte, die in die Geschichte eingingen. Doch nicht nur auf der großen Bühne des Sports, sondern auch im Kleinen gibt es Momente, die mehr oder weniger präsent im Bewusstsein sind. "Es war einmal ..." ist eine Rubrik, die verblasste Erinnerungen an besondere Ereignisse oder Veranstaltungen wecken soll. Im zweiten Teil unserer Serie geht es um den TV Eitra, der Mitte der 90er Jahre Handbal-Geschichte geschrieben hat.

Ein 380-Einwohner-Dorf in der höchsten Handball-Liga des Landes? Was völlig utopisch klingt, war für drei Jahre Realität. Der TV Eitra, ein kleiner Verein der Gemeinde Hauneck (Landkreis Hersfeld-Rotenburg), sorgte Mitte der 90er Jahre bundesweit für Schlagzeilen. Die Handballer des TVE spielten insgesamt für drei Spielzeiten in der 1. Bundesliga – ein Novum in der Geschichte des deutschen Handballs. „Das hat es vorher nicht gegeben und wird es wahrscheinlich auch nicht mehr geben. Wir haben Handball-Geschichte geschrieben“, sagt Reinhard Sendler, Ehrenvorsitzender des TV Eitra.

Das entscheidende Jahr, in dem der Handball in Eitra zu neuen Ufern aufbrach, war 1983. Der TVE spielte seinerzeit auf Bezirksebene und war weit entfernt von einer Ära im hochklassigen Handball. Heinz Koch, ein zugezogener Unternehmer, hatte die Vision, den Sport in der Region attraktiver zu machen. Seine Worte fanden bei Heinrich Wiegand Gehör, es wurde ein Förderkreis mit Eckhard Gilbert und Rainer Birkel gegründet, um die Möglichkeiten des kleinen Vereins auszubauen. Mit Gönner Koch und Wiegand im Rücken zog der Verein namhafte Spieler wie Ulrich Faber, Pavel Dyzman, Manfred Scholz und Rückkehrer Gerald Birkel an Land und schaffte mit einer Mischung aus einheimischen und auswärtigen Spielern den Durchmarsch aus der Bezirks- in die Oberliga.

... und vor älteren Bildern im VIP-Raum der Waldhessenhalle

Der Bundesliga-Kader 93/94: unter anderem mit Chrischa Hannawald (untere Reihe, ...

Ortsbesuch: hier trug der TV Eitra seine Heimspiele aus ...

1987 übernahm Zeljko Zovko den Oberligisten als Spielertrainer – er sollte der entscheidende Mosaikstein sein, um den TVE in unbekannte Sphären zu hieven. „Er hatte enorm viele Kontakte und hat geholfen, alles zu professionalisieren“, sagte Reinhard Sendler über die Rolle des Kroaten. Mit dem „Zovko-Express“, wie die Lokalpresse die damalige Mannschaft bezeichnete, gelang der Durchmarsch aus der Oberliga in die 1. Bundesliga. „Wir wurden belächelt, als Dorfverein, der dort nichts verloren hat, abgestempelt“, erinnert sich Sendler, der in dieser Zeit im Hintergrund das Organisatorische mit abwickelte. 1991, nach den erfolgreichen Aufstiegsspielen gegen Göppingen war der TV Eitra im Oberhaus angekommen. „Es fuhren elf Busse und Pkws mit 400 Fans nach Göppingen. Das war unglaublich“, gerät Sendler ins Schwärmen. Der kleine Verein, er war plötzlich bundesweit bekannt. Die Vorbehalte über den Emporkömmling überwiegten jedoch. „Heinz Koch wurde von der Presse als schlechtester Manager der Liga bezeichnet“, schmunzelt Sendler. Doch mit jedem Sieg und jeder Überraschung wurde Eitra ernster genommen.

Natürlich hat sich der TVE, um die ambitionierten Ziele zu erreichen, mit auswärtigen Spielern verstärkt und Akteure wie Boris Jarak, Chrischa Hannawald oder Michael Roth kamen nicht nur wegen der Eitraer Idylle nach Waldhessen. Ein regionaler Touch war aber vor allem in der Anfangspahse zu spüren gewesen in diesen Zeiten, in denen Spieler wie Wolfgang Kemmler, Uwe Kühn, Martin Becker, Bernd Edleditsch, Erik Petterman oder Gerald Birkel im Kader, der mit gestanden Akteuren verstärkt wurde, standen. Erst später, während dem zweiten Abenteuer in der 1. Bundesliga, standen in der Eitraer Mannschaft nur noch auswärtige Akteure.

... und ärgerte die ein oder andere große Mannschaft

Aller Unkenrufe zum Trotz gelang der Mannschaft von Zeljko Zovko der Klassenerhalt in der Bundesliga, die damals noch zweigleisig war. Am Ende stand Platz acht und die Qualifikation für die neue eingleisige 1. Liga. Vor allem in der heimischen Waldhessenhalle in Bad Hersfeld ärgerte der TVE ein ums andere Mal die große Konkurrenz. Höhepunkte waren der Sieg über Großwallstadt oder das Unentschieden gegen Gummersbach, die zwei größten Klubs der damaligen Zeit. „Die Stimmung war fantastisch, man hat sein eigenes Wort nicht mehr verstanden. Die Zuschauer waren der achte Mann“, beschreibt Sendler die Atmosphäre auf dem Obersberg. Regelmäßig kamen über 2.000 Zuschauer, um den TVE zu unterstützen. „Wir gehen auf Eitra“ wurde damals zum geflügelten Wort und mit den „Lolls-Trommlern“ hatte der Verein eine aktive und organisierte Fanszene.

Um den Spielbetrieb und die Organisation zu gewährleisten, war das ganze Dorf auf den Beinen. „Alle haben mit angepackt, aufgebaut und abgebaut. Das war ein einmaliger Zusammenhalt. Das ganze Dorf hat den Handball unterstützt, es war eine Handball-Familie“, erzählt Reinhard Sendler. Am Freitagabend wurde begonnen, die Halle herzurichten, beispielsweise mussten Zusatz-Tribünen hinter den Toren und eine Verlängerung der vorhanden Tribüne aufgebaut werden. Erst am Sonntagmittag, wenn alles wieder abgebaut war, war Feierabend. „Ohne dieses ehrenamtliche Engagement wäre das neben den finanziellen Mitteln nicht zu stemmen gewesen“, erzählt Sendler über die große Rolle der Dorfgemeinschaft.

Es folgte 1993 der Abstieg, der unter dem neuen Trainer Hrvoje Horvat umgehend korrigiert wurde. 1994 spielte der TV Eitra erneut für eine Saison in der Bundesliga, an deren Ende der erneute Abstieg stand. Bis 1997 hielt sich Eitra noch in der 2. Bundesliga, dann folgte der finanzielle Einbruch. Sponsoren sprangen ab, Zusagen wurden nicht eingehalten – es folgte der Absturz. Der Verein, er wurde gar aufgelöst und erst 2004, nachdem es für sieben Jahre den TSV Eitra gab, wieder gegründet. Eine bewegende und beinahe unglaubliche Geschichte eines kleinen Vereins, der für einige Zeit eine bedeutende Nummer im deutschen Handball war. (Tobias Herrling) +++


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