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Ehrenamt ist nicht bekloppt - Karsten VOLLMAR will Vereinen helfen
04.08.16 - "Du bist doch bekloppt. Du machst das alles, ohne Geld dafür zu bekommen", schildert eine Frau von Kommentaren, die sie erhält. Sie engagiert sich ehrenamtlich in Vereinen. Was im kleinen Dorf noch funktioniert, ruft in Städten immer mehr Verwunderung hervor. Wie kann man nur etwas tun, ohne Bares dafür zu bekommen? Es scheint als wäre in der Werte-Gesellschaft kein Platz dafür. Wer nichts tut, der hat seine Ruhe. Doch: Wenn dieser "Ehrenamts-Verweigerer" vielleicht mal selbst Hilfe braucht? "Ohne Ehrenamt keine Bundesrepublik", sagt ein anderer Gast. Bad Hersfelds Bürgermeisterkandidat Karsten Vollmar hat am Dienstagabend zu einer Diskussionsrunde die Vereinsvertreter aus der Kreisstadt eingeladen.
Über 100 Vereine gibt es im Stadtgebiet, 45 sind Mitglied beim Landessportbund. Die Herausforderungen sind nahezu identisch - egal, ob Musik-, Sport- oder kulturelle Vereine. Vorstände fehlen, Vereinsheime stehen leer, sogar Auflösungen sind keine Seltenheit mehr. Die Motivation, sich in einem Verein zu engagieren, schwindet. Alles nichts Neues.
Stefan Reuß kennt die verschiedenen Perspektiven. Der 45-Jährige ist seit zehn Jahren Landrat im Werra-Meißner-Kreis. Zudem wurde er vor wenigen Wochen zum neuen Präsidenten des Hessischen Fußball-Verbandes gewählt. Dazu ist Reuß Mitglied in rund 20 Vereinen. "Ich bin seit meinem 18. Lebensjahr ehrenamtlich aktiv", sagt Reuß. Viele Fußballer kennen ihn vor allem als Schiedsrichter. "Wir dürfen nicht nur an den Symptomem rummachen. Wir reden dabei aber nicht zwangsläufig über finanzielle Aufwendungen", erklärt Reuß und schildert den Gästen der Diskussionsrunde im Hotel Glimmesmühle, welche Aktionen im Werra-Meißner-Kreis funktionieren.
Reuß macht deutlich, dass die Ehrenamtscard des Landes nicht ausreicht, um Menschen für das Ehrenamt zu begeistern. Ein weiteres Angebot ist das Freiwillige Soziale Jahr für Jugendliche (FSJJ). Wöchentlich zwei Stunden absolvieren die Jugendlichen in einem Verein, einer kulturellen Einrichtung, im Tierheim oder anderen Stellen. Sie erwerben nicht nur soziale Kompetenzen, sondern finden so Gefallen daran, anderen zu helfen, sich zu engagieren. Ein Zertifikat kann für die spätere berufliche Entwicklung ebenso nützlich sein. Ein weiterer Baustein ist die Freiwilligenagentur Omnibus. Diese bietet Hilfestellungen, Informationen und Beratungen für Menschen, die sich engagieren wollen.
"Es braucht aber auch eine Anerkennung im Ehrenamt. Häufig werden diejenigen vergessen, die aus ihrem Ehrenamt ausgeschieden sind", sagt Reuß. Außerdem: Die Jugendleiter im Werra-Meißner-Kreis werden zu einem Treffen beim Open Flair-Festival in Eschwege eingeladen. Der Landrat macht aber auch deutlich: "Es braucht eine professionelle Koordination der Angebote."
Für Bad Hersfelds Bürgermeister-Kandidat Karsten Vollmar, der Reuß von gemeinsamen Schiedsrichter-Einsätzen seit viele Jahren kennt und mit ihm befreundet ist, ein wichtiges Vorhaben: "Wir brauchen eine hauptamtliche Stelle im Rathaus, die sich ausschließlich um die Vereine und das Ehrenamt kümmert", sagt Vollmar zu den rund zwei Dutzend Vereinsvertretern. "Eine Kürzung von Vereinsbeiträgen wird es mit mir nicht geben - trotz der schwierigen Haushaltslage", sagt der Herausforderer von Amtsinhaber Thomas Fehling.
Die Ehrenamtsarbeit sei in Schieflage geraten. Dabei seien die Vereine so wichtig. Sie seien Heimat für viele Menschen, vor allem auch für Jugendliche. "Was machen Jugendliche, wenn sich keine Vereinsangebote mehr nutzen können? Sie kommen auf dumme Gedanken", sagt Vollmar weiter. Er will zudem den Tag des Ehrenamt einführen und Angebote für Bildungsangebote für Vereinsvertreter zum Bespiel bei Rechtsfragen oder Steuererklärungen schaffen.
In der anschließenden Diskussionsrunde wurde deutlich, wo der Schuh drückt. Die Vereinsvertreter mahnten an, dass sie auf die Zuschüsse der Stadt angewiesen sind. Der Ruderverein wartet seit 2015 auf eine Antwort in Sachen Zuschussantrag. Die Bürokratie sei ein weiteres Hindernis, was auch Reuß zugab.
Der Vertreter vom TV Hersfeld machte den Vorschlag, dass sich die Vereine mehr untereinander helfen könnten. Jeder habe Stärken, die man gegenseitig austauschen könne. Was die finanzielle Situation der Vereine angeht, hatte Lars Stippich vom SVA Bad Hersfeld einen weiterer Vorschlag. In Bad Hesrfeld hätten sich zwar große Unternehmen angesiedelt, die aber die örtlichen Vereine kaum unterstützen würden. Vielleicht könnte ein Sponsorenpool die Motivation verbessern. Die Unternehmen zahlen einen Betrag in den Pool. Nach einem Schlüssel erhalten alle Vereinen einen Anteil. Für Hartmut Kirsch aus Heenes sind die Jugendfördervereine ein Dorn im Auge. Reuß sagte, dass die Problematik bekannt sei, dies aber eine Aufgabe des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) sei. Man arbeite an einer Lösung.
Reuß appelierte an die Leistungsbereitschaft der Vereine und Spieler - egal in welcher Liga. Nach dem rund zweistündigen offiziellen Teil vertieften die Vereinsvertreter mit Vollmar und Reuß die Herausforderungen, um das Ehrenamt wieder salonfähig zu machen. Eine schwierige Aufgabe in Zeiten, wo für (zu) viele Menschen der Egoismus über dem Gemeinschaftssinn steht. (Hans-Hubertus Braune) +++