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Von einem, der seinem Hobby die rote Karte zeigt
11.02.18 - Ein greller Pfiff. Kehlen brüllen lauthals auf. Ob richtig oder falsch entschieden – egal. Wer Schiedsrichter ist, wird diese oder ähnliche Reaktionen kennen. Das Problem: In ganz Hessen und auch dieser Region hören immer mehr Schwarzkittel auf. Marco Taschner ist einer von ihnen.
Er wurde beleidigt. Er wurde bespuckt. Er wurde bedroht. Irgendwann hat es ihm gereicht. Vor vier Jahren verstummte die Pfeife von Schiedsrichter Marco Taschner. Der Fuldaer gab seinen Ausweis ab. Nach 16 Jahren wollte er nicht mehr. „Es gab nicht den einen Auslöser, sondern es war ein schleichender Prozess. Es hat sich summiert“, erzählt Taschner im Gespräch mit ON|Sport.
Mit seiner Entscheidung steht er nicht alleine da. Zwischen 2008 und 2016 reduzierte sich die Zahl aktiver Schiedsrichter hessenweit von 6.829 auf 4.846. Das berichtet die „hessenschau“. Auch in dieser Region haben die Schiedsrichtervereinigungen Probleme, neue Unparteiische zu gewinnen.
In Fulda und Schlüchtern mussten die Neulings-Kurse ob des geringen Interesses zusammengelegt werden. In den Kreisen Lauterbach-Hünfeld (12) und Hersfeld-Rotenburg (17) war das Interesse immerhin etwas größer. Zu schaffen macht den Verbänden vor allem die große Zahl derer, die nach dem ersten Jahr wieder aufhören. „Wir haben untersucht warum, und es liegt wirklich zum größten Teil an den Begleitumständen auf unseren Sportplätzen“, sagt der ehemalige Bundesliga-Schiedsrichter Lutz Wagner der „hessenschau“.
Umstände, wie sie auch Marco Taschner erlebte. Sonntag für Sonntag die gleichen Anfeindungen. „Über verbale Entgleisungen kann man ja noch drüber stehen“, sagt der 33-Jährige. Doch in seinem Fall blieb es dabei nicht. Jugendliche, die ihm Tage nach einem Spiel in der Stadt vor die Füße spuckten. Spieler, die nach vermeintlichen Fehlentscheidungen mit erhobener Faust auf den Spielleiter zu gingen. Spieler, die ihm den Tod androhten.
„Das waren für mich die einschneidendsten Erfahrungen. Einer hat mir mal gesagt: „Ich bring Dich um, wenn Du vom Feld gehst““, sagt Taschner. Diese Erfahrungen, seine berufliche Situation als Feuerwehrmann und – in seinen Augen – erschwerte Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Schiedsrichterzunft hätten zu seinem Rücktritt geführt. Vor vier Jahren hörte Marco Taschner auf.
Was aus dieser Zeit bleibt? „Auch viele schöne Erinnerungen“, betont er. Schon mit 13 Jahren hat er mit der Pfeiferei angefangen. Dreimal pro Woche war er als Schiedsrichter unterwegs. Als Linienrichter schaffte er es bis in die damalige Oberliga Hessen. „Gerade die Auftritte im Gespann in einem professionellen Umfeld in einer Liga wie dieser bleiben im Gedächtnis“, sagt Taschner.
In den unteren Ligen aber, in denen der Schiedsrichter Einzelkämpfer ist, sehe das anders aus. „Es ist auch abhängig von der Region“, sagt Taschner, „aber je tiefer man pfeift, umso mehr wird man verbal – von Spielern und Zuschauern – angegangen.“ Taschner erinnert daran, dass es sich bei Schiedsrichtern immer noch um Menschen handelt. Und Menschen machen Fehler.
Nach den Spielen, wenn er mal auf ein Bierchen im Sportheim blieb, sagte er oft: „Überlegt mal, wie häufig Euer Stürmer neben das Tor geschossen hat und wie viele Fehlentscheidungen ich heute vielleicht getroffen habe.“ Er appelliert an einen respektvollen Umgang mit dem Mann an der Pfeife, ohne den kein Fußballspiel der Welt stattfinden könnte. „Wir reden in unserer Region immer noch vom Fußball zwischen Liga fünf und elf. Alle Beteiligten sollten sich etwas mäßigen.“ Taschner aber nimmt auch die Unparteiischen in die Pflicht.
Denn einige seiner ehemaligen Kollegen würden es mit ihrem Auftreten übertreiben – und den Zorn der Zuschauer abbekommen. „Du brauchst eine gesunde autoritäre Ausstrahlung, aber arrogant sollte der Schiedsrichter nicht auftreten“, sagt Taschner, der zuletzt gar mit einer Rückkehr an die Pfeife liebäugelte.
„Ich war wieder auf der Suche nach einem Hobby“, sagt er, „aber neben der beruflichen Situation habe ich mir vor allem die Frage gestellt, ob ich mich meine Freizeit opfern möchte, um mich beleidigen zu lassen.“ Nein, das will Marco Taschner nicht mehr. Statt Karten zu verteilen, drückt er jetzt auf den Auslöser.
Denn der Feuerwehrmann hat die Fotografie für sich entdeckt. Zusätzlich ist er ehrenamtlich in der gesetzlichen Betreuung tätig und übernimmt künftig den Vorstand im Kinderschutzbund. „Für meine Ehrenämter und im Umgang mit Menschen hat mir die Pfeiferei sehr gut getan“, ist sich Taschner sicher. Es ist wohl die positivste Seite, die der ehemalige Schiedsrichter aus dieser Zeit mitgenommen hat. (Tobias Herrling) +++