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Kinder brauchen nach der Scheidung beide Eltern: Fachtagung des Landkreises
21.11.13 - Wenn Eltern sich scheiden lassen, leiden die Kinder: In vielen Fällen ist dies die bittere Realität. Was die an einem Scheidungsverfahren beteiligten Personen und Institutionen tun können, damit dies verhindert wird, thematisierte eine Fachtagung des Landkreises Fulda im Kreishaus. An der interdisziplinären Veranstaltung, moderiert von dem Diplom-Psychologen Jürgen Plass (Erziehungsberatungsstelle Fulda), nahmen Richter, Anwälte, aber auch Sachverständige und Vertreter des Jugendamtes teil. Nach einer kurzen Einführung in das Thema durch Dr. Patrick Liesching, Direktor des Amtsgerichts Fulda, lag der Schwerpunkt auf einem Vortrag von Gastreferent Bernhard Theisen. Der Rechtsanwalt aus Cochem an der Mosel sprach zum sogenannten Cochemer Modell. Diese Arbeitspraxis, die er Anfang der neunziger Jahre selbst mitinitiiert hat, gilt als beispielhaft im Zusammenwirken verschiedener Professionen bei familiengerichtlichen Verfahren.
„Mehr als 100.000 Kinder sind jährlich von Scheidung betroffen, und zwischen fünf bis zehn Prozent der Scheidungsfälle sind hochstrittig", zeigte Theisen die Dimension auf. Diese Auseinandersetzungen um das Sorgerecht der Kinder würden meist „hochemotionalisiert" vor Gericht ausgefochten. „Die Parteien haben oft das Gefühl, den Sinn ihres Lebens zu verlieren, sollten sie diesen Kampf verlieren." Die existenzielle Ebene dieser Scheidungsverfahren betrifft noch einen weiteren Aspekt: „Während es sonst nur um Wirkungen auf zwei Parteien geht, wirkt ein Kindschaftsprozess auf eine dritte Partei, nämlich das Kind."
Der Referent erläuterte verschiedene Schwachpunkte vieler Verfahren vor Familiengerichten, die „dazu führen, dass diese Verhandlungen nicht so gut laufen", so Theisen. Mandanten zum Beispiel hätten häufig eine Vorstellung davon, welche negativen Punkte über den ehemaligen Partner und die gescheiterte Beziehung vor Gericht in die Waagschale geworfen werden müssten: „Viele kommen mit Aggressions- und Wutpotential in die Anwaltskanzlei." Das Cochemer Modell versucht einen negativen Verlauf der Sorgerechtsverhandlungen von vorneherein zu verhindern. Dafür müssten, so Theisen, alle beteiligten Institutionen und Personen vorrangig eines im Blick haben: das Kindeswohl. Theisen definierte den Begriff als Antwort auf die Frage „Was braucht dieses Kind von seinen Eltern jetzt?"
Sei dies handlungsbestimmend, habe das weitreichende Konsequenzen, wie der Referent erläuterte: Gerichtstermine zum Beispiel müssten schnell angesetzt werden (Theisen: „Das Kind wird älter, Zeit ist hier ein Kampffaktor"), und das Jugendamt müsse sich zeitnah zu Gerichtsterminen einen Eindruck von der familiären Situation machen. Höchste Verantwortung hätten aber auch die Anwälte: „Sie müssen akzeptieren, wenn Negatives über den eigenen Mandanten gesagt wird", schilderte Theisen. „Es ist wichtig, dass die Streitenden miteinander ins Gespräch kommen und alles sagen dürfen. Es muss immer darum gehen, dass das Kind keinen der Elternteile verliert." Theisen plädierte im Sinne der Cochemer Praxis, dass die Parteien in der Auseinandersetzung gemeinsam zu einer Lösung finden – und am Ende des Verfahrens kein Gerichtsentscheid oktroyiert werde.
Dank der Ausführungen des Gastreferenten stiegen die Tagungsteilnehmer in der zweiten Tageshälfte in eine rege Diskussion ein. „Auch wenn das Cochemer Modell sich im Landkreis Fulda nicht eins zu eins umsetzen lässt, war der Vortrag ein guter Anstoß, dass sich die Kooperation aller Beteiligten verbessern muss", bilanziert Edith Jordan, Leiterin des Fachdienstes Familie, Jugend, Ehrenamt, Sport. „Alle Beteiligten waren im Austausch miteinander – das ist ein guter Anfang."+++