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- Fotos: Max Colin Heydenreich

Eindeutige Haltung

19.08.06 - Fulda

Wehrhaftes demokratisches Fulda zeigte Stärke - Absage der Rechten - VIDEO

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Der strahlend blaue Himmel zu Beginn der Veranstaltung auf dem Domplatz war wie ein Symbol für die Erleichterung vieler Menschen: „Ein schöner Sommersamstag, so viele Leute sind gekommen und die Neonazis haben abgesagt - fast ein bisschen wie ein familiäres Fest,“ meinte eine Teilnehmerin. Über 1.000 Frauen, Männer und Kinder hatten sich zu der Kundgebung des Aktionsbündnisses gegen Neonazis „Fulda bleibt demokratisch und weltoffen“ vorm Dom eingefunden und hörten konzentriert wie geduldig den Ansprachen von insgesamt 10 Rednern und Rednerinnen zu. Tenor aller Reden waren Anerkennung und Hochachtung für das Aktionsbündnis, ein großes Dankeschön an alle „Flagge zeigenden Bürger“, das Bekenntnis zu einem toleranten und wehrhaften demokratischen Fulda sowie der Wunsch, auch in Zukunft gemeinsam geschlossen gegen die Pläne von Neonazis vorzugehen.

In einer EXTRA-BILDERSERIE sehen Sie weitere Fotos vom heutigen Tage !

Nachdenklich machende Aspekte – etwa die Perspektivlosigkeit junger Menschen und soziale Ursachen als Nährboden für faschistische Ideen – erwähnten der frühere Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Hamberger, die SPD-Landtagsabgeordnete Sabine Waschke und die Grünen-Landtagsabgeordnete Margareta Hölldobler-Heumüller. Wie sehr die Auseinandersetzungen um die angekündigte Veranstaltung den amtierenden Oberbürgermeister Gerhard Möller belastet haben muss, wurde in der Rede des – stets als ruhig und bedacht bekannten – Stadtoberhauptes deutlich: „Wir haben für die Demonstration der Neonazis verfügt, dass sie nicht geschlossen, in Blockformation und nicht im Gleichschritt laufen dürfen. Dieser Teil des Verbotes war ebenfalls angefochten worden – und der Verwaltungsgerichtshof hat auch diesen Teil unserer Verfügung aufgehoben, noch gestern Abend um 20:15 Uhr. Ich war sprachlos und zornig. Wie soll man denn seine Stadt künftig mit wirkungsvollen Verboten noch schützen dürfen, wie kann ein OB denn Schaden von der Kommune abwenden?“

Obwohl die Demonstration bereits heute früh abgesagt wurde (Osthessen-News berichtete ganz früh), kann es für die Polizei Abend werden, bevor ihr Einsatz beendet ist. Denn niemand wollte sich heute darauf verlassen, dass die rechten Demonstranten nicht kommen. Das Ende des Einsatzes hängt laut Polizei davon ab, wie die Demonstrationen außerhalb Hessens verlaufen und wohin die dortigen Demonstranten anschließend fahren. An der B 27 und an der B 254 wurden Sichtkontrollen durchgeführt, bei denen nach bestimmten Parametern einige der Autofahrer heraus gewunken wurden. Polizeiliche Maßnahmen wurden jedoch nicht ergriffen. Einige der Angehaltenen wurden weiter beobachtet. Keine besonderen Vorkommnisse gab es nach Polizeiangaben am Bahnhof, wo die rechten Demonstranten ursprünglich ihren Marsch beginnen wollten. Gegen 13:30 Uhr wurden fünf Personen aus dem rechten Klientel im Bahnhofsbereich kontrolliert. Einem, von Polizeikräften ausgesprochenen, Platzverweis kamen diese Personen umgehend nach.

Thomas BACH , der Vorsitzende des CDU-Stadtverbandes Fulda, schilderte zu Beginn der Veranstaltung auf dem Domplatz die Betroffenheit der Kommunalpolitiker angesichts der angekündigten Demonstration und die Gründung des neuen Aktionsbündnisses, in dem sich Parteien, Kirchen, Verbände und freie Gruppen zusammengefunden haben. Bach dankte allen für ihr rasches gemeinschaftliches Handeln und sagte auch den Teilnehmern der Gegenveranstaltung Dank für ihr persönliches Eintreten gegen faschistisches Gedankengut und für die Verteidigung der Demokratie.

Besonders bewegend war die Ansprache des 90-jährigen Zeitzeugen Peter GINGOLD aus Frankfurt am Main, der - trotz gesundheitlicher Schwierigkeiten - nach Fulda gekommen war. Der in der Nazizeit verfolgte Gewerkschafter hatte als Mitglied der Resistance gekämpft und überlebt. Angefangen habe es mit einem verhängnisvollen Demokratieverständnis in der Weimarer Republik und geendet in einem „Meer aus Blut und Tränen“. Trotz Protesten und Warnungen habe der Frankfurter Polizeipräsident damals „der SA die Straße freigegeben“ für Aufzüge und Märsche – später sei er selbst durch die Nazis ins Konzentrationslager gekommen. „Vergesst nie, wie es angefangen hat“, rief Gingold, „es beginnt mit Worten und endet mit Totschlag und Massenmord“. Er habe überlebt mit dem Vorsatz, dem „Schwur von Buchenwald: Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg“.

Vor 61 Jahren - so Gingold - habe er sich nicht vorstellen können, dass Aufzüge von Rechtsextremen in Deutschland wieder vorkommen könnten. Die Nachgeborenen hätten keine Verantwortung für das, was ihre Vorfahren getan hätten – aber aus Kenntnis der Vergangenheit heraus seien alle Deutschen aufgerufen, sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit zu engagieren. Man müsse aber weniger Angst vor „glatzköpfigen Brüllaffen“ haben als vor verantwortungslosen Politikern, die etwa erbarmungslos mit Menschen umgingen, die in Deutschland Zuflucht gesucht hätten. „Das ist eine Ermunterung für Nazis“. Er rief den Fuldaer zu: „Tretet in die Fußstapfen der Frauen und Männer des Widerstandes. Wahrt das Vermächtnis der gemordeten Opfer. Bleibt höllisch wachsam!“

Die Liste der Redner auf dem Domplatz bei der „Hauptkundgebung“ gegen die Demonstration der Rechtsextremen war lang. Da viele Argumente und Einschätzungen mehrfach geäußert wurden und sich wiederholten. bringt die Redaktion an dieser Stelle nur kurze Ausschnitte aus den Ansprachen.

Gerhard MÖLLER, Oberbürgermeister von Fulda

“Dank an alle, die sich spontan in dem Aktionsbündnis zusammengeschlossen haben. Danke, dass Sie gekommen sind und Flagge zeigen, dafür einstehen, dass Fulda weltoffen, tolerant und demokratisch ist. Das ist ein Stoppzeichen – und bedeutend für künftige Planungen.

Wir wissen, welch hohes Gut die Versammlungsfreiheit ist und dass die Hürden für ein Verbot hoch sind – doch ich bin überzeugt, dass unser Verbot gerechtfertigt war. Die Stadt hat auf 33 Seiten das Verbot dargelegt, nach intensivster rechtsstaatlicher Würdigung. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat letztlich den Beschluss der vorherigen Instanzen kassiert. Ich will keine Urteilsschelte betreiben, aber Kritik muss erlaubt sein. Lässt der Rechtsstaat Katz und Maus mit sich spielen?

Die >Freien Nationalisten< sind ein Bündnis aus lokalen und regionalen Nazikameradschaften – ihr Leitfaden steht in der Tradition des Naziregimes. Wenn man da liest, was sie wollen – Zentrale Leitung nach Führerprinzip, Abschaffung der Parteien, keine Zuwanderung von Menschen >artfremden Blutes< -, da kann es einem schlecht werden und man schämt sich.

Die Absage der Demonstrations-Anmelder heute Morgen kam mit der Begründung, dass sie eine Auflage nicht einhalten könnten: nur solche Ordner zu bestellen, die bislang nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Ich denke, das spricht für sich.“

Prof. Dr. Werner KATHREIN, Domdechant

“Dieser Platz, auf dem ich Sie auch im Namen des – im Urlaub weilenden – Diözesanbischofs Algermissen begrüße, ist vor 1262 Jahren zum Ausgangspunkt der kirchlichen, zivilisatorischen, humanitären und kulturen Entwicklung geworden. Hier wurde das Kreuz aufgestellt – das Symbol für engere Inhalte des christlichen Glaubensbekenntnisses. Doch es steht auch für Werte und Menschenwürde. Lange bevor an demokratische Regeln gedacht wurde, gab es hier Urformen gesellschaftlichen Staatswesens in der Gründungs- und Verfassungsurkunde des Klosters Fulda. Nach der Regel des Benedikt erfolgte die freie Wahl des Abtes durch die gleichberechtigten Brüder des Ordens. Alle Menschen, aber durch ihren Glauben gerade auch Christen, sind aufgerufen, diese Werte und die Menschenwürde zu leben und immer wieder zu verteidigen.“

Dr. Wolfgang HAMBERGER, früherer Oberbürgermeister Fulda

“Aber wir müssen uns darüber im klaren sein und bleiben, daß wir es bei der Existenz von Neo-Nazi-Gruppen nicht nur mit juristischen Tatbeständen, sondern zuerst mit einem sozialen und alsdann mit einem politischen Problem zu tun haben. Deshalb müssen wir uns selbstkritisch auch immer wieder fragen, was von wem auch immer möglicherweise verabsäumt wurde, daß ein Teil der jungen Generation noch immer nicht in unserem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat angekommen ist. In diesem Punkt sind und bleiben alle politischen Parteien gefordert.

Wir sind hier zusammengekommen, um gegen das Wirken des Ungeistes in der Welt zu demonstrieren, aber wir müssen uns immer wieder neu dazu befähigen, die Zeichen der Zeit zu erkennen, sie vom Zeitgeist zu unterscheiden! Was wir heute hier tun, weist uns als in diesem Sinne qualifizierte Menschen aus, denn wir wissen, daß ein Neo-Nazi-Aufmarsch vor dem Hintergrund unserer tragischen Geschichte nicht vorrangig juristisch, sondern politisch und moralisch zu beurteilen ist.“

(Die gesamte Rede können interessierte Leser in einer Extra Meldung IM WORTLAUT nachlesen).

Michael BRAND, CDU-Bundestagsabgeordneter

“Wir zeigen mit diesen Veranstaltungen heute eine >klare Karte< gegen Nazis. Es ist auch wichtig, ganz deutlich zu machen: diese Leute dürfen nicht in unserem Namen sprechen. Für uns gilt – wir sind Deutsche, ihr seid Nazis. Die wollen uns für dumm verkaufen: ausgerechnet diejenigen wollen für Meinungsfreiheit demonstrieren, die die Meinung anderer verunglimpfen und Lügen verbreiten.

Fulda hat ein anderes Gesicht. Zur Zeit läuft mit großem Erfolg das Musical Bonifatius und Menschen aus ganz Deutschland kommen hier her und stellen fest, welche Atmosphäre in Fulda wirklich herrscht. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft hat jeder gesehen: wir sind fröhlich statt dumpf, ausgelassen statt verhetzt. Wir wissen, wie Deutschland ist, die da marschieren wollen, nicht. Der Einsatz gegen das Ende der braunen Ideologie ist auch ein Kampf um die Seele der Nation – wir müssen ihn täglich führen.“

Sabine WASCHKE, SPD-Landtagsabgeordnete

“Es ist gelungen, die Demonstration der Rechten zu verhindern, das ist – im Moment - ein großer Erfolg für das Aktionsbündnis. Ich bin stolz, dass heute so viele Menschen gekommen sind. Heute geht ein deutliches Signal von Fulda aus.

Aber das Gesicht der Neonazis ist vielschichtig – es sind nicht nur diejenigen, die nichts als marschieren und brüllen können. Die >neuen Nazis< sind die gefährlichen: die rechtsradikale Musik produzieren und CDs in Schulen bringen, die dumpfe Parolen im Internet verbreiten, das demokratische Rechtssystem für ihre Zwecke ausnutzen.

Dass die Parolen der Rechten bei jungen Menschen ankommen, ist für mich auch ein gesellschaftliches Problem. Junge Leute, die nach der Schule keine Ausbildung kriegen, nur zuhause sitzen und auf ihre Bewerbungen nur Absagen erhalten – die sind anfälliger für vermeintlich einfache politische Lösungen. Wenn Jugendliche wissen, dass sie gebraucht werden, dass sie eine Chance haben in der Gesellschaft, können sie auch Stolz auf Demokratie entwickeln. Und man muss immer wieder sagen: die Neonazis wollen eine ganz andere Gesellschaft, sie haben ein ganz anderes Menschenbild.“

Margareta HÖLLDOBLER-HEUMÜLLER, Grünen-Landtagsabgeordnete

“Das ist heute ein eindrucksvolles Zeichen. Wir haben eine Verpflichtung zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – nicht, um in Sack und Asche zu gehen, sondern um Widerstand gegen Rechte zu leisten. Klar machen: wir wollen hier keine Leute haben, die der dunkelsten Zeit unseres Landes huldigen.

Mein Dank geht nicht nur an das Aktionsbündnis, sondern auch an viele Menschen und Gruppen, die seit Jahrzehnten in der Region gegen die Tendenzen von rechts arbeiten.

Heute fehlt mir bisher in den Reden ein wenig mehr Nachdenklichkeit – wie sie bei Dr. Hamberger angeklungen ist – über die Frage, warum finden die Thesen der Neonazis einen Boden. Es nicht nur ein paar verirrte Jugendliche, wie es oft gesagt wird. Am Beispiel ausländerfeindlicher Sprüche kann man eine Verbreitung rechten Gedankenguts feststellen. Es gibt Tendenzen einer Spaltung zwischen Ausländern und Inländern. Und viele Menschen nehmen Politik nicht mehr wahr, erkennen keine Inhalte darin und betrachten Politik nicht als etwas, das sie selbst angeht und mitgetragen werden kann. Das ist ein Nährboden, auf dem Rechtsextremismus gedeiht. Auch wenn der fuldische Geist viel beschworen wurde heute, hätte ich mir mehr Nachdenklichkeit gewünscht. Wenn ich mich umschaue, sehe ich Leute stehen, die vor 8 Jahren auf dem Uniplatz Unterschriften gegen Ausländer gesammelt haben. Mit dem Aufruf, näher zusammenzurücken, erhoffe ich mir auch, dass so etwas von demokratischen Politikern nie wieder vorgenommen wird.“

Margarete ZIEGLER-RASCHDORF, CDU-Landtagsabgeordnete

“Wir haben diesen Platz besetzt und zeigen damit in Fulda, wer Herr im Hause ist. Mit der geplanten Demonstration zum § 130 sagen die Rechten, es gehe ihnen um Meinungsfreiheit. Aber in Wirklichkeit geht es ihnen um die Freiheit zur Lüge.

Das unbefangene Verhältnis zur eigenen Nation, das sich während der Fußballweltmeisterschaft auch den vielen tausend ausländischen Gästen mitteilte, zeigt: wir lassen uns unsere Liebe zum Land nicht von Radikalinskis wegnehmen.“

Bernhard LINDNER, Vorsitzender SPD-Stadtverband

“Hier am Platz ist Fulda entstanden. Hier sind Werte entstanden und über die Jahrhunderte gepflegt worden, die in der Welt sehr viele Menschen teilen. Lassen wir uns diese Werte nicht von falschen Heilsbringern wegnehmen.

Die Erinnerung an die deutsche Geschichte muss Mahnung sein – Mahnung zum selbstbewussten und couragierten Eintreten für die Demokratie, für unsere Werte, für unser Land.“ +++


Die POlizei überall präsent


Wichtiger Sprecher: Zeitzeuge Peter Gingold

OB Möller mit einer beeindruckenden Rede




(v.li): Ex-OB Dr. Hamberger, Bürgermeister Dr. Dippel, CDU-MdB Brand und Fuldas Stadtbaurätin Zuschke


Viele Prominente waren gekommen

...unter den Gästen (v.li): Stadtbaurätin Cornelia Zuschke, SPD-MdL Sabine Waschke, Hessens Wirtschaftsminister Alois Rhiel (CDU) - der gerade aus dem Urlaub zurück ist - und CDU-Stadtverbandsvorsitzender Thomas Bach



Über 1.000 Menschen kamen auf den Domplatz



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