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- Fotos: Daniel Kister
02.09.07 - Geisa
Spiritualität und Platzverweis - "Verrückte Vögel" im Naturschutzgebiet
Ein Beispiel für Selbstorganisation und Anarchie findet der nichtsahnende Rhönbesucher derzeit, wenn er auf den „Bremer Hut“ wandert. Auf der hoch gelegenen Lichtung nahe dem Geisaer Ortsteil Bremen lagern und leben im Moment rund 200 Menschen in Zelten und Tipis. Für einen Zeitraum von rund vier Wochen sind sie zu einem so genannten „Rainbow Gathering“ zusammengekommen. Selber zählen sich die Teilnehmer dieses Treffens zu der „Regenbogen Familie“. Rainbow-Treffen dieser Art gibt es auf der ganzen Welt. Das Treffen in einer Schutzzone des Biosphärenreservates Rhön ist illegal. Das bestätigte Geisas Bürgermeister Martin Henkel auf Nachfrage von rhoen-aktuell.de.
„Verrückte Vögel“ treffen geschützte Vögel .
Zur Regenbogenfamilie auf dem „Bremer Hut“ gehören Anhänger diverser Subkulturen: Hippies, Indien-Freaks, Esoteriker, Neu-Heiden, Hare Krishnas, Nudisten und „andere verrückte Vögel“, wie einige Bewohner der Umgebung die seltenen Besucher nennen. Diese „menschlichen Vögel“, würden ganz gut zu den geschützten Vögeln des Biosphärenreservates passen, spaßen einige. Andere finden den Besuch gar nicht so lustig und sehen in dem Zeltlager eine Gefahr für den „besonders sensiblen“ Naturbereich. Schließlich leben in dem geschützten Bereich, den die EU als Vogelschutzgebiet ausgewiesen hat, Uhus und Schwarzstörche; beide Vogelarten sind selten und stehen auf der Roten Liste. Einige Naturschützer fordern im Schutzbereich „Bremer Hut“ sogar den Rückbau von Wegen. Auch ihnen dürften die „neuen Vögel“ ganz und gar nicht gefallen.
Platzverweis wirkungslos aber „rechtssicher“
Die Stadt Geisa hat vor etwa drei Wochen, als die ersten „Rainbows“ ihre Zelte aufschlugen, einen Platzverweis ausgesprochen. „Dabei wurden auch Bußgelder angedroht“, erklärte Bürgermeister Henkel. Dass das keine Wirkung zeigte, sei ihm schon fast klar gewesen, allerdings sei so die rechtliche Situation geklärt. Gegenüber der Stadt Geisa könnten nun keine Haftungsansprüche geltend gemacht werden. Henkel verweist in dem Zusammenhang auch auf die Gefahren im Wald. Zwar seien die meisten Sturmschäden, die durch Kyrill entstanden waren, beseitigt, allerdings hängen noch einige Äste und Stämme quer in den Baumkronen.
Eine weitere Gefahr stellt das offene Feuer dar. Anfangs haben laut Bürgermeister die Feuer auch in Waldnähe gebrannt. Nach Rücksprache hätten sich die „Rainbows“ bereit erklärt, keine Feuer in unmittelbarer Nähe zu Bäumen mehr anzuzünden. Ganz scheinen sie sich aber nicht daran halten zu wollen, wie der Besucher des Treffens feststellen kann.
Vegan, kostenlos und „irgendwie werden wir schon satt“
Das „Hauptfeuer“ befindet sich in der Mitte der Lichtung. Hier treffen sich die Mitglieder der Regenbogenfamilie beim so genannten „Food Circle“ zum gemeinsamen Essen. Gekocht wird von Freiwilligen in einem eigens dafür vorgesehen Zelt und einem selbstgebauten Ofen aus Erde. „Niemand ist zum Mithelfen verpflichtet“, erklärt eine Teilnehmerin, während sie den ausgegebenen Brei mit Früchten isst: „Aber irgendwie funktioniert das schon.“ Dreimal ziehen die „Hobby-Köche“ mit großen Töpfen durch den Kreis und verteilen die veganen und kostenlosen Mahlzeiten. Jeder kann umsonst essen. Am Ende der gemeinsamem Mahlzeit ziehen ein paar Rainbows singend und tanzend durch den Kreis und sammeln Spenden im so genannten „Magic Hat“.
Nackte, alte Männer und ein wütender, ohrfeigender „Rainbow“
Niemanden scheint zu stören, dass ein langbärtiger, nur mit einer weinroten Weste bekleideter Mann in der Mitte des Kreises rumalbert. Ein anderer FKK´ler geht ohne Scheu vor rund 200 seiner „Familienmitglieder“ in die Mitte des Kreises zur Feuerstelle, um sich Essen nachzuholen. Viel störender scheint für einige „Rainbows“ die Anwesenheit von Fotokameras. Einer reagiert besonders wütend: versucht mir die Photokamera aus der Hand zu reißen, flucht, ohrfeigt mich und verschwindet wütend. Die meisten der übrigen Teilnehmer bewerten dieses Verhalten ihres „Familienmitgliedes“ als übertrieben, zeigen aber Verständnis für sein Anliegen, nicht fotografiert werden zu wollen. „Wenn du fotografierst, musst du jeden einzelnen fragen, ob er damit einverstanden ist, auch dann, wenn du eine große Menschenmenge fotografierst“, erklärte ein Teilnehmer des Treffens sinngemäß. Andere sprechen davon, dass manche eine Gefahr für ihre Seele sehen, wenn sie fotografiert werden.
Die Rainbow-Regeln
Gewalt ist der einzige Grund für einen Ausschluss vom „Rainbow Gathering“. Kommen kann jeder, der Lust hat. Eine Mitgliedschaft gibt es nicht. Jeder der sich als Teil der Regenbogenfamilie fühlen will, kann das tun. Nur wenige Regeln gelten in der „Welt der Rainbow Family“. Auf den Treffen sind harte Drogen verboten. „Auch Alkohol ist nicht erlaubt. Der führt zu Aggressionen“, erklärte ein Teilnehmer am Lagerfeuer sitzend. Das Kiffen werde aber geduldet. Während des gesamten Treffens darf nicht mit Geld gehandelt werden. Außerdem sind elektrische Geräte verboten. Sicherlich zählen hierzu auch Digitalkameras.
„shit pits“ und „Kuschel-Area“
Als Toiletten nutzen die „etwas anderen Camper“ so genannte „shit pits“ – in die Erde gegrabene Furchen, die mit Erde und Asche bedeckt werden. Für den Bau solcher „Toiletten-Gräben“ bilden sich Arbeitsgemeinschaften – ganz freiwillig. Andere Workshops bieten Meditation, Massage oder Gespräche über spirituelle Themen. In einer „Kuschel-Area“ sitzen Männer und Frauen eine Weile zusammen im Kreis, bevor die Workshopleiter wegen Männerüberschusses nach weiblichen Teilnehmerinnen suchen müssen.
Wegen spiritueller Bedeutung kein Platzwechsel
Geisas Rathauschef war verärgert darüber, dass die Rainbows nicht mit einem Ausweichplatz zufrieden waren und ihren ausgesuchten Platz nicht aufgeben wollten. Die Stadt habe einen Alternativplatz vorgeschlagen, der nur einen Kilometer vom jetzigen Lager entfernt , dafür aber nicht in einem Schutzbereich liege. Als Grund ihrer Ablehnung haben die lagernden Gäste laut Bürgermeister angegeben, dass der von ihnen gewählte Platz „eine besondere spirituelle Bedeutung“ habe.
Zu ihrer Ehrenrettung behaupten die Teilnehmer, dass sie den Platz sauberer verließen, als sie ihn vorgefunden hätten. Und auch die Rainbows vom „Bremer Hut“ haben Müll aus dem Wald aufgesammelt und so die Umwelt gereinigt. Das könnte auch Bürgermeister Henkel versöhnlich stimmen: „Nachdem das einigermaßen in geordneten Bahnen läuft, sollen sie da oben ihr Lager machen. Für mich ist ausschlaggebend, wie der Platz verlassen wird. Wenn sie etwas Nützliches getan haben, dann sieht die Sache anders aus.“ Mit kurzer Zeitverzögerung fügte er hinzu: „Ich habe Wichtigeres zu tun, als mich um die Hippies zu kümmern.“ Das Treffen geht im Moment seinem Ende entgegen. In etwa zwei Wochen dürfte der „Bremer Hut“ wieder allein den geschützten Vögeln gehören. (Daniel Kister) +++