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Das blaue Halstuch als Statussymbol - Was war ein JUNGPIONIER? - VIDEO
06.11.14 - "Ich war ein wohlerzogener Jungpionier und will gar nicht ausschließen, dass ich meine eigenen Eltern verraten hätte, wenn ich gewusst hätte, dass es in die für uns schlechte Bundesrepublik gehen sollte", sagt David Altheide Jahre nach seiner Zeit als Jungpionier. Das blaue Halstuch war für ihn einfach nur wichtig. Er war stolz, dieses Erkennungszeichen, außer dem weißen Hemd und der dunkelblauen Hose, tragen zu dürfen.
Doch im Herbst 1989 sollte sich sein Leben schlagartig ändern, die Zeit in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) sollte vorbei sein. Als Zehnjähriger floh er mit seiner Familie 1989 über die Prager Botschaft in den Westen. Seine Eltern hatten ihm erzählt, dass sie eine Tante in Prag besuchen wollten. Diese gab es nicht und war nur vorgeschoben. Die Geschichte von David Altheide macht deutlich, wie wichtig es den Kindern und Jugendlichen damals war, dazu zu gehören und Teil einer Wertevorstellung zu sein, welche nur das "Gute" verkörpern sollte und so die jungen Menschen "köderte".
Auch dieses Thema wurde im Theaterrecherche-Projekt "Grenzland" vom "Theater mittendrin" in Fulda beleuchtet. Den Ausschnitt aus dem spannenden Stück sehen Sie in unserem Videobeitrag.
Dieses Gemeinschafts- und Pflichtgefühl hatte natürlich System und war so gewollt. Schon im Kindergarten waren die Kinder auf ihre Mitgliedschaft bei den Jungpionieren vorbereitet worden. Diese wurde dann zum Schuleintritt durch ein feierliches Gelöbnis bekräftigt. 1981 waren 1,6 Mio. Kinder im Alter von sechs bis dreizehn Jahren Mitglieder der der FDJ unterstellten "Pionierorganisation Ernst Thälmann". Diese teilte sich in die Jungpioniere (Sechs- bis Zehnjährige) und die Thälmannpioniere (Zehn- bis Dreizehnjährige) auf.
Rund 98 Prozent aller Kinder und Jugendlichen der DDR waren Mitglied - sagen die Statistiken heute. Ziel dieser Massenorganisation war es, die Heranwachsenden zu "jungen Sozialisten" zu erziehen. Das geschah durch vielfältige Aktivitäten, vom wöchentlichen Pioniernachmittag über gemeinsam zu bewältigende "Pionieraufträge" (Altmaterialsammlung, Versorgung alter Menschen, Pflege kommunaler Anlagen etc.) bis hin zu großen Pioniertreffen. Das geregelte Leben in der Organisation (der Mittwochnachmittag war der Pioniernachmittag) prägte den Alltag der Kinder.
Persönlich war für Altheide die Teilnahme an den Veranstaltungen sehr wichtig. "Man wollte einfach dazu gehören." Das weiße Hemd musste immer gut gebügelt sein, ein wenig Gruppenzwang war es schon, beschreibt der 35-Jährige, der in der Nähe von Gera aufwuchs und heute mit seiner Familie in Rasdorf (Landkreis Fulda) lebt. "Ich selbst habe - gegen den Willen meiner Eltern - heimlich Pioniernachmittage durch zum Beispiel Basteln von Winkelementen mit vorbereitet - was man als kleiner Bub halt so leisten kann."Und er erzählt von den Erlebnissen: "Eine Ehre war es, wenn man auserwählt wurde, an den Feiertagen wie dem Tag der Befreiung am russischen Ehrenmal den Wimpel bei den Kranzniederlegungen halten zu dürfen."
Was ihn damals wirklich enttäuschte: "Der Moment als in der vierten Klasse die roten Halstücher die blauen ablösten und ich als einziger keins bekam. Schikane gegen die Eltern, die ich aushalten musste - und mir damals auch nicht erklären konnte". Wenige Jahre später weiß er warum, sie wollten raus aus dem System der Deutschen Demokratischen Republik - einem System welches gerade den Jungpionieren als schöne, heile Welt "verkauft" wurde. (Hans-Hubertus Braune) +++