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Kita-Streik: Wohin mit den Kleinen? - Null- bis Dreijährige helfen bei Amazon aus
29.05.15 - Es sind keine einfachen Tage für die Menschen in Osthessen: Kaum fährt mal wieder ein Zug, schon streiken die Erzieherinnen in Kindertagesstätten und die Mitarbeiter bei Amazon. Die Dummen sind die Eltern, die nicht wissen, wo sie ihre Kleinen unterbringen sollen, und die vielen verzweifelten Online-Einkäufer. Um das Dilemma für alle Beteiligten zu lösen, hat der Landkreis Fulda in dieser Woche eine einzigartige Aktion gestartet: Ab sofort helfen die Null- bis Dreijährigen im Amazon-Verteilzentrum in Bad Hersfeld aus. Das Ergebnis: Eine Win-win-Situation für alle. Eltern können beruhigt arbeiten gehen, die Menschen im gesamten Bundesgebiet erhalten pünktlich ihre Amazon-Pakete, und der Nachwuchs verdient sich ein bisschen was dazu (1,36 Euro brutto/Stunde).
Donnerstagmorgen, 5.30 Uhr: 835 quengelnde Kleinkinder werden auf rund 100 Kleinbusse verteilt. Als Fahrer hat der Landrat, weil es sich um ein Pilotprojekt handelt, Mitglieder einer Berufsgruppe engagiert, die zurzeit ziemlich bodenständig sind und noch Kapazitäten frei haben: streikende Lufthansa-Piloten. „Hello Ladies and Gentlemen, welcome to our flight from Fulda ZOB to Amazon Bad Hersfeld via Burghaun and Hünfeld“, beweisen die Männer ihr pädagogisches Geschick. Bereits an der Auffahrt zur B27 treten jedoch technische Probleme auf. Der Pilot des ersten Fahrzeugs fühlt sich durch übel riechende Dämpfe im Cockpit belästigt.
Anna-Sophia-Zoë hat ihre Windel brav bis über die obere Markierung gefüllt, Leon-Friedrich-Anakin wird durch einen Wutanfall geschüttelt, weil die Teletubbies nicht zum Bordprogramm gehören, und Mia-Lea-Johanna-Maria präsentiert den anderen Mitreisenden nach den ersten drei Kurven stolz, was sie gefrühstückt hat. Noch vor Rückers toben und schreien die 835 Amazon-Nachwuchskräfte so laut, dass der Fuldaer Bischof seine Beruhigungstropfen einnehmen muss.
„Ladies and Gentleman, we are expecting some turbulences. Therefore please return to your seat and fasten your seatbelts“, zeigen die Piloten, was sie in hunderten Stunden im Flugsimulator gelernt haben. Doch speziell die Null- bis Zweijährigen weisen gravierende Lücken im englischen Wortschatz auf und werden immer lauter. Erst mit einigen Pullen Aha Excelsior auf Hünfelder Gebiet gelingt es den Lufthansa-Spitzenkräften, die Lage an Bord zu beruhigen.
Als der Konvoi am späten Nachmittag bei Amazon eintrifft und die Kleinen endlich vom vielen Weinen eingeschlafen sind, geben sich die Piloten kleinlaut: 225.000 Euro werden die Erzieherinnen zwar ebenfalls pro Jahr kassieren, aber dafür dürfen sie keine himmlische Ruhe über den Wolken genießen. Deshalb: Nie wieder Streik! Die Amazon-Bosse merken: Auf den Nachwuchs ist kein Verlass. Das eigene Personal bekommt ab Juni 26,50 Euro pro Stunde. Nur die Erzieherinnen pfeifen noch immer auf ihren Job. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber hat ihnen zwar ein neues Angebot schriftlich unterbreitet. Doch das ist bisher nicht eingetroffen. Denn: Die Zusteller der Post streiken... (Jochen Wieloch)+++