Archiv
Prof. Dr. Andreas Peichl sprach über Ungleichheit und Umverteilung
27.11.18 - Gerechtigkeit ist ein großes Thema. Gerade eben widmete die ARD ihm eine ganze Woche. Doch was ist schon gerecht? Kann man Gerechtigkeit von der Subjektivität befreien und objektiv bestimmen? Wieviel Ungleichheit finden wir in Deutschland und wie kann gute Umverteilung funktionieren? Fragen über Fragen, die sich auch junge Erwachsene stellen. An der Alexander-von-Humboldt-Schule gab es darauf in der vergangenen Woche fundierte Antworten: Mir Prof. Dr. Andreas Peichl war ein versierter Verteilungsforscher nach Lauterbach gekommen, um vor den Schülerinnen und Schülern der Q-Phase zu sprechen.
Peichl ist Leiter des Münchner Ifo-Zentrums für Konjunkturforschung und Befragungen und er hat sein Abitur 1998 am Lauterbacher Gymnasium abgelegt. Sein Vortrag an der AvH war daher auch ein schönes Beispiel der Zusammenarbeit mit Ehemaligen, wie Oliver Stoy, Koordinator der Berufs- und Studienorientierung, in seiner Begrüßung feststellte. „Die Auseinandersetzung mit dem Thema Gerechtigkeit passt gut zu jungen Menschen, die mündige Bürgerinnen und Bürger werden wollen“, befand Stoy, bevor er das Wort an den Referenten weiterreichte, der sichtbar erfreut war, an seiner alten Schule zu sprechen, und eine Einordnung der Themen Ungleichheit, Umverteilung, Gerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit zu geben.
Darüber, wie man Reichtum und Armut in einer Gesamtverteilung misst, gab der Professor einen kleinen Crashkurs: Er stellte den Schülerinnen und Schülern den Gini-Koeffizienten vor, mit dessen Hilfe man Ungleichverteilungen berechnen und auch darstellen kann. Im Verlauf könne man feststellen, dass die Ungleichheit in der Welt sinke, auch wenn sie in einigen Ländern vielleicht steige. Wieweit Wahrnehmung und Wirklichkeit auseinanderliegen, wollte Peichl anhand einer Online-Abstimmung mit den Schülerinnen und Schülern darstellen. Dazu hatte er eine Abstimmungsplattform freigeschaltet, auf die das Publikum direkt per Handy Zugriff hatte. Die Lauterbacher jungen Leute lagen mit ihrer Einschätzung, wie sich Armut und Reichtum in der deutschen Gesellschaft verteilt, genau richtig – ein Zeichen dafür, dass sie sich bereits mit dem Thema auseinandergesetzt hatten. In der Regel, so Peichl, schätzten die Menschen das Ungleichgewicht größer ein, als es ist – dies führe vermehrt zu Unzufriedenheit, deren Ursache eine bloße Einschätzung ist, die durch konkrete Zahlen widerlegt werden könne.
Die Gerechtigkeit in Sachen Einkommen und Lohn sehen die Wirtschaftswissenschaftler als steigend, auch wenn man bei den Betrachtungen bedenken müsse, welche Einkommen den Ergebnissen zugrunde liegen. So mussten sich die Schülerinnen und Schüler mit der Bedeutung von Ungleichheit vor und nach Steuern, vor und nach Transferleistung auseinandersetzen. „Deutschland liegt weltweit an zweiter Stelle, was die Verteilungsgerechtigkeit betrifft“, zitierte Peichl eine Oxfam-Studie und bezeichnete dies als Ausdruck eines starken, effizienten Verteilsystems.
Auch auf die Themen soziale Mobilität und Chancengerechtigkeit ging der Professor ein. Obwohl Deutschland im Vergleich mit den USA eine große soziale Mobilität aufweise, zeige der Chancenbaum, dass auch hier immer noch vieles von der Situation im Elternhaus abhingen – auch die spätere Position im Beruf und damit auch das Einkommen. Eine weitere Umfrage zeigte, dass die Schülerinnen und Schüler es gerecht finden, wenn jemand, der mehr leistet, auch mehr Geld verdient, sie waren gegen eine komplette Gleichverteilung aller Einkommen und Vermögen der Gesellschaft an alle Personen und lauschten gespannt den Ausführungen des Redners zum Thema Hartz IV und Bedingungsloses Grundeinkommen. Sein Fazit am Ende eines schnellen Rittes durch die vielfältigen Sichtweisen auf Gerechtigkeit: Deutschland geht es sehr gut, steigende Einkommensungerechtigkeit ist als Thema überholt, ein großes Thema bleibt die Chancengerechtigkeit.
Wie sehr die Schülerinnen und Schüler sich für dieses Thema interessierten und wie intensiv sie sich schon im Vorfeld damit auseinandergesetzt hatten, wurde in der anschließenden Interviewrunde deutlich. Die angehenden Abiturienten befragten Professor Peichl nach seiner Einschätzung zu den Auswirkungen von sozialer Ungerechtigkeit für die Demokratie, zum Ehegatten-Splitting, zum Spagat zwischen Fürsorge und Fordern im Umverteilungssystem und zum Spitzensteuersatz. Des Weiteren ging es in der Gesprächsrunde um solch interessante Themen wie das Verhältnis von Mindestlohn und späterer Rente sowie um die deutsche Sichtweise auf Eliten. (pm)+++