Archiv
Gegensätzliche Plädoyers im Untreue-Verfahren gegen Ex-Bürgermeister
26.10.22 - "Ich bin unschuldig - mit Ausrufezeichen - es ist Wahnsinn, was hier passiert!", sind nach einem langen Verhandlungstag die letzten Worte des Angeklagten. Tatsächlich plädiert sein Verteidiger am Dienstag dann auf Freispruch, während Staatsanwalt Christoph Wirth darauf pocht, dass der ehemalige Bürgermeister 34.000 Euro an die Tochter des mittlerweile verstorbenen Opfers zurückzahlt und für "gewerbsmäßige Untreue" eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monate bekommt. Das Urteil soll am kommenden Montag verkündet werden.
Im Verfahren gegen den ehemaligen Bürgermeister Florian H. sagte am zweiten Verhandlungstag zunächst ein psychiatrischer Gutachter aus, der die Demenzerkrankung des geschädigten Rentners Willi K. untersucht und attestiert hatte. Ab Mitte 2019 habe der in einem Altersheim in Petersberg lebende Mann keine sinnvolle Gesprächsführung mehr vollziehen können, seine Merk- und Gedächtnisleistung habe stark nachgelassen, es seien kognitive Defizite aufgefallen. Zwar habe er bei einfachen Gesprächen eine "Fassade aufrechterhalten", doch dahinter habe er keine komplexen Sachverhalte mehr realisieren können.
So habe er nicht verstanden, warum ein Betreuungsverfahren eingeleitet wurde und diese Tatsache auch immer wieder vergessen. Über seine Defizite sei er sich aber nicht selbst bewusst gewesen, was zum Krankheitsbild Alzheimer gehöre, so der Sachverständige. Dass er in dieser Situation glaubte, bestohlen und um sein Geld betrogen worden zu sein, sei durchaus denkbar.
Tiefgekühltes Bargeld
Die Mutter des Angeklagten erläuterte als nächste Zeugin, wie und warum sie ihrem Sohn 15.000 Euro in bar geschenkt habe, die sie in ihrem Tiefkühlfach aufbewahrt hatte. Sie war im Februar 2020 wegen einer bevorstehenden schweren Operation offenbar davon überzeugt, nicht mehr lebend aus dem Krankenhaus zurückzukommen. Die finanzielle Zuwendung sei einerseits aus Dankbarkeit für die Pflege durch ihre Schwiegertochter, andererseits für ihre vermeintlich baldige Beerdigung gedacht gewesen.
Der Angeklagte hatte selbst weitere Zeugen benannt, die seine Version der Geschichte stützen und ihn entlasten sollten. So berichteten ein Nachbar von Florian H., er habe 500 Euro von dem 90-Jährigen als Geburtstagsgeschenk bekommen, eine weibliche Zufallsbekanntschaft aus einem Petersberger Café hatte nach eigener Aussage sogar 800 Euro von dem Senior geschenkt bekommen, weil sie sich in einer finanziellen Notlage befunden habe und er sie offenbar sympathisch fand.
Dummheit nicht strafbar?
Der Rentner habe auf seine alten Tage das Geld erstens bar bei sich haben wollen, weil er den Banken misstraute, und habe zweitens mit warmen Händen geben wollen - auf diese Einschätzung fokussierte sich der Verteidiger. Dass sein Mandant "so furchtbar dumm" gewesen sei, sich die Übergabe von 34.000 Euro nicht quittieren zu lassen, sei allerdings nicht strafbar. Die Frage, wer alles von der angeblichen Freigiebigkeit des dementen Seniors profitiert hatte, führte zu der Spekulation der Verteidigung, eine unbekannte "Vertraute" des Mannes im Seniorenheim könnte kassiert oder auch mit dessen Bankkarte Geld abgehoben haben. "Die wird sich aber nicht melden, sondern froh sein, dass es unbemerkt blieb", so Rechtsanwalt Rudolf Karras.
"Senior war das ideale Opfer für den Angeklagten"
Der alte Mann sei in seiner fortgeschrittenen Demenz und ohne Angehörige in Deutschland das ideale Opfer für den Angeklagten gewesen, argumentierte dagegen der Staatsanwalt, der in seinem Plädoyer über das Strafmaß der ersten Instanz hinausging. Der Angeklagte habe seine eigene finanzielle Notlage mit dem Geld des ihm Anvertrauten ausgleichen wollen und seine Bankvollmacht schamlos missbraucht. "Er konnte sich sicher sein, dass Willi K. das nicht kontrollieren konnte und vergessen würde." Weder könne sich jemand im Pflegeheim an die angeblichen Geldübergaben erinnern, noch sei das Geld bei Durchsuchungen gefunden worden. Die Tochter, der ihr Vater laut Version des Angeklagten das Geld bar per Post in die USA geschickt haben soll, hat nie eine Sendung bekommen und verfügte selbst über eine Kontovollmacht. Auch die Enkelin sagte schriftlich aus, nie Geldzuwendungen bekommen zu haben.
Völlig unerklärlich blieb die Tatsache, dass der Angeklagte trotz seiner Tätigkeit als Bürgermeister nahezu täglich jeweils 1.000 Euro vom Bankautomat einer Filiale in Petersberg unweit des Seniorenheims abgehoben hatte, obwohl er dafür über 25 Kilometer von seinem Wohnort aus fahren musste, wo er das Geld auch hätte abheben können. Statt es dem nahe untergebrachten Senior dann sofort zu übergeben, habe er es angeblich gesammelt und in fünf oder sechs Summen im Heim abgegeben. Dafür sah der Staatsanwalt nur eine mögliche Erklärung: Der Angeklagte habe auf diese Weise vortäuschen wollen, dass der Demenzkranke das Geld selbst abgehoben habe und nicht damit gerechnet, dass es Fotos vom Abhebevorgang gab. Die Verteidigung wollte den täglichen großen Umweg ihres Mandanten damit erklären, dass dieser die Petersberger Filiale von seiner früheren Tätigkeit "eben gewohnt" gewesen sei.
Auf das Urteil nach diesem komplexen und teilweise von undurchsichtigen Motiven geprägten Verfahren darf man gespannt sein. (Carla Ihle-Becker)+++