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Prof. Sefrin sagt: "Die Hemmschwelle den Rettungsdienst zu rufen hat abgenommen. Teilweise wird er als Taxi missbraucht." - Foto: Peter Sefrin

REGION Gastkommentar vom Notfall-Papst

Wird der Rettungsdienst missbraucht? So sieht es Prof. Dr. Peter Sefrin

16.12.22 - Die Anzahl der Einsätze des Rettungsdienstes steigt von Jahr zu Jahr und hat sich in diesem Jahr besonders gravierend entwickelt, wobei die Zahl der Bewohner in Deutschland nicht gestiegen ist. In den vergangenen Jahren kam es jährlich zu einer Zunahme der Einsätze um  3- 4 %, vereinzelt bis zu 10 %.  In Bayern ist die Zahl der Einsätze von Notärzten in den vergangenen zehn Jahren um 35 Prozent gestiegen – die Rettungs­wageneinsätze haben sogar um 48 Prozent zugenommen. Dafür kann nicht der demographische Wandel als Erklärung herangezogen werden. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob die Bevölkerung mit den Jahren kränker oder die Anzahl der Unfälle mehr geworden sind. Beides kann man nachweislich verneinen.

Die Hälfte der Rettungseinsätze sind heute Notfalleinsätze. So machen die Verkehrsunfälle gerade einmal noch 2,6 % aus und auch andere traumatische Schäden erreichen gerade einmal 8 % der Einsätze. Im Gegensatz dazu haben die im Rettungsjargon sogenannten Bagatelleinsätze überproportional zugenommen. Bagatellverletzungen oder –schäden sind leichte Verletzungen, bei denen unter normalen Bedingungen keine klinisch relevanten und bleibende Schäden auftreten und die keine oder nur ganz geringe medizinische Hilfe erforderlich machen. Dazu zählen zum Beispiel kleine Schnitt- oder Schürfwunden, Prellungen, kleine Blutergüsse unter der Haut (blaue Flecke) oder Husten und Fieber.

Der Notfall-Experte warnt: "Die Gefahr, dass im richtigen Notfall dann kein Rettungswagen ...Foto: Peter Sefrin

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was als Ursache der kontinuierlichen Steigerung angesehen werden kann. Da ist zunächst die Unwissenheit der Bevölkerung, wer bei einem Notfall zuständig ist. Für Akutfälle, wenn der Hausarzt nicht erreichbar ist, ist die bundesweite Anlaufstelle die Telefon-Nummer 116 117, die häufig nicht bekannt ist. Gerade ältere Menschen, die vielfach auch noch alleine leben, sind in einer solchen Situation hilflos. Andererseits fehlt immer wieder die Möglichkeit den Hausarzt zu erreichen, was einmal mit der Verfügbarkeit der niedergelassenen Ärzte, deren Zahl sich zunehmend verringert hat, zu tun hat. Andererseits hält die Überlastung der Hausärzte mit langen Wartezeiten in den Praxen viele davon ab, eine Praxis aufzusuchen. 

Der Bürger bestimmt heute selbst, was für ihn ein Notfall ist. Dabei spielt das Anspruchsdenken eine große Rolle. Negativ ausgedrückt könnte man auch sagen der Egoismus, nach dem Motto "ich habe einen Anspruch, eine unmittelbare Versorgung, wenn ich meine, diese zu bedürfen". Dahinter versteckt sich auch eine Vollkasko-Mentalität der Bevölkerung.

Die Hemmschwelle den Rettungsdienst zu rufen hat abgenommen. Teilweise wird er als Taxi missbraucht. Andererseits wird von der Politik versichert, dass Jede und Jeder in einer Notfallsituation Hilfe bekommt. Bei dieser Denkweise nimmt der Bürger in Kauf, dass für die eigene Bagatelle ein anderer, der zur gleichen Zeit dringender Hilfe benötigt, Schaden nehmen könnte. Die Gefahr, dass im richtigen Notfall dann kein Rettungswagen oder Notarzt zu Stelle sein kann, haben viele Anrufer nicht auf dem Schirm. Dies muss auch vor dem Hintergrund des Personalmangels im Rettungsdienst gesehen werden. In Deutschland fehlt bis zu einem Fünftel der Einsatzkräfte.

Das Anspruchsdenken macht sich auch bemerkbar, wenn von vornherein auf die Möglichkeit einer eigenen Intervention verzichtet wird. Die Chance der Selbsthilfe z.B. durch das Erlernen im Rahmen eines Erste-Hilfe Kurses wird trotz der angebotenen Möglichkeiten nicht genutzt. Aufklärung und Förderung der Selbsthilfefähigkeit könnte zu einer deutlichen Verbesserung beitragen.

Aus der Sicht einer langjährigen Erfahrung eines Notfallmediziners im Rettungsdienst ist festzustellen, dass es sehr schwer ist, auf das Verhalten der Patienten einzuwirken. Nicht zu verkennen ist, dass nicht jede Bagatellalarmierung ein Missbrauch darstellt, sondern vereinzelt wirklich der Grund eine Lücke im Kenntnisstand für das richtige Vorgehen ist. (Prof. Dr. med. Peter Sefrin) +++


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