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Bischöfin Dr. Beate Hofmann im Gespräch mit den Landtagsabgeordneten Lena Arnold, Felix Martin, Tanja Hartdegen, dem Ersten Kreisbeigeordneten Dirk Noll, Sonja Driebold (Abteilungsleiterin der Diakonie Hessen), den Pfarrern Thomas Funk und Frank-Nico Jaeger vom Vorstand der Gemeinde-Diakonie, deren Geschäftsführer Stefan Gunkel und Mitarbeiterinnen der ambulanten Diakonie-Pflege. - Fotos: Christopher Göbel

BAD HERSFELD Bischöfin und Politik im Gespräch

"Tag der Pflege" als Anlass, klare Worte auszusprechen

13.05.23 - "Die Gemeinde-Diakonieschwester kümmert sich um den ganzen Menschen". So in etwa steht es im ersten Arbeitsvertrag von Anke Bock, die seit Jahrzehnten in der Pflege arbeitet. Doch heute hat sich das Bild von Pflegekräften vollständig gewandelt. Überarbeitung, Nachwuchsmangel und Bürokratie sind nur drei der akuten Probleme in der ambulanten Pflege. Am Freitag, dem "Tag der Pflege", trafen sich Dr. Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Vertreter aus der Pflege der Gemeinde-Diakonie im Landkreis Hersfeld-Rotenburg sowie Landes- und Kreispolitiker zu einer Gesprächsrunde, bei der klare Worte zum Thema gesprochen wurden.

Pflege-Mitarbeiterinnen Karin Henning, Anke Bock, Christina Scheuren, Ute Schlotzauer ...

Dr. Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. ...

Sonja Driebold, Abteilungsleiterin der Diakonie Hessen, und Landesbischöfin Hofmann. ...

"Es ist fünf nach 12" beschrieb die Bischöfin die aktuelle Lage auf dem Pflegesektor. Sie war am Freitagvormittag zur Gemeinde-Diakonie in Bad Hersfeld gekommen, um mit Pflegenden und Politikern zu sprechen. "Wir sitzen in einem Auto, das mit Vollgas auf den Abgrund zufährt", so Hofmann. Sie sei erstaunt, wie wenig das Thema Pflege in der Politik vorkomme.

"In Hessen arbeiten 32.000 Menschen in der ambulanten Pflege", so die Bischöfin. Im Landkreis Hersfeld-Rotenburg sind es derzeit rund 390 Altenpflegerinnen und -pfleger in der ambulanten und der stationären Pflege. "Um den Bedarf in der Versorgung auch im Jahr 2035 noch zu decken, geht man derzeit von einem Steigerungsbedarf von 63 Prozent aus", sagte Hofmann. Die Coronapandemie-Folgen seien deutlich spürbar, viel Personal sei abgewandert oder gehe bald in den Ruhestand. "Ich erlebe die Sorgen und Nöte in vielen Gesprächen. Wir brauchen eine grundsätzliche Reform der Pflegestrukturen." Die Kirche wolle Impulse setzen und auf die Sorgen und Nöte des Pflegepersonals aufmerksam machen. Hofmann erwähnte auch die Sorgenetze, die ihr seit Amtsantritt sehr am Herzen liegen. Florence Nightingale (12. Mai 1928 - 13. August 1910), die als Begründerin der modernen Pflege gilt, habe in einer Diakonie gelernt, so Hofmann.

"Das Thema Pflege können wir nur gemeinsam lösen", so Pfarrer Thomas Funk, Vorstandsvorsitzender des Zweckverbandes "Gemeinde.Diakonie Hersfeld", in Richtung der Politikerinnen und Politiker der Gesprächsrunde. Zur Einführung zitierte er die Tageslosung "Sie werden weinend kommen, aber ich will sie trösten" aus dem Buch Jeremia - und merkte scherzhaft an, dass dieses Motto besonders gut zu einem Treffen von Pflegepersonal und Politik passe. "Die ambulante Pflege steht unter starkem Druck", so Funk. Man fühle sich im Vergleich mit stationärer Pflege "aus dem Fokus geraten". Es gebe Versorgungslücken im Landkreis und der Bedarf wachse, während die Pflegedienste schrumpfen würden. "Es geht uns um die Menschen im Landkreis", so Funk. Die Diakonie müsse Versorgungsverträge absagen, weil nicht genügend Personal vorhanden sei.

Die SPD-Landtagsabgeordnete Tanja Hartdegen. Im Hintergrund Pfarrer Frank-Nico ...

MdL Felix Martin (Grüne).

Eindrucksvoll stellten die beiden langjährigen Pflegekräfte Karin Henning und Anke Bock die Ansprüche und Anforderungen an Pflegende in den vergangenen rund 40 Jahren gegenüber. In den 1980er Jahren habe es häufiger Mehrgenerationen-Haushalte gegeben. Die Gemeindeschwester habe sich ihre Pflegetermine frei einteilen können, die Pflege war damals kostenlos, die Ansprüche der zu Pflegenden überschaubar. Es gab kaum Bürokratie und auch keinen Zeitdruck. "Oft haben wir die Kunden nach dem Tod auch auf dem letzten Weg begleitet", so Henning. "Unser Beruf war anerkannt und wertgeschätzt", so Henning.

"Heute fehlt beides", fügte Bock hinzu. Feste Zeitvorgaben pro Kunde, 24 Stunden Rufbereitschaft, höhere Ansprüche der Kunden oder ihrer Angehörigen, Nachwuchsmangel, langwierige Dokumentationen für die Krankenkassen, nur noch ausführende Kraft ärztlicher Anordnungen zu sein und die fehlende Anerkennung der Arbeit seien akute Probleme im Pflegebereich. "Wir müssen heute betriebswirtschaftlich arbeiten", sagte Bock. "Man macht sich schon Gedanken darüber, wer einen selbst später pflegen wird. Und vor allem, ob man sich das überhaupt leisten kann", sagte Henning, deren Ruhestand bald bevorsteht.

"Zu wenig Kontakt zur Basis"

Diakonie-Geschäftsführer Stefan Gunkel: "Pflege nimmt einen zu niedrigen Stellenwert ein. Die Politik hat zu wenig Kontakt zur Basis." Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. "Die Akademisierung widerspricht unserer eigentlichen Aufgabe", so Gunkel. Hinzu kämen die Härte der Kostenträger und eine "Arbeit wie am Fließband". 

Die Diakonie-Pflegeleitungen Ute Schlotzauer und Christina Scheuren wiesen auf den Mangel an Pflegekräften hin. "Hilfebedürftige Menschen können nicht mehr versorgt werden, wir haben lange Wartelisten", so Scheuren. Der Krankenstand bei Pflegepersonal liege im Durchschnitt bei 28,5 Tagen im Jahr, die Fluktuation sei sehr hoch. "In der Pflege arbeitet ein Mensch rund sieben Jahre, ehe er sich anders orientiert."

Schlotzauer gab einen weiteren Einblick in die administrative Arbeit: "Die Rahmenbedingungen sind schlecht. Jährliche Prüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen und viel Papierkram sowie ein hoher Verwaltungsaufwand bei den Krankenkassen bestimmen unsere Arbeit." Die Pflege habe einen "dienenden Charakter" und sollte ein anderes Selbstbewusstsein entwickeln. "Der politische Wille reicht mir nicht", so Schlotzauer. "Setzen Sie sich dafür ein, dass die Pflege grundsätzlich reformiert wird. Wir brauchen eine Deckelung des Pflegebeitrages. Alle sollen sich Pflege leisten können", richtete sie einen Appell an die anwesenden Politikerinnen und Politiker.

MdL Lena Arnold (CDU).

Der Erste Kreisbeigeordnete und Sozialdezernent Dirk Noll (SPD).

Grünen-MdL Felix Martin, Bischfin Hofmann, Sonja Driebold, die CDU-Landtagsabgeordnete ...

"Wir brauchen eine Entschlackung des Verwaltungsaufwandes", so die SPD-Landtagsabgeordnete Tanja Hartdegen. Ausbildung und Beruf müssten attraktiver werden, unter anderem durch eine bessere Bezahlung. "Wir brauchen mehr Arbeitskräfte in der Pflege", so Hartdegen. "Die Politik hat zu langsam gehandelt", fügte der Grünen-Landtagsabgeordnete Felix Martin hinzu. Er bemängelte die Arbeitsbedingungen in der Pflege. "Alleine mit deutschen Arbeitskräften bekommen wir die Situation nicht in den Griff", so Martin. Laut ihm sollten gesetzliche und private Pflegeversicherung zusammengelegt werden. "Ich wünsche mir kein profit-orientiertes Handeln in der Pflege." Er hoffe, dass das Bewusstsein für die Problematik gestärkt werde. "Die Lösungen, die die Politik bisher angeboten hat, reichen nicht aus", so Martin.

"Sie haben mich wachgerüttelt"

"Es hat mich betroffen gemacht, dass Pflegekräfte sich selbst Sorgen darüber machen, wo sie im Alter Hilfe bekommen", sagte die Landtagsabgeordnete Lena Arnold (CDU). Das Schulgeld in der Ausbildung müsse abgeschafft werden und die Politik müsse praxistauglichere Lösungen finden - "gemeinsam mit den Mitarbeitenden". "Sie haben mich sehr wachgerüttelt", so Arnold. "Die Pflege muss grundsätzlich verändert werden", fügte die CDU-Landtagskandidatin und gelernte Krankenschwester Stefanie Klee, die derzeit selbst ein Pflegeheim in Hünfeld leitet, hinzu.

Der Erste Kreisbeigeordnete Dirk Noll glaubt daran, dass Veränderungen auf dem Pflegesektor herbeigeführt werden könnten. "Wir als Landkreis haben nicht allzu große Möglichkeiten, aber wir stehen an der Seite der Pflegenden", schaute er dennoch optimistisch in die Zukunft. Bei einem Treffen ambulanter Pflegedienste, das der Kreis organisiert hatte, seien allerdings nur sechs von insgesamt rund 20 Diensten gekommen.

"Die Pflege ist kein Nischenthema", so Bischöfin Hofmann. Es sei ein "absoluter Teufelskreis": "Je mehr wir über die Probleme in der Pflege reden, um darauf aufmerksam zu machen, desto weniger Menschen entscheiden sich, in diesem Beruf zu arbeiten." Die "ökonomisierte Pflege" sei ein Problem und die Einstellung ausländischer Fachkräfte ein "Notnagel". "Die Zuwendung zum ganzen Menschen muss wieder möglich sein. Letztendlich geht es darum, dass Menschen sich um Menschen kümmern", sagte Bischöfin Hofmann zum Abschluss. (Christopher Göbel) +++

Plenum der Gesprächsrunde von Kirche, Pflege u dPolitik am Freitag n Bad Hersfeld. ...

Stefan Gunkel, Geschäftsführer der Gemeinde-Diakoniestation Bad Hersfeld.

Diakonie-Vorsitzender Pfarrer Thomas Funk.

Im Gespräch: Erster Kreisbeigeordneter Dirk Noll, Pfarrer Thomas Funk, die SPD-Landtagsabgeordnete ...

Bischöfin Hofmann mit den Pflegekräften Karin Henning und Anke Bock (von links). ...


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