Archiv
Verbot in Abitur und anderen schulischen Abschlussprüfungen - Harsche Kritik
26.03.24 - Viele Menschen haben sich das Gendern in Wort- und Schriftsprache in den vergangenen Jahren angewöhnt. In Texten - vor allem von Schulen und Hochschulen - liest man oft von Lehrer:innen, Berater_innen oder Professor*innen. Nun aber hat das Hessische Kultusministerium mit Kultusminister Armin Schwarz (CDU) ein Verbot des Genderns in den anstehenden Abiturprüfungen sowie Abschlussprüfungen in Haupt- und Realschulen erlassen. Dafür gibt es harsche Kritik aus der Opposition.
Bereits im November des vergangenen Jahres hatten die Koalitionsparteien CDU und SPD ein Genderverbot in öffentlichen Einrichtungen, Universitäten und Schulen einführen wollen (O|N berichtete). Der Beschluss orientiere sich am "Rat der deutschen Rechtschreibung" und dessen Empfehlungen. Genau das wird auch jetzt als Begründung für das Genderverbot angeführt. Das Auslaufen einer Corona-Ausnahmeregelung sei ursächlich dafür, nun die Empfehlung des Rates umzusetzen. Gendersternchen, -Doppelpunkte oder Unterstriche würden das Geschriebene schlechter lesbar machen und seien im Hinblick auf Spracherwerb und Barrierefreiheit problematisch.
Im Februar hatte Wissenschaftsminister Timon Gremmels (SPD) auf eine Anfrage aus der Opposition im Landtag gesagt, dass die Landesregierung kein "Verbot", sondern lediglich eine "Klarstellung" plane, die Rechtssicherheit beim Thema Gendern schaffen solle.
"Durchführungshinweise"
Das Kultusministerium hat kürzlich Durchführungshinweise für die diesjährigen Abschluss- und Abiturprüfungen an die Schulen versandt. Danach werde das Gendern mit Sonderzeichen in den schriftlichen Abschlussprüfungen an Haupt- und Realschulen sowie den Abiturprüfungen bereits in diesem Jahr als Fehler gewertet. Dies kann den Fehlerquotienten in den Abschlussarbeiten erhöhen und somit eine schlechtere Benotung nach sich ziehen."Wir haben, Stand jetzt, noch keinen Erlass vom Kultusministerium erhalten", so Karsten Backhaus, Schulleiter der Modellschule Obersberg (MSO) in Bad Hersfeld im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS. In Schleswig-Holstein beispielsweise gelte, dass in Abiturprüfungen das erste Gendern als Fehler gewertet würde, alle weiteren Gender-Formulierungen dann als Folgefehler. "Folgefehler werden dann nicht mehr einzeln als Fehler gewertet. Wer also 50-mal gendert, bekommt nur einen Fehler angestrichen", so Backhaus. Das hätte dann so gut wie keine Auswirkungen auf den Fehlerquotienten. "Nach Rücksprache mit dem Studienleiter Klaus Riedel würden wir das auch so handhaben - sollte kein anderer Erlass des Kultusministeriums eintreffen." Die schriftlichen Abiturprüfungen an der MSO beginnen kurz nach den hessischen Osterferien.
Was ist "Gendern" eigentlich?
Wer sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt hat: Gendern nennt man die Schreibweise von Nomen in weiblicher, männlicher und diverser Form gleichermaßen. Üblicherweise wird das in der deutschen Sprache als "Lehrer:innen", "Lehrer*innen" oder "Lehrer_innen" verwendet. Es gibt auch die Möglichkeit, eine (soziale) Geschlechtszuordnung zu umgehen ("Lehrende", "Studierende") oder es komplett auszuschreiben: "Lehrerinnen und Lehrer". Dabei - so die Debatte - würden Menschen, die sich keinem (sozialen) Geschlecht zugehörig finden (Diverse) allerdings ausgeklammert. Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich sollen auch die diversen Menschen ansprechen.Kritik aus der Opposition Julia Herz, Mitglied im schulpolitischen Ausschuss der Grünen-Fraktion im Hessischen Landtag, sagt: "Die Landesregierung verunsichert mit dieser Entscheidung die Abiturient*innen in der für sie ohnehin schwierigen Prüfungsphase. Man kann nicht kurz vor den Prüfungen die Regeln ändern. Das ist reine Ideologie und Kulturkampf auf dem Rücken der Abiturient*innen im Prüfungsstress. Denn ganz offensichtlich geht es bei der Sanktionierung einer bewussten und schlüssigen Verwendung der Gendersprache durch junge Erwachsene nicht um die Korrektur von Rechtschreibfehlern, sondern um eine politisch motivierte Sanktionierung einer gesellschaftspolitischen Haltung".
Hessen gehe mit dieser Regelung sogar noch über Bayern hinaus. Dort habe man erkannt: "Weder durch das Gendern noch durch das Nicht-Gendern darf Schüler*innen ein Nachteil entstehen. Dass die Koalition aus Markus Söder und Hubert Aiwanger umsichtiger handelt als die Koalition von Boris Rhein und Kaweh Mansoori, ist unfassbar", so Herz weiter.
"Keine selbsternannte Sprachpolizei" Auch die Linke Hessen kritisiert das vom Kultusministerium erlassene Verbot für Sonderzeichen zum Gendern in Abiturprüfungen aufs Schärfste. Jakob Migenda, Landesvorsitzender Der Linken erklärt: "Anstatt die wirklichen Probleme für die Schüler:innen wie marode Schulgebäude, Wissensdefizite und psychische Gesundheit anzugehen, belastet die Landesregierung Schüler:innen vor dem Abitur mit unsinniger Verbotspolitik und droht sogar mit schlechten Noten. Ein unfassbarer Vorgang, der rechter Ideologie Vorschub leistet. Verbote kommen in Wahrheit nicht von links, sondern von rechts, wie man an Söder sieht. Eine selbsternannte Sprachpolizei ist das letzte, was Schüler:innen aktuell brauchen."
Myriam Kaskel aus dem Landesvorstand der Linken ergänzt: "In den meisten Bildungsmaterialien wie von der Bundeszentrale für Politische Bildung ist Gendern gang und gäbe. Sollen solche Materialen in Schulen nun nicht mehr verwendet werden? Von der CDU war es nicht groß anders zu erwarten. Aber dass die SPD trotz gegenteiliger Behauptungen von Herrn Gremmels in diese Steinzeitpolitik einsteigt, ist jämmerlich. Stattdessen sollte er sich um wichtige Gleichstellungspolitik im Bereich Bildung und Beruf kümmern wie gender pay Gap, Karriereförderprogramme für Frauen oder Mutterschutz für Politiker:innen." (cdg) +++