Berufungsverhandlung wegen Körperverletzung am Landgericht Fulda - Fotos: Rene Kunze

FULDA Beide Seiten legten Berufung ein

Neuer Prozess zu Schussabgabe in der St. Josephskirche - Opfer unter Schock

25.07.24 - "Der Mann kam in die Kirche und zielte mit einer Pistole in unsere Richtung. Als er schoss, fiel ich vom Stuhl und dachte, ich wäre tot", berichtet eine der beiden Zeuginnen. Obwohl der Vorfall über ein Jahr her ist, sieht man ihr an, wie sehr sie das Geschehen bis heute aufwühlt. "Das schlimmste war, dass mein kleiner Sohn, der mit in der Kirche war, das miterleben musste. Die Sache belastet mich bis heute, besonders wenn ich jetzt erneut vor Gericht aussagen muss", berichtete sie am Mittwoch vor dem Landgericht. "Am liebsten würde ich nie mehr nach Fulda kommen", sagt die 38-Jährige, die aus Groß-Umstadt kommt.

Bei der Berufungshauptverhandlung vor der 3. Strafkammer des Landgerichts Fulda muss sich ein 54-Jähriger aus Fulda erneut wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer Schusswaffe in Tateinheit mit der Störung der Religionsausübung verantworten. Ihm wird vorgeworfen, am 09.07.2023 gegen 2:25 Uhr in stark alkoholisiertem Zustand in den Räumen der katholischen St. Joseph-Kirche in Fulda während eines Gottesdienstes der eritreisch-orthodoxe Kirchengemeinde "Kidanemhret Tewado" mit einem mitgebrachten geladenen Schreckschussrevolver aus Hüfthöhe einen Schuss in Richtung der im Vorraum sitzenden, etwa zwei Meter entfernten Geschädigten abgegeben zu haben. Hintergrund der Tat war seiner Aussage nach seine Verärgerung über den "Lärm" den die Gottesdienstbesucher bis in die Nacht verursacht hatten. Die lauten Gebete und der von Trommeln begleitete Gesang habe ihn in seiner Nachtruhe gestört, gab er an. "Ich wollte denen mal zeigen, dass ich auch Krach machen kann", gab er vor Gericht als Begründung für seine Schussabgabe an.

Vorsitzender Richter Dr. Jochen Müller und die beiden Schöffen

Staatsanwältin

Hier in der St. Josefs Kirche hat der Angeklagte mit einem Schreckschussrevolver geschossen ...

Die beiden betroffenen Frauen in dem kleinen Vorraum der Kirche hatten nach der Schussabgabe auch über Atemwegsbeschwerden, Schmerzen beim Schlucken und tränende Augen geklagt. Laut Anklage hätten beide Geschädigte sowie mindestens ein weiterer Gottesdienstbesucher bis heute psychische Probleme wegen der Tat.

Der Angeklagte war vom Amtsgericht Fulda im Februar bereits wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit dem unerlaubten Führen einer Schusswaffe zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Die Vollstreckung der Strafe war zur Bewährung ausgesetzt worden. Trotz der vergleichsweise milden Strafe hatte der 54-Jährige Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt und hofft auf eine reine Geldstrafe, während die Staatsanwaltschaft, die ebenfalls Berufung eingelegt hatte, auf ein höheres Strafmaß wegen Störung der Religionsausübung abzielt.

Der 54-Jährige und sein Verteidiger Rechtsanwalt Rudi Karras

Richter Dr. Jochen Müller musste die Verhandlung neu aufrollen und sieben Zeugen befragen, die schon im ersten Prozess ausgesagt hatten. Weil in der Wohnung des 54-Jährigen nach der Tat diverse "NPD-Devotionalien", Hakenkreuze, "Ausländer-raus"- und "Zecken-raus"-Aufkleber, ein Antrag auf NPD-Mitgliedschaft, Bettwäsche mit einer Germania und eine Reichskriegsflagge sichergestellt worden waren, lag ein fremdenfeindliches Motiv der Tat nahe. Die Schwester und eine Bekannte des Angeklagten, die mit ihm gemeinsam im Garten waren, wollen die Geräuschkulisse des Gottesdienstes zwar wahrgenommen haben ("Es klang so komisch, wie Indianergeheul! Wie bei einer Gehirnwäsche"), seinen Ärger darüber aber nicht. "Der wollte nur seine Ruhe haben." Auf Nachfrage erklärte die Bekannte: "Wie viele AfD-Wähler findet er halt nicht alles toll, was hier so läuft".

"Einschlägig bei der Polizei bekannt!"

Ein rassistisches Motiv bestritt der sonst eher wortkarge 54-Jährige aber vor Gericht. Er habe ja gar nicht gewusst, wer den Lärm in der Kirche mache, behauptete er wenig glaubwürdig. Denn auch in der Vergangenheit hat die eritreisch- orthodoxe Gemeinde in St. Joseph schon ihre Gottesdienste gefeiert. Dass der am 8. Juli letzten Jahres die ganze Nacht durch bis zum nächsten Morgen zelebriert wurde, hatte den Hintergrund, dass der Empfang einer geweihten Bundeslade der Mutterkirche gefeiert wurde. (Die eritreischen orthodoxen Christen glauben, dass die israelitische Bundeslade mit den Original-Gesetzestafeln vom Berg Sinai nach Äthiopien gebracht wurde und dort bis heute aufbewahrt wird. Eine Kopie der Bundeslade befindet sich in jeder eritreischen Kirche.)

Bei der Vernehmung eines Polizeibeamten der Abteilung Staatsschutz stellte sich heraus, dass der nicht vorbestrafte Angeklagte dort gleichwohl wegen seiner rechtsextremen Gesinnung und entsprechender Aktivitäten einschlägig bekannt war. Weil dem Gericht diese Tatsache ebenso unbekannt war wie der Staatsanwältin und dem Verteidiger, beantragte dieser eine Vertagung der Verhandlung und stellte gleich noch einen neuen Beweisantrag. Das Gutachten eines Sachverständigen soll klären, warum die beiden Opfer über Halsschmerzen und Augenbrennen geklagt hatten, was mit dem Abschussgeschehen beim Abfeuern einer Schreckschusspistole nicht vereinbar sei.

Die Verhandlung wird am Freitag um 9 Uhr fortgesetzt. (ci)+++


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