Landrat Bernd Woide: "Wir lassen diese jungen Menschen nicht allein"
07.09.24 - Neun Jahre nach dem Start der Martin-Luther-Schule am Petersberg ist das schulische Förderangebot für Kinder mit psychischen Erkrankungen umgezogen: Der Landkreis Fulda hat auf dem Areal des Kompetenzzentrums für Sprache und Erziehung ein Schulgebäude errichtet, um dem steigenden Bedarf Rechnung zu tragen.
"Der Landkreis Fulda baut das schulische Angebot für Kinder und Jugendliche aus, die aufgrund einer psychischen Erkrankung das Lerntempo der Regelschule nicht mitgehen können. Wir lassen diese jungen Menschen nicht allein, sondern fördern sie, um sie stark zu machen. Die Investition von rund 3,3 Millionen Euro ist wichtig und richtig", sagt Landrat Bernd Woide.
"Das Gebäude wurde nach modernsten Standards errichtet", sagt Jürgen Obermeier, Leiter des Fachdienstes Gebäudemanagement beim Landkreis Fulda. Zudem wurden erstmals zwei Strohwände eingebaut, um zu eruieren, wie sich dies energetisch und auf das Raumklima auswirkt. Vorausgegangen waren intensive Gespräche mit der Schule, dem Staatlichen Schulamt und dem Architekten Markus Best aus Künzell, um die spezielle Konzeption der Schule zu berücksichtigen.
Fokus liegt auf Genesungsprozess
Von dieser ist auch Fuldas Bürgermeister Dag Wehner überzeugt: "In der Martin-Luther-Schule liegt der Fokus in erster Linie auf dem Genesungsprozess der Kinder und Jugendlichen. Die individuelle Förderung verschafft ihnen Luft für ihre persönliche Entwicklung und wichtige Erfolgserlebnisse, die sie zusätzlich in ihrer Selbstwirksamkeit stärken, um ihre Möglichkeiten zu erkennen. Das ist ein wirksamer und klar strukturierter Ansatz, der die jungen Menschen annimmt und ihnen beim Wachsen beisteht."Bereits im Jahr 2015 hatte die Martin-Luther-Schule (MLS) Buseck in Kooperation mit Projekt PETRA, einem privaten Träger in der Kinder- und Jugendhilfe, eine Außenstelle in Petersberg eröffnet und damit eine Versorgungslücke geschlossen. Damals startete die erste Schule mit dem Förderschwerpunkt kranke Schülerinnen und Schüler im Landkreis Fulda mit zwei Klassen. Schon bald war erkennbar, dass der Bedarf für eine temporäre Beschulung für Kinder etwa nach einem Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie oder ähnlichen Einrichtungen mittelfristig wachsen würde. Entsprechend verfügt nun das neue Schulgebäude über vier Klassenräume für zwei Grundstufen (Klassen 1-2/3 sowie 3-4/5), eine Mittelstufe (Klassen 5-7) und eine Hauptstufe (Klassen 7-9/10).
Bis zu 28 Kinder und Jugendliche werden dort unterrichtet – und überdies sozialpädagogisch, psychologisch und psychiatrisch von einem multiprofessionellen Team betreut, wie die Standortleitung, Sozialpädagogin B.A. Lorena Diegelmann und Pädagoge Thomas Hämel, erläutern. Die Räumlichkeiten sind abgestimmt auf die Herausforderungen, die die Arbeit mit Schülerinnen und Schüler mit Diagnosen wie Autismus-Spektrum-Störungen, Angst- und Zwangsstörungen, Persönlichkeitsstörungen oder Psychosen mit sich bringen.
Gruppenräume und Auszeitraum
"Die klassische Aufteilung von Klassenräumen und Verwaltungstrakt wird ergänzt durch Gruppenräume und einen Auszeitraum", sagt Thomas Hämel. Die Klassenräume sind klein und gemütlich und bieten zudem spezielle Rückzugsbereiche, wenn Kinder ungestört sein möchten. "Die Räumlichkeiten machen viele unterschiedliche Arbeitsformen möglich. Das ist für unsere Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern sehr wichtig", schildert Lorena Diegelmann. "Hilfreich ist es vor allem angesichts der Herausforderung, möglichst jeden und jede entsprechend dem jeweiligen Level und individuellen Tempo weiterzubringen – zumal in jeder Klasse Kinder aus zwei bis drei Klassenstufen gemeinsam lernen", ergänzt Thomas Hämel.Das Lernkonzept basiert daher auf Wochenplänen: Jeder Schüler und jede Schülerin erhält individuell pro Stunde das Pensum, von dem die Lehrkraft ausgeht, dass er oder sie es schafft. "Auf diese Weise wird jeder sehr speziell gefördert und unterstützt – ohne den Klassenverbund in seiner Gesamtheit zu bremsen: Wenn ein Kind zwischendurch eine Auszeit braucht, dann können die anderen dennoch weitermachen. Man geht nicht im Gleichschritt", beschreibt es Thomas Hämel. "Das ist vor allem auch im Hinblick darauf wichtig, dass in den Klassen nicht nur verschiedene Altersstufen zusammen sind, sondern auch unterschiedliche Bildungsgänge", ergänzt Lorena Diegelmann.
In der MLS werden nicht nur die üblichen Fächer unterrichtet. Hier steht auch Soziales Kompetenztraining auf dem Stundenplan – "mal geht es um Ausgrenzung, mal um Gefühle, je nachdem, was die Schülerinnen und Schüler gerade besonders beschäftigt", sagt die Sozialpädagogin. Und auch der Unterricht ist abwechslungsreich. Im Juni war die Mittelstufe auf dem Erdbeerfeld und hat nachher Marmelade gekocht. "Solche Unternehmungen sind wichtig", sagt Hämel: "Die Kinder haben in ihrem jungen Leben schon viele Misserfolge und daraus erwachsende Frustrationen erfahren. Wir lassen sie erleben, dass sie Dinge können und dass es sich lohnt, sich auf etwas Neues einzulassen. Sie sollen gern hierherkommen, Lust haben, sich einzubringen und dabei ihre Stärken entwickeln und erkennen."
Ziel ist die Rückkehr zur Regelschule
Nicht nur darin unterscheidet sich der Unterricht im Vergleich zur Regelschule, von der die Kinder auf die Martin-Luther-Schule gewechselt sind – weil sie sich verweigerten, vielleicht aufsässig waren, wegen ihrer Erkrankungen den Anschluss verpassten. Jedes Kind hat eine entsprechende Diagnose, bevor eine Aufnahme in der Martin-Luther-Schule erfolgt. "Aber das Ziel ist es, die Kinder wieder in ihre Regelschule zurückzuführen", sagt Thomas Hämel. Alle involvierten Stellen arbeiten zusammen, um individuelle Förderpläne zu entwickeln und umzusetzen – damit die Kinder gut in der MLS ankommen und sich einfinden können, damit sie ihre Möglichkeiten erkennen, ihr Tempo finden und im Lernen Freude und Nutzen erleben. All das bereitet im Optimalfall den Boden für einen Re-Start in der Regelschule.Wie lange das dauert, ist so individuell wie es die jeweiligen Diagnosen sind. In der Mehrzahl müssen die Schülerinnen und Schüler schließlich auch lernen, mit ihrer Beeinträchtigung zu leben. "Das ist nicht mit acht Wochen bei uns getan", sagt Lorena Diegelmann: "Manche Kinder sind nach anderthalb Jahren soweit, manche brauchen vielleicht fünf Jahre dafür." Wobei die MLS nicht nur den Schulabschluss im Fokus hat, sondern auch den anschließenden Weg in die Ausbildung. "In Fulda sind die Strukturen dafür sehr gut", loben Diegelmann und Hämel die vorhandenen Netzwerke in der Region, die ebenfalls wichtig dafür sind, den Kindern und Jugendlichen schließlich auch eine berufliche Zukunft zu ermöglichen.
INFO-BOX: Die Martin-Luther-Schule Buseck ist die Stammschule in Trägerschaft des Vereins für Jugendhilfen Leppermühle e.V., und sie hat neben der Außenstelle Petersberg/Fulda weitere in Laubach und Butzbach. Aktuell werden insgesamt rund 250 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Tätig sind etwa 50 Lehrerinnen und Lehrer sowie 25 Sozialpädagoginnen und -pädagogen. Das Projekt PETRA aus Schlüchtern ist ein privater Träger in der Kinder- und Jugendhilfe mit einer fast 50-jährigen Tradition. Es beschäftigt rund 380 Mitarbeitende an verschiedenen Standorten in Hessen und deckt einen großen Teil der Angebote in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und ihren Familien ab. Praxis, Forschung und Beratung arbeiten Hand in Hand, um den Kindern und Jugendlichen schnell Lösungen anzubieten und gemeinsam Perspektiven zu schaffen.
Das hiesige Angebot richtet sich an Schülerinnen und Schüler aus Stadt und Landkreis Fulda, die etwa aufgrund eines vorangegangenen Aufenthalts in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie eine öffentliche Schule noch nicht besuchen können. Ziel ist es, die Kinder und Jugendlichen individuell zu fördern und sie stark zu machen, um wieder in die Regelschule zurückzukehren. An der MLS ist es auch möglich, einen Haupt- oder Realschlussabschluss sowie einen berufsorientierten Abschluss zu machen. (pm) +++