Das Online-Meldeportal "Hessen gegen Hetze" steht in der Kritik. Jetzt kündigt Hessens Innenminister Roman Poseck eine Reform an. - Foto: picture alliance/dpa | Boris Roessler

WIESBADEN Über das Ziel hinaus geschossen

Spitzel-Portal? Innenminister Poseck: "Hessen gegen Hetze wird jetzt reformiert!"

02.11.25 - "Du hast es verdient, vergewaltigt und getötet zu werden ..." - "Juden sind nichts als Parasiten." - "Eine Kugel für Merz ist ein Schritt in die richtige Richtung." - "Noch in diesem Jahr muss der ganze links-grüne Rotz erschossen werden." - "Gut, dass dieses Schwein, das unser Land an die Invasoren verschenkt hat, erschossen wurde." - "Die Scheißjuden sollen da bleiben, wo sie sind. Sie sind noch schlimmer wie Adolf Hitler."

Nach der Hausdurchsuchung beim Welt-Kolumnist Norbert Bolz muss sich Innenminister ...Fotos: Christian P. Stadtfeld

Hass-Kommentare, wie die oben genannten sechs Real-Beispiele, sind in der Vergangenheit bei der Online-Meldestelle "Hessen gegen Hetze" eingegangen - und wurden anschließend strafrechtlich verfolgt. Jetzt steht das Portal, das als Reaktion nach dem rechtsextremen Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke im Juni 2019 von der damaligen schwarz-grünen Landesregierung installiert wurde, heftig in der Kritik. Denn über die Meldestelle, die beim Hessischen Ministerium des Innern, für Sicherheit und Heimatschutz in Wiesbaden angesiedelt ist, sind Hinweise an das Bundeskriminalamt (BKA) und dann an die Berliner Justiz weitergeleitet worden, die schließlich eine Hausdurchsuchung beim bekannten Welt-Kolumnisten Norbert Bolz veranlasst hat. Der Verdacht: Volksverhetzung!

Ein Fall, der weiter für Aufruhr sorgt - Kritiker sprechen von Denunziation, Einschüchterung durch den Staat und sogar "Stasi-Methoden". Während die AfD und die FDP in Hessen die Abschaffung der Meldestelle fordern, wollen die Grünen das Portal weiter stärken.

Von einem "Spitzel-Portal" will Poseck nichts wissen: "Das ist völlig unangemessen." ...

Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) stellt sich im OSTHESSEN|NEWS-Gespräch der Kritik, nimmt sie ernst und betont: "Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Neuausrichtung der Meldestelle: Aufgaben und die Arbeitsweise passen heute nicht mehr. Sie werden von uns daher auf den Prüfstand gestellt." Das sei zwar nicht mit einem Federstrich des Ministers getan, aber "ich erwarte in wenigen Wochen eine Reform". Über 90 Prozent der Anzeigen, die bei der Meldestelle "Hessen gegen Hetze" eingehen, stammten nicht aus Hessen. "Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, ob wir von Hessen aus für ganz Deutschland zuständig sein wollen. Nach der Ermordung von Walter Lübcke gab es gute Gründe für die weitreichende Zuständigkeit. Heute ist die Welt aber eine andere. Auch in anderen Bundesländern haben die Behörden entsprechende Angebote aufgebaut. Strafverfolgungsbehörden sind deutschlandweit in der Regel online erreichbar. Ich kann mir daher gut vorstellen, die Zuständigkeit ausschließlich auf unser Bundesland zu begrenzen."

Zwar habe das Team von "Hessen gegen Hetze" im Fall Bolz zunächst vertretbar gehandelt, denn der Post 'Deutschland erwache' sei nach geltender Rechtsprechung eine Nazi-Parole und strafbar, so der Minister.

Was dann passierte, sieht Roman Poseck allerdings sehr kritisch: "Die Berliner Justiz ist hier nach meiner Auffassung über das Ziel hinaus geschossen. Die nähere Abwägung, auch im Kontext von Meinungsfreiheit und Satire, ist ausschließlich Sache der Justiz. Auch aus meiner persönlichen Sicht als ehemaliger Richter hätte die Berliner Justiz anders agieren, die Äußerung stärker in den Gesamtkontext stellen und damit auf eine Durchsuchung verzichten können", so der CDU-Innenminister, der zuvor hessischer Justizminister und davor Präsident des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main war.

Hier sitzt die Meldestelle "Hessen gegen Hetze". Foto: Hessisches Innenministerium

Roman Poseck: "Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Neuausrichtung der Meldestelle." ...

Exklusiv-Gespräch im 9. Stock des Ministeriums: Innenminister Poseck stellte sich ...

Die Meldestelle, ein "Spitzel-Portal"? Poseck: "Völlig unangemessen!"

Die Meldestelle "Hessen gegen Hetze" ist am 16. Januar 2020 ans Netz gegangen. Seitdem sind rund 85.000 Meldungen eingegangen. 27.000 wurden wegen potenziell strafrechtlicher Relevanz an das BKA und knapp 14.000 an die Zentralstelle für Internetkriminalität (ZIT) bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main weitergeleitet. "Dennoch sehe ich es nicht als notwendig an, dass wir weiterhin eine Service-Dienstleistung für die gesamte Bundesrepublik übernehmen", betont der Innenminister, der von jährlichen Kosten - vorwiegend für die etwa zehn Mitarbeiter - in Höhe von rund 1 Mio. Euro spricht.

Von einem "Spitzel-Portal" will Poseck aber nichts wissen. "Das ist völlig unangemessen. Hier geht es nicht um Denunziantentum", macht Roman Poseck gegenüber OSTHESSEN|NEWS klar. "Wer sich innerhalb der Meinungsfreiheit bewegt, selbst mit streitbaren oder geschmacklosen Aussagen, hat überhaupt nichts zu befürchten. Wir haben ein breites Spektrum an Meinungsfreiheit." Bei der Meldestelle würden dennoch viele "unerträgliche und eindeutig strafbare Inhalte" eingehen: "Hier geht es um die Durchsetzung des Rechtsstaats und den Schutz von Betroffenen. Das ist unsere Aufgabe als Staat und das hat nichts mit Denunziantentum zu tun."

Innenminister hat aus den Medien vom Fall Bolz erfahren

Poseck selbst hat von dem Fall Bolz aus den Medien erfahren: "Wer glaubt, dass der Minister ...

Poseck selbst hat von dem Fall Bolz aus den Medien erfahren. "Wer glaubt, dass der Minister an Fällen der Meldestelle persönlich mitwirkt, liegt völlig falsch, denn ich bin in das operative Geschäft überhaupt nicht eingebunden", stellt der CDU-Innenminister klar. "Die Meldestelle entscheidet anhand der vorliegenden Fakten eigenständig." Ins Rollen gebracht, hat "Hessen gegen Hetze" auch den Schwachkopf-Fall, bei dem ein Mann aus Bayern den damaligen Bundeswirtschaftsminister und Ex-Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) beleidigt hatte. Auch damals war eine Hausdurchsuchung die Folge. Die Justizbehörden erklärten allerdings im Nachgang, dass mehrere Fälle gleichzeitig zu der Maßnahme geführt hatten. Poseck dazu: "Ich persönlich habe bisher nur sehr wenige Beleidigungen meiner Person zur Anzeige gebracht. Der Ton ist rauer geworden, aber als Minister muss ich das eben aushalten."

Wie geht es nun weiter mit der Meldestelle? Die von Innenminister Poseck angekündigte Reform ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings sollten die Hinweise nicht nur anhand eines Strafkatalogs geprüft, sondern immer auch in den Gesamtkontext gestellt und bewertet werden. Bei einer Abschaltung von "Hessen gegen Hetze" würden tausende Hinweise auf antisemitischen Hass, Mordaufrufe und andere schwerwiegende Hetze unbeachtet einfach verloren gehen. Das kann auch nicht im Sinne des Rechtsstaats sein. Fakt ist aber auch: Die erwartete Wirkung hat das Portal nicht gebracht. Hass und Hetze im Netz sind allgegenwärtig - Tendenz leider steigend. (Christian P. Stadtfeld) +++


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