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Ein Tag, der in die Geschichte Fuldas eingegangen ist: Neonazis vor dem Fuldaer Dom im August 1993 - Martin Angelstein

Er leidet noch heute darunter: der ehemalige Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Hamberger vor wenigen Tagen ........ - Martin Angelstein

24.11.03 - Fulda

Eine Stadt wehrt sich gegen "braunes Image" - und ein Ex-OB "leidet"

Von Nicht-Hessen wird das 65.000 Einwohner zählende Fulda oft in Bayern vermutet: die Dauerregierung der CDU und Erzbischof Dyba stehen unverrückbar für tiefschwarze Verhältnisse. Immer wieder - und vor allem jetzt - wird Fulda und seine Bewohner aber weit rechterer Ambitionen verdächtigt - zu Unrecht: christlich-jüdische Beziehungen haben hier Traditon.

Die grässlichen Bilder gingen im heißen August 1993 um die ganze Welt: Ein nicht endender Zug von Neonazis marschiert durch Fulda und baut sich frech und provozierend auf dem Domplatz zu einer lärmenden Kundgebung für ihren "Märtyrer" Rudolf Hess auf - unbehelligt von Polizei oder Protest. Bis heute wirkt der Eindruck dieser Bilder im Gedächtnis nach und verbindet sich bei vielen außerhalb der Barockstadt mit einem nachhaltig rechtslastigen Image Fuldas.

Konnte eine solche Kundgebung der Ewig-Gestrigen Zufall sein - oder kam sie den Einwohnern im Gegenteil "wie gerufen"? Einer, der am 14. August heute vor zehn Jahren angesichts des von 500 Nazis besetzten Domplatzes restlos schockiert reagierte, war der damalige Oberbürgermeister Wolfgang Hamberger. Ihn erreichte die Nachricht von der braunen Invasion völlig unvorbereitet. Soeben aus dem Urlaub gekommen, stürzte er zum Ort des Geschehens und hatte - nach seinen Worten - die Katastrophe vor Augen. "Ich bin erschüttert über diese Beleidigung der Bürgerschaft, die Schande für den Geist und die Kultur dieses Platzes und den schweren politischen Schaden für Fulda", schreibt er in seinen Erinnerungen an seine 28-jährige Dienstzeit als OB.

"Am Tiefpunkt" ist das Kapitel über Ereignisse dieses Tages überschrieben. Völlig unerträglich scheint Hamberger die Tatenlosigkeit der wenigen Polizeikräfte - er will selbst auf den Domplatz gehen und "aufräumen", wird aber belehrt, niemand könne dann für seinen Schutz garantieren oder eine Eskalation von Gewalt verhindern. Auch nachdem der Neonaziaufmarsch wie ein Spuk wieder abgezogen ist, bleibt die bundesweite Aufregung über den irreparabeln Reputationsverlust deutschen Ansehens im Ausland und laute Rücktrittsforderungen an den OB.

Niemand will so recht glauben, dass der Kundgebungsantrag einer "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei", der - unübersehbar - "mit deutschem Gruß" unterzeichnet ist, unbeachtet in der "Wiedervorlage" landete. "Fuldas Stadtverwaltung im Dornröschenschlaf", lautete eine der harmlosesten Vorwürfe.Hamberger wartet nicht, bis er entsetzte Reaktionen aus Israel auf die schockierenden Bilder bekommt - er schreibt einen Rundbrief über die Ereignisse und seine Empörung und schickt ihn an die ehemaligen Mitglieder der jüdischen Kultusgemeinde Fuldas, die in der Nazizeit in alle Welt vertrieben wurden.

Schon kurz nach seinem Amtsantritt 1970 hatte er begonnen, deren Schicksal zu erruieren, war nach Israel gereist und hatte nach langer Recherche über 170 aktuelle Adressen gesammelt. Seither schreibt er mehrmals im Jahr einen Rundbrief an die ehemaligen Fuldaer Juden, deren Kinder und Enkel und berichtet aus der alten, unfreiwillig verlassenen Heimat. Von diesen Aktivitäten wissen nur wenige, Hamberger findet diese Art der Kontaktpflege selbstverständlich. Dagegen möchte er vor allem der jungen Generation in Fulda bewusst machen, dass es einmal eine lebendige und starke jüdische Gemeinde in der Domstadt gab: in seiner Amtszeit werde die Gräber auf dem jüdischen Friedhof dokumentiert, die ehemaligen Straßenbezeichnungen wie Judengasse wieder aufgenommen.

"Aus dem Terror, den die nationalsozialistische Gewalt gegen Juden ausgeübt hat, muss es für uns immer wieder eine Nach-Erschütterung geben, die uns befähigt, überzeugend das "nie wieder" als Verpflichtung weiter zu geben", ist seine Überzeugung. Hambergers Investition in den "Brückenschlag" zu den Opfern des NS-Regimes hat ihren Höhepunkt mit der Einladung aller in der Welt verstreut lebenden Fuldaer Juden, auf Kosten der Stadt im Mai 1987 zur Einweihung des neuen jüdischen Gemeinde- und Kulturzentrum mit Synagoge nach Fulda zu kommen.

Die ehemalige jüdische Schule war auf einstimmigen Beschluss der Stadtverordneten für rund 1 Million Mark ausgebaut worden. Mit 320 Personen - 170 ehemalige Mitbürger und ihre Angehörigen - kam die größte jüdische Besuchergruppe, die seit Kriegsende in Deutschland war. "Es kam zu vielen bewegenden Szenen, denn die meisten der Besucher hatten sich auch untereinander seit der Emgration nicht wieder gesehen", erinnert sich Hamberger. Sie habe Angst vor der Begegnung mit der alten Heimat gehabt, sagte damals Steffi Wertheim-Freund - und sei trotzdem gekommen.

Es sei eine Art persönlicher Wallfahrt gegen den Stachel: "Denn ich liebe es nicht, zu hassen".So wie Hamberger sich seinerzeit nicht scheute, den Empfängern seines Rundbriefes die Bilder des Neonaziaufmarsch zu kommentieren, zögerte er jetzt nicht mit einer Stellungnahme zu den jüngsten Ereignissen, die Fulda einmal mehr in ein "rechtes" Licht rücken. Vor wenigen Tagen ging der Rundbrief Nr. 89 an seine Adressaten. Im Zusammenhang mit Jürgen Möllmann habe er zuletzt auf die besondere Schicksalsgemeinschaft von Deutschen und Juden hingewiesen, schreibt Hamberger.

Das Wissen um diese Tatsache gehöre zu den Fundamenten unserer sittlichen Existenz und dürfe niemals und von niemandem in Frage gestellt werden. Dies habe er leider aus aktuellem Anlass wiederholen müssen. Über die Rede Martin Hohmanns, den er persönlich als Christ kenne und der als solcher kein Antisemit sein könne und dürfe, sei er betroffen und tief traurig. "Der Holocaust darf in seiner einmaligen Grauenhaftigkeit nicht einmal in die Nähe eines Vergleichs gebracht werden. Das hätte er wissen müssen; dass es nicht so ist, schmerzt mich sehr", schreibt Hamberger.

Zur Tragik des Geschehens gehöre auch, dass ein Teil derjenigen, die Hohmann mangelnde Geschichtskenntnis vorwürfen, selbst histiorisch nicht im Bilde seien und Fulda als "braune Region" diffamierten. "Wir sind leidgeprüft", heißt es im neuesten Rundbrief.

Carla Ihle-Becker +++

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Historische Bilder, die auch ... - Martin Angelstein

...eine Mahnung für die Zukunft sein sollten ... - Martin Angelstein


Der "Brückenschlag" zu den ehemaligen Fuldaer Juden ist auf lange Sicht gesehen sicher eines der größten Verdiente Hambergers .... - Martin Angelstein

...auch damit nie wieder ... - Martin Angelstein


...die "brauen Horden" ungestraft .... - Martin Angelstein

...in der Stadt ihre Botschaften verkünden können .... - Martin Angelstein

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