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28.11.11 - FULDA

Weniger Freiheitsentzug in Pflegeeinrichtungen - Pilot-Projekt in Fulda

Derzeit kommt es in bundesdeutschen Pflegeheimen täglich zu etwa 400.000 freiheitsentziehenden Maßnahmen. Das heißt, alten Menschen werden Gitter ans Bett montiert, sie werden mit Bauchgurten, Gurten an Armen und Beinen fixiert, um zu vermeiden, dass sie aus dem Bett fallen und Knochenbrüche erleiden. Mit dem gleichen Ziel werden sie, in Rollstühlen sitzend, mit den Beinen unter Tischplatten geschoben und faktisch eingeklemmt. Die Folge ist, dass sich die Betroffenen – teils mehr als acht Stunden am Tag – nicht mehr frei bewegen können.

„Obwohl diese Maßnahmen meist zum Schutz und im Interesse der Betroffenen angewendet werden, führen sie häufig zu physischen und psychischen Folgeleiden. Dauerhafte Fixierungen sind oftmals mitursächlich dafür, dass sich das Gesamtbild des Patienten oder Heimbewohners dramatisch verschlechtert“, berichtet Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn. Der Trend der letzten zehn Jahre (2000 bis 2010) zeigt bundesweit eine Verdoppelung der richterlich erteilten Genehmigungen von freiheitsentziehenden Maßnahmen, nämlich von ca. 50.000 auf ca. 100.000 Genehmigungen pro Jahr.

Im Landkreis Fulda haben sich Vertreter der Betreuungsstelle, des Betreuungsgerichts und der Verfahrenspflege auf eine gemeinsame Initiative verständigt, um diesem Trend entgegenzutreten. Durch geänderte Verfahrensabläufe im gerichtlichen Genehmigungsverfahren und einem deutlichen Bekenntnis aller beteiligten Behörden und Berufsgruppen sollen die bestehenden Fixierungsautomatismen durchbrochen werden. Dabei soll künftig nach dem so genannten „Werdenfelser Weg“ vorgegangen werden.

Danach soll die pflegefachliche Beurteilung des Einzelfalls künftig noch stärker im Mittelpunkt des richterlichen Genehmigungsverfahrens stehen. Spezialisierte Verfahrenspfleger mit besonderen Kenntnissen in der Pflege werden vom Betreuungsgericht als Fürsprecher für den Betroffenen gerichtlich beauftragt. Behutsames Ausprobieren, partnerschaftlicher Informationsaustausch, echte Abwägungsarbeit und Einzelfallanalyse sollen dabei das Verfahren begleiten. „Moderne Niedrigflurbetten machen eine bodennahe Lagerung sturzgefährdeter alter Menschen möglich, sodass ihren so manches Bettgitter erspart bleiben kann. Es gibt Protektoren-Hüftgurte, oder Schutzmatten ähnlich der Bodenmatten im Turnunterricht, die Knochenbrüche und andere Verletzungen vermeiden können“, sagt Justizminister Jörg-Uwe Hahn: „Mittlerweile herrscht auch immer mehr Einvernehmen, dass eine Fesselung alter Menschen, auch wenn sie zu ihrem Schutz geschieht, mehr psychische Schäden anrichtet und im Ergebnis noch schlimmer sein kann als mancher Knochenbruch. Bei dementen Personen genügt es oft, ein möglichst vertrautes Umfeld zu schaffen, das Geborgenheit vermittelt und die inneren Spannungen abbaut.“

„Diese Erkenntnisse machen die Einzelfallentscheidung über die Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme nicht einfacher“, so Justizminister Jörg-Uwe Hahn: „Aber die Verantwortung für unsere alten Mitmenschen verlangt hohe Verantwortung und Sorgfalt. Der Verfahrenspfleger soll nun mit dem Betroffenen, den Angehörigen und dem Pflegeteam Maßnahmen erarbeiten, die neben höchstmöglicher Sicherheit den alten Menschen Bewegungsfreiheit und Lebensqualität bieten. Ziel ist es, zu einer gemeinsam getragenen Abschätzung zu kommen, wie im konkreten Fall das Sturz- und Verletzungsrisiko einerseits, die Folgen einer angewendeten Fixierung andererseits einzuschätzen sind. Dabei kann der Einsatz moderner pflegerischer Hilfsmittel Dauer und Umfang der Fixierung begrenzen oder diese ganz entbehrlich machen.“ Justizminister Jörg-Uwe Hahn: „Den Schwestern, Pflegern und den Heimbetreibern muss die Angst genommen werden, dass sich eine zunächst gewissenhafte Abwägung, wenn es doch zu einem Knochenbruch kommt, hinterher als scheinbar unverantwortlich erweist.“

Der „Werdenfelser Weg“ ist bereits Modellprojekt für gleichartige Initiativen in anderen Landkreisen in Deutschland und zu einem Synonym geworden für berufsübergreifende Ansätze zur Verringerung der Fixierung von alten Menschen. Das Projekt macht deutschlandweit Schule. In mehr als 20 Landkreisen und Städten bundesweit gehen die Gerichte mittlerweile diesen Weg. Fulda will als erster Landkreis in Hessen diesen Ansatz übernehmen und wird dabei durch das Hessische Ministerium der Justiz unterstützt, das die Schirmherrschaft für das Projekt übernommen hat.+++

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