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Der 30. Sargenzeller Früchteteppich - wieder eine wahre Sisyphusarbeit
26.07.17 - Es ist eine wahre Sisyphusarbeit, und dennoch machen die sieben reiferen Herrschaften, die da am Boden der alten Kirche im Hünfelder Stadtteil Sargenzell kauern (zwei aus der Gruppe fehlen an diesem Abend), einen ganz gelösten Eindruck. Es sind Ria Noll und ihre treuen Helfer, die derzeit den über die Grenzen der Region bekannten Früchteteppich verlegen, der vom 8. September bis zum 1. November wieder Zehntausende Besucher anlocken wird. Und das bereits zum 30. Mal.
Als die alte Kirche im Jahr 1987 wegen Baufälligkeit abgerissen werden sollte, enstand die Idee des Früchteteppichs, der Spenden für eine Renovierung bringen sollte. "Die standen draußen schon mit der Abrissbirne, doch zum Glück sind in den Jahren darauf 500.000 Euro zusammengekommen. Seither ist die Kirche ein Ort für Kulturveranstaltungen", erklärt Ria Noll, die schon bei der Verlegung des ersten Teppichs dabei war und seit Jahren die künstlerische Leitung des Projekts inne hat. Sie war es auch, die den Vorschlag gemacht hat, in diesem Jahr "Das Gleichnis des reichen Mannes und des armen Lazarus" aus dem Pinsel des italienischen Renaissance-Malers Leonardo dal Ponte auf den Kirchenboden zu zaubern. "Das Thema Arm und Reich ist schließlich heute aktueller denn je", sagt sie. Außerdem eigneten sich Gemälde aus der Renaissance oder auch aus dem Barock einfach am besten für den Früchteteppich. "Auf den Bildern dieser Epochen gibt's besonders viel zu sehen."
Raffiniert und ausgeklügelt ist die Herangehensweise von Ria Noll. Die Vorlage, ein Druck von vielleicht 40 mal 40 Zentimetern, hat sie zunächst gerastert. Die Konturen innerhalb der einzelnen Quadrate konnten dann mittels Bleistift mühelos auf einen ebenfalls gerasterten Holzboden übertragen werden, der seinerseits aus acht einzelnen Spanplatten besteht. Diese wurden am vergangenen Wochenende zusammengefügt, und derzeit ist das Team um Ria Noll damit beschäftigt, die Bleistiftkonturen mit Rapskörnchen zu überkleben. Die dadurch entstehenden Flächen werden schließlich mit Früchten und Körnern jedweder farblicher Coleur, die aus aller Herren Länder stammen, unaufgeklebt ausgefüllt. Weit über 200 unterschiedliche Naturprodukte lagern dafür zurzeit in der kleinen Kirche. Und am Ende wird das Bild aus Abermillionen Einzelteilen bestehen.
Bis es soweit ist, liegt noch eine Menge Arbeit vor den Sargenzeller "Teppichknüpfern", weswegen sie sich momentan während der Woche jeden Abend für zwei bis drei Stunden zusammenfinden. "Das ist nicht anstrengend, sondern hat eher etwas Meditatives. Außerdem fördert es das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe enorm." Wichtig sei, dass das Bild vier Tage vor der feierlichen Eröffnung fertiggestellt ist. "Das ist bei uns schon Tradition", erklärt die künstlerische Leiterin, "wir setzen uns dann auf die Empore, betrachten unser Werk und öffnen erst einmal eine Flasche Sekt."
Ob es nicht ein trauriges Gefühl sei, wenn der Teppich nach wenigen Wochen wieder verschwindet? "Überhaupt nicht, im Gegenteil: Das Bild ist dann total eingestaubt, und außerdem haben sich durch die vielen Besucher in der Regel auch Teile verschoben." Also werden Frucht für Frucht und Blüte für Blüte wieder abgetragen und in ihren Behältern verstaut, um sie im darauffolgenden Jahr für den nächsten Früchteteppich erneut zu verwenden. Und besonders verdreckte Früchte und Blüten werden sogar noch liebevoll gereinigt. - Wie gesagt: Sisyphus lässt grüßen. (Matthias Witzel) +++